Jörg Stock
Dohna. In Reih und Glied stehen die Apfelbäume. Peter Griesbach im staubbedeckten Geländewagen nimmt die Parade ab. Eigentlich trägt jeder Baum zu dieser Zeit achtzig bis hundert Früchte. Jetzt sind es allenfalls Einzelstücke. Einige liegen schon in den Kisten. Vier Kisten Tafelware, vier Kisten Fallobst. „Ein schlechtes Geschäft“, sagt Griesbach. Eine Kiste Fallobst und zehn Kisten Tafelware – so wäre das Verhältnis richtig. Von der Tafelware lebt der Betrieb. Beim Fallobst wird das Auflesen bezahlt. „Mehr nicht.“
Der Apfel ist die Lieblingsfrucht der Deutschen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch soll um die 20 Kilo betragen. Einen Teil des Apfelhungers stillt der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Die Gegend um Borthen ist ein Hotspot des Obstanbaus. Ein halbes Dutzend Betriebe, vereint in der Erzeugergemeinschaft Borthener Obst, erntet hier jährlich etwa 40.000 Tonnen Äpfel.
Einer dieser Betriebe ist der Obsthof Griesbach. Seine Plantagen erstrecken sich über 2,8 Quadratkilometer Borthener Kernlandes, gelegen zwischen dem Flüsschen Briese und dem Spargrund. Die Familie ist lange im Geschäft. Der Senior, promovierter Agrarwissenschaftler, war Produktionsleiter beim Volkseigenen Gut. Nach der Wende stieg auch Peter, sein Sohn ins Metier ein, lernte Obstbauer, wurde Meister. Heute ist er Chef von zwei Dutzend Angestellten und, in normalen Jahren, von 120 bis 130 Saisonkräften, die seine Äpfel ernten.
Diesmal keine Arbeit für Saisonkräfte
Vom Heer der Pflücker ist nichts zu sehen. Peter Griesbach braucht dieses Jahr keine Helfer. Was zu pflücken ist, pflücken seine eigenen Mitarbeiter. Neun Leute sind im Einsatz. Es ist Erntetag Nummer 21. Bislang sind 91 Tonnen Äpfel geerntet. Das sind nicht mal fünf Prozent jener Menge, die letztes Jahr am 21. Erntetag eingebracht war – zweitausend Tonnen. „Das ist nicht spaßig“, sagt der Obstbauer.
Die Ernte ging bei Peter Griesbach am 26. August los, so früh wie noch nie. Die Folge einer extrem zeitigen Blüte. Sie hat das Unglück möglich gemacht, das in einer Frostnacht Ende April geschah. Das Thermometer fiel im Borthener Land auf bis zu minus fünf Grad, stellenweise sogar auf minus sieben. Das überlebten nur einzelne Blüten. Laut Obstbauverband, der knapp 60 Erzeuger in Sachsen und Sachsen-Anhalt vereint, dürften je nach Betrieb allenfalls fünf bis 15 Prozent einer gewöhnlichen Apfelernte eingebracht werden.
Peter Griesbach ahnt, dass seine Ernte am unteren Ende dieser Spanne liegen wird. Er schafft 200 Tonnen, wenn er Glück hat, sagt er, statt wie sonst sechs- bis siebentausend. Ein Mini-Ertrag, der auch noch schlechte Qualität hat. Zum Beweis tritt er an eine gefüllte Kiste, greift sich einen Apfel der Sorte Kanzi und teilt ihn mit dem Klappmesser, das er stets griffbereit hat, mitten durch.
Die Hälften sehen lecker aus und schmecken auch so: fein säuerlich, aromatisch, spritzig. Aber es fehlt etwas: die Kerne. Das leere Gehäuse, von dem ein Kanal zur nicht zugewachsenen Blüte führt, ist das Markenzeichen des Frostes und das Problem der Erzeuger. Durch die Verbindung nach Außen können Pilze in die Frucht eindringen und sie verderben. Die Lagerfähigkeit ist ungewiss. Also heißt es verkaufen, solange es noch geht.
Peter Griesbach kann das in seinem Hofladen machen. Dort kann er den Kunden erklären, dass die inneren Werte der Äpfel nicht ganz stimmen, und dass das am Geschmack nichts ändert. Als Tafelware für den Einzelhandel, der sich makellose Exemplare wünscht, taugen die kernlosen Äpfel nicht. Sie gehen ins Mus. Dort bringen sie nur etwa die Hälfte bis ein Drittel des Geldes ein, das für erstklassiges Obst gezahlt wird, aber immer noch ein paar Cent mehr, als das Fallobst bringt, aus dem der Most gemacht wird.
Der Obstbauer fährt weiter, zu den Braeburns, knackiger Biss mit angenehmem Süße-Säure-Verhältnis. Neue Arbeit für das Klappmesser, aber das alte Bild: hohles Gehäuse. „Nix zu machen.“ Besser sieht es beim Spätblüher Golden Delicious aus. Hier legt die Klinge Kerne frei. Griesbach triumphiert. „So muss das aussehen.“ Also Tafelware? Allenfalls für die Vögel und Rehe. Denn die Bäume sind praktisch leer. Zehn Kilo, so schätzt er, würden pro Reihe abfallen. Zu wenige Früchte für zu viele Kilometer, die seine Pflücker laufen müssten.
Die Früchte aufzugeben, tut Peter Griesbach weh. Doch wenn er fürs Ernten mehr bezahlt, als er dafür bekommt, kann er sie genauso gut hängen lassen, sagt er. Er muss es sogar, wenn er dem Betrieb nicht schaden will. Täglich rechnet er nach, ob das, was er tut, sich lohnt. „Man macht ganz schnell minus bei diesem Geschäft.“
Aktuell arbeitet Griesbachs Firma ohnehin defizitär. Der Chef baut fest darauf, dass er die vom Freistaat versprochene Frosthilfe ausgezahlt bekommt. „Sonst hätte ich andere Maßnahmen ergreifen müssen.“ Auf Nachfrage sagt er auch, welche das gewesen wären: „Roden.“
Anbaufläche für Äpfel schrumpft
Dass ein Betrieb hingeschmissen hätte, ist bisher nicht vorgekommen, sagt Carmen Stefanie Kaps, die beim sächsischen Obstbauverband die Geschäfte führt. Allerdings würden Teile von Plantagen zu Acker gemacht. „Das habe ich schon von vielen gehört.“ Feldfrüchte seien einfacher zu handhaben, als der Obstbau mit seiner intensiven Handarbeit. Fakt ist, dass die Apfelanbaufläche im Verband seit Jahren schrumpft. „Es wäre schlimm, wenn die Kurve weiter nach unten geht“, sagt Kaps.
Hat der Obstbau in Borthen eine Chance? Bei Frösten wie dem vom April nicht, sagt Olaf Krieghoff. Er ist Anbauberater bei der Veos, der Vertriebs- und Marketinggesellschaft in Dohna-Röhrsdorf, die unter anderem auch das Borthener Obst handelt. „Im Moment kennen wir keine Apfelsorte, die solche Ereignisse überleben würde.“ Gegen leichtere Fröste helfe aber Frostschutzberegnung relativ gut.
Für schützende Eishaut fehlt Wasser
Bei dem Verfahren werden die Blüten vereist. Innerhalb der Eishülle sinken die Temperaturen nicht in den tödlichen Bereich. Das Problem: Man braucht viel Wasser, etwa 30 Kubikmeter pro Stunde und Hektar. Aber Wasser gibt es in der Borthener Gegend nicht. Im Brunnen der Firma Griesbach etwa läuft binnen einer Stunde nur ein guter Kubikmeter zusammen. Olaf Krieghoff spricht von anderen Ideen: Speicherbecken in die Plantagen bauen und diese mit Brauchwasserleitungen, etwa aus Richtung Erzgebirge oder Elbufer, befüllen.
Diese Leitungen würden auch beim Kampf gegen die Dürre helfen. Jemand müsste sie bauen und bezahlen. Es geht um Millionen. Die könnten die Obstbauern nicht alleine stemmen, sagt Krieghoff. Die Politik müsse ins Boot geholt werden und sich bekennen, ob sie Interesse am Obstbau habe. Und was, wenn nicht? „Dann wird es hier keinen Obstbau mehr geben.“