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Blumen, die nicht welken

Sie zieren royale Häupter oder Models. Auch die Hutmacher der Queen setzten auf eine kleine sächsische Manufaktur - mit ihr droht eine rare Kunst zu verschwinden.

Lesedauer: 3 Minuten

In der Werkstatt der Steyers sind schon viele florale Kunstwerke entstanden. Doch wie soll es mit ihr weitergehen? Archivfoto: Thorsten Eckert

Sie zieren royale Häupter oder Models. Auch die Hutmacher der Queen setzten auf eine kleine sächsische Manufaktur – mit ihr droht eine rare Kunst zu verschwinden.

Wallroda. Regale, vom Boden bis zur Decke gefüllt mit edlen Stoffen in zig Farben oder Musterkisten voller Blüten aller Art – ein Vierseithof im ostsächsischen Wallroda ist ein Eldorado schöner Dinge. Ballen von Samt, Seide, Viskose oder Taft warten auf ihren Einsatz. „Das hier ist nur ein Teil unseres Lagers“, sagt Heide Steyer, mit ihrem Mann Gerald Chefin der Kunstblumenmanufaktur Steyer. „Man könnte noch mal bestimmt zehn Jahre arbeiten, ohne dass man was kaufen muss.“ Und die handgefertigten Blüten, die täuschend echt aussehen, sind begehrt – bei Modedesignern, Königs- und Adelshäusern.


Auch die Hutmacher der Windsors setzen bei ihren Kreationen seit Jahrzehnten auf „Made in Saxony“ aus dem nordöstlich von Dresden liegenden Dorf. So trug auch die 2022 gestorbene Königin Elizabeth II. oft Blüten aus Wallroda: meist Rosen, aber auch mal einen hellen Klatschmohn, wie in der Ausstellung im Büro zu sehen ist. Dort liegen Zeitungsfotos in Vitrinen, samt der Blüten, die Hüte bei Pferderennen, royalen Hochzeiten oder Staatsbesuchen schmückten. „Wir sehen erst auf Fotos oder im Fernsehen, wer was trägt.“ Die Auftraggeber sind sehr verschwiegen. Bei einer Taufe hatten sämtliche Frauen aus dem schwedischen Königshaus einen Hut „mit unseren Blumen drauf“. Das habe selbst sie umgehauen. Seit zehn Jahren sind die beiden 79-Jährigen vergeblich auf der Suche nach einer geeigneten Nachfolge, obwohl es nicht an Bewerbern mangelte. Aber: „Es ist einfacher, in einer großen Firma zu arbeiten – ohne Verantwortung für die Dinge“, resümiert Heide Steyer die Bemühungen. Und wenn das Fachliche mal passte, fehlte jede Ahnung vom Geschäftlichen. „Man muss Multitalent sein, alles in einer Hand haben und auch Sprachen können.“

Zum 50-jährigen Bestehen, Pfingsten 2020, wurden wegen Corona die letzten Beschäftigten von einst 24 entlassen. „Die hatten ja sieben Monate Kündigungsfrist, weil sie so lange bei uns waren“, erklärt die Chefin. „Da immer wieder Anfragen kommen und ich es nicht allein schaffe, habe ich mir eine der Mitarbeiterinnen zurückgeholt.“ Denn Angela Reinhardt kann auch die sogenannte Handvorrichtung, eine jahrhundertealte Kunst. „Dadurch entstehen eben diese schönen Rosen“, sagt Steyer.
Wie vor 300 Jahren nimmt Reinhardt ein heißes Messer und formt Stück für Stück den Rand von einem Dutzend Blütenblättern aus Seide, auf einem Hirsekissen. Dann legt sie die ersten an den Stiel, bindet sie fest und klebt die anderen darüber – für ein Dutzend Rosen braucht sie etwa zwei Stunden. „Das kann in Europa nur noch Chanel, die vor Jahren schon die letzte Blumenfabrik in Paris gekauft haben“, sagt Steyer.
Die Wallrodaer Blumenmacher stanzten, färbten und formten auch Arrangements für Modedesigner wie Valentino, Dior, Escada, Talbot Runhof, Dries van Noten und Wunderkind: zart oder knallig, klassisch und exotisch, opulent oder puristisch. Die filigranen Blüten und Gebilde aus Gänse-, Marabu- oder Hahnenfedern, die in alle Welt verschickt werden, zieren auch Braut-, Abend- und Cocktail-Kleider, Kostüme oder Schuhe – und werden laut Steyer mit dem Alter schöner, die Farben weicher. Der herausforderndste Auftrag: Maiglöckchen.

Steyers blumige Karriere begann 1970 in Berlin (West) mit Übernahme der Produktion der Firma Morgenstern. 1998 dann verguckte sich das Ehepaar in den Hof in Wallroda. „Wir zogen quasi zu den Fachkräften“, sagt die Chefin mit Verweis auf die Kunstblumenmanufaktur in Sebnitz. Bei ihrer ersten Modemesse 1999 in Paris fielen sie großen Designern auf, seitdem ist ihre Blumenkunst auf Laufstegen und Magazin-Titelblättern präsent. Die „Vogue“-Magazine orderten etwa regelmäßig für Fotostrecken, wie Ausgaben auf dem Tisch im Büro beweisen. Als Karl Lagerfeld Claudia Schiffer in Frida Kahlo verwandelte, „hatte sie den ganzen Kopf mit unseren Blumen voll“.
Auch Theater und Film setzten auf Steyer-Blumen, die schon Hüte im Film „Titanic“ oder in der britischen Fernsehserie „Downton Abbey“ schmückten. Das Ehepaar, das sein Hobby zum Beruf machte, hat Florales aus seinen Händen selbst schon in der Tate Gallery London ausgemacht. „Unsere bunten Blumen mit afrikanischen Drucken steckten in schwarzen Vasen eines Künstlers.“

Tausende Formen und Muster

Auch Modistin Rachel Trevor-Morgan arbeitet für das englische Königshaus und ordert Steyer-Blüten. „Sie sind Meister ihres Fachs und zweifellos einer der besten Blumenhersteller in Europa.“ Die Besichtigung ihrer Kollektion sei „wie ein Besuch in einem wunderschönen Garten“, man finde immer „etwas Einzigartiges und Besonderes“. Die Herstellung handgefertigter Blumen sei „eine besondere Kunst und erfordert großes Geschick und Feingefühl“.
Bei William und Kates Hochzeit sollen es 45 sächsische Kreationen auf Damenhüten gewesen sein und auch beim Ladies Day in Ascot sind die handgefertigten Schönheiten stets in der Royal Loge auszumachen, wie Heide Steyer stolz berichtet. Auch die niederländische Königin Máxima trug schon Steyer-Blüten, Camilla bei ihrer Hochzeit mit Charles eine Federkreation und Herzogin Kate einen typischen Philip-Treacy-Hut mit Blüten unter der Krempe – zum 70. Thronjubiläum der Queen 2022.
Nun aber droht das Ende der Manufaktur, wenn Reinhardt im November in Rente geht. Dabei haben die Steyers neben einem exzellenten Ruf, illustren Kunden und Stofflager Fertigwaren im Wert von 300.000 Euro, 6.000 Stanzformen, zig Muster und Farbrezepte. Der Hof „wäre die perfekte Lehrwerkstatt, auch, um das Verfahren der Handvorrichtung zu erhalten“, sagt Heide Steyer. Ein wenig Hoffnung bleibt: die Deutsche Kunstblume Sebnitz wolle wohl ausbilden. „Das wäre die ideale Lösung.“ (dpa)

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