Von Georg Moeritz
Dresden. Die neuen Gesetze zur Energiewende können dazu führen, dass in sächsischen Flüssen 170 bis 200 zusätzliche Wasserkraftwerke zur Strom-Erzeugung gebaut werden. Der Wasserkraftverband Mitteldeutschland erwartet nach einem neuen Rechtsgutachten, dass der Abriss bestehender Wehre gestoppt wird und neue Anlagen genehmigt werden. Verbandspräsident Martin Richter sagte am Dienstag in einer Online-Pressekonferenz, der Ausbau der Wasserkraft in Mitteldeutschland könne Strom für Wärmepumpen in 80.000 Haushalten liefern – vor allem im Winter.
Richter sagte, in den vergangenen Jahren sei der Ausbau der Wasserkraft in Mitteldeutschland verhindert worden. Der Schutz von Fischen und Mikroorganismen habe Vorrang bekommen. Der Leipziger Rechtsanwalt Christian Falke sagte, das Erneuerbare-Energien-Gesetz bewerte nun das “überragende öffentliche Interesse” an Energiesicherheit und Klimaschutz höher. Das sei zwar kein Freifahrtschein für Wasserturbinen, aber die Gewichtung bei der juristischen Bewertung habe sich geändert. Falke schreibt in seinem Gutachten für den Verband, der Gestaltungsspielraum der Wasserbehörden werde dadurch “oftmals sogar auf null” eingeschränkt.
In Sachsen sieht der Verband das größte Potenzial für zusätzliche Turbinen im Erzgebirgskreis und in Mittelsachsen, vor allem in der Mulde und ihren Zuflüssen. Richter rechnet für die nächsten Wochen mit einigen Genehmigungen für Wasserkraftwerke, die teilweise 20 Jahre lang geplant wurden. Eines mit 440 Kilowatt Leistung stehe kurz vor der Erlaubnis. Die verhinderten Betreiber hätten immer wieder ihre Anträge an den Stand der Technik angepasst, aber Ablehnungen bekommen. Auch einen Wartungs- und Modernisierungsstau habe es gegeben.
Letzte Wasser-Inventur in Sachsen auf dem Stand von 2013
In den drei Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind nach Angaben des Verbandes Laufwasserkraftwerke mit 170 Megawatt Leistung installiert. Der Verband sieht 86 Megawatt Ausbaupotenzial, damit könnten pro Jahr bis zu 387 Gigawattstunden Strom zusätzlich erzeugt werden. Laut Verband ließen sich damit 80.000 Einfamilienhäuser versorgen, wenn sie zum Heizen Wärmepumpen nutzen.
In Sachsen gibt es laut Richter 320 Wasserkraftnutzer – vom Mühlenverein mit einem Wasserrad mit einem Kilowatt Leistung bis hin zur Talsperre Kriebstein in der Zschopau mit fünf Turbinen, die zusammen acht Megawatt leisten. In ganz Deutschland laufen laut Verband 8.200 Wasserkraftwerke – aber es gibt mehr als 200.000 Wehre und andere “Querbauwerke”. Ihre Potenziale müssen laut Verband neu bewertet werden.
In Sachsen wurden die Potenziale der Wasserkraftnutzung laut Verband zuletzt in den Jahren 2011-13 systematisch untersucht. Argumente wie Fischschutz hätten dazu geführt, dass Länder “Nullpotenzial” für den Ausbau festgestellt hätten. Der Verband erwartet eine neue Inventur und sieht auch in Bergbaufolgelandschaften noch ungenutzte Möglichkeiten. Zuletzt war mit einem Beschleunigungspaket der Ausbau der Windenergie erleichtert worden – allerdings wurde in Sachsen grundsätzlich ein neuer Mindestabstand von 1.000 Metern zwischen neuen Windkraftanlagen und Siedlungen vorgeschrieben.
Fischtreppen und Aalrohre vorgeschrieben
Bisher galten laut Anwalt Falke Stauwerke und Wasserentnahme grundsätzlich als Verschlechterung der Ökologie, nun müsse neu abgewogen werden. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung bleibe vorgeschrieben. Laut Verband prüfen die Wasserbehörden die Durchlässigkeit der Wehre für bestimmte Fischarten. Bewerber für neue Laufwasserkraftwerke bekamen Auflagen, neue Fischtreppen und Aalrohre anzulegen oder die Abstände zum Sieb zu ändern – das habe sich in vielen Fällen nicht gelohnt. Auch die Zertifizierung zur Stromeinspeisung ins Netz sei zu kompliziert und müsse vereinfacht werden.
Verbandspräsident Richter sagte, der Freistaat Bayern sei Vorreiter bei der Modernisierung von Dienstanweisungen zum Umgang mit der Wasserkraft. Andere Länder würden folgen. Im Sächsischen Energieministerium werde nach seiner Einschätzung “stark gerungen” bei der Abwägung zwischen ökologischer Stromerzeugung und dem Schutz von Fauna und Flora. Auf der Internetseite des Ministeriums heißt es, dass “nur ein sehr begrenzter Zubau an Wasserkraftanlagen erfolgen” könne.
Aus Sicht des Nabu Sachsen besteht ein erheblicher Konflikt zwischen der Energieerzeugung mittels Kleinwasserkraftanlagen und der Erhaltung oder Wiederherstellung naturnaher Gewässerlandschaften sowie naturnaher, durchgängiger Fließgewässer. Der Verband beklagt auf seiner Internetseite, oft werde im Interesse des finanziellen Gewinns die gesamte Wassermenge über die Turbinen geleitet, sodass unterhalb des Wehres das Bett des Flusses oder Baches fast oder gänzlich trocken sei. Der Verband hat sich 2010 mit anderen zu einer “Allianz für Sachsens Flüsse” zusammengeschlossen, die für den Abriss alter Wehre ist. Dazu gehört auch der Landesfischereiverband.
Hans-Josef Fell, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und jetzt Präsident der Energy Watch Group, unterstützte die Forderungen des Wasserkraftverbands im Pressegespräch. Er sagte, Laufwasserkraftwerke böten eine verlässliche Energieerzeugung, auch in Dunkelflauten – also wenn Sonne und Wind fehlten. Wehre könnten eine Hilfe bei Hochwasser sein und die Spitzen aufhalten. Sie dienten auch dem Schutz vor Dürre, weil sie den Grundwasserspiegel in der Umgebung ansteigen ließen. Wasserräder und Wasserschnecken ließen sich so konstruieren, dass Fischen kein Schaden entstehe.