Suche
Suche

Afghanischer Minister zieht weiter

Als Essensbote in Leipzig machte Syed Sadaat weltweit Schlagzeilen. Nun arbeitet der IT-Experte für einen Beratungskonzern in Bayern.

Lesedauer: 3 Minuten

Syed Sadaat war von 2016 bis 2018 Minister für Telekommunikation und Informationstechnologie in Afghanistan. Ende 2020 floh er aus dem Land. Archivfoto: Anja Jungnickel

Als Essensbote in Leipzig machte Syed Sadaat weltweit Schlagzeilen. Nun arbeitet der IT-Experte für einen Beratungskonzern in Bayern.

Von Sven Heitkamp

Das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig präsentiert Anfang nächsten Jahres der Weltöffentlichkeit ganz neue, außergewöhnliche Ausstellungsstücke: die knallorange Jacke eines Lieferando-Fahrers, dazu seinen Rucksack und einen weißen Helm. Getragen hat sie allerdings ein besonderer Mitarbeiter: Syed Sadaat, der in den Jahren zuvor Minister für Telekommunikation und Informationstechnologie unter Präsident Ashraf Ghani in Afghanistan war. Im Dezember 2020 verließ er sein Land, kam dann nach Leipzig zu einem Bekannten, der schon länger in Sachsen lebt, und jobbte zunächst beim Essenslieferdienst. Sein Foto als Fahrradkurier in oranger Montur ging um die Welt – und schafft es deshalb Anfang März sogar ins Museum. Sadaat allerdings ist nun nach knapp zwei Jahren in Leipzig mit seiner Familie weitergezogen: Der ehemalige Minister mit Studienabschlüssen in Oxford bekam gerade einen neuen, gut dotierten Job in einem Beratungsunternehmen in Bayern und hat dort Anfang November begonnen.

Kommunikation lieber auf Englisch
Ende Oktober saß der 51-Jährige noch in einem Besprechungszimmer seiner Firma in Leipzig und erzählte von seiner bewegten Karriere und dem neuen Lebensabschnitt. Er hat schon etwas Deutsch gelernt, aber das Gespräch führte er lieber in Englisch. „Ich kehre zurück zu meiner alten Karriere und kann auf meinem Weg vorankommen“, so der Experte für IT und Telekommunikation. Sein neuer Arbeitgeber sei ein internationales Beratungsunternehmen mit Standorten in 15 Ländern und mehr als 50.000 Mitarbeitern. Sie unterstützen große Automobilkonzerne wie Audi und Porsche. Sadaat wird vor allem an der Vernetzung von autonom fahrenden Autos arbeiten, die sich über Funk mit ihrer Umwelt verbinden – sein Spezialgebiet. „Es ist eine sehr interessante neue Aufgabe“, sagt er. Die Firma hatte Sadaat durch sein Profil auf einer großen Online-Jobplattform gefunden und ihn in drei Bewerbungs-Interviews gründlich geprüft. Nur den Namen des Unternehmens darf er noch nicht nennen.


Der neue Job ist die logische Fortsetzung seiner bisherigen Laufbahn. 1988, kurz nach seinem Schulabschluss in Afghanistan, flohen die Eltern mit ihm aus einem nordafghanischen Dorf nach England. Er machte einen Abschluss als Elektronikingenieur an der Universität Oxford, einen Master in Satelliten- und Funktechnik am King’s College London und ein weiteres Zertifikat für Telekommunikation in Oxford.
Dann sammelte er 20 Jahre Berufserfahrung in der Telekommunikationsbranche in einem Dutzend Ländern Europas und Asiens, vor allem bei Netzwerkfirmen wie Motorola, Alcatel, Telecom Italia und Swisscom, bis er 2016 ins Ministerium berufen wurde. 2018 gab er den Regierungsposten aber vorzeitig wieder auf und verließ Ende 2020 das Land zunächst allein. Während seines Jobs bei Lieferando in Leipzig, der in allen Zeitungen stand, sprach ihn Maximilian Schmidt an, ein erst 26 Jahre alten Wirtschaftsinformatiker und Unternehmensgründer. Schmidt hatte unter dem Namen „SimpleBreath“ eine Schutzmaskenproduktion in einem Gewerbegebiet in Markranstädt bei Leipzig aus dem Boden gestampft und bereitete parallel den Aufbau eines Beratungsunternehmens für Informations- und Kommunikationstechnik unter dem Namen „Projekt-XVI“ vor.

Erfolgreich gestartet
Dort konnte Sadaat sein Know-how und seine Kontakte perfekt einbringen. In den vergangenen Monaten nahmen sie erfolgreich an öffentlichen Ausschreibungen teil und beschafften für Kunden wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) IT-Ausstattung teils im sechsstelligen Euro-Bereich. Bei den Ausschreibungen halfen Sadaats Referenzen. „Sein Weggang ist ein großer Verlust für uns“, sagt Maximilian Schmidt. „Seine Expertise ist für uns schwer zu ersetzen.“ Dennoch freue er sich sehr für ihn, dass er jetzt die Chance habe, sich weiterzuentwickeln. Schmidt hatte das Bewerbungsverfahren sogar mit unterstützt, um seinem Mitarbeiter und seiner Familie zu helfen. „Als kleiner Mittelständler“, sagt Schmidt, „können wir bei den Gehältern eines großen Unternehmens natürlich nicht mithalten.“ Stattdessen müsse man mit einem familiären Umfeld und einer guten Work-Life-Balance punkten.
Ende März hatte der ehemalige Minister auch seine Familie nach Leipzig holen können – trotz des Taliban-Regimes. Seine Frau und sein zwei Jahre alter Sohn konnten mit einem Visum nach Pakistan ausreisen. Sie durften allerdings nur mit einem Mann als Begleiter nach Islamabad fliegen – so verlangten es die Taliban. Ende März sahen sie sich auf dem Flughafen der Hauptstadt das erste Mal nach vielen Videotelefonaten wieder. Sadaat erinnert sich mit leuchtenden Augen, wie ihm sein Sohn dort in die Arme lief. Eine Weile konnte seine Frau auch in der Maskenproduktion von „SimpleBreath“ mitarbeiten. Doch sie ist wieder schwanger, Ende des Jahres erwartet sie das zweite Kind.
Die Maskenproduktion in Markranstädt läuft unterdessen weiter, wenn auch auf viel geringerem Niveau. Nach rund 350 Millionen Masken, die er voriges Jahr produzierte, sei es jetzt noch etwa ein Zehntel, erzählt Schmidt. „Aber wir können davon leben.“ Insgesamt 15 Mitarbeiter gehören noch zu seinem Unternehmen, und auch seine junge Firma Projekt XVI nimmt weiter an Ausschreibungen teil. „Wir hoffen“, sagt Schmidt, „dass wir bald einen geeigneten Nachfolger für Syed Sadaat finden.“ Mittlerweile habe indessen ein Werksstudent ein paar seiner Aufgaben übernommen.

Das könnte Sie auch interessieren: