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Büchers beste Seele

Jörg Stübing ist wiederholt mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet worden. Was heute Concept Store heißt, lebt er seit 16 Jahren.

Lesedauer: 3 Minuten

Was hat die Dame gesagt? Jörg Stübing horcht auf. Die Hände scheinbar entrüstet an den groben Westenstoff gepresst, schaut er verdutzt. Den Kater habe sie eingesteckt? „Nein!“, die Frau lacht und lässt die Klinke noch einmal los: „Ihre Karte, die Visitenkarte!“. Schließlich müsse sie doch wissen, wann dieser ausgezeichnete Bücherladen geöffnet ist. In der Zeitung war ihr eine Notiz aufgefallen: Deutscher Buchhandlungspreis für Büchers Best. „Jetzt habe ich zu wenig Zeit, aber ich komme wieder“, versichert sie beim Gehen und zieht die Tür hinter sich zu.

Der Kater schläft. Zusammengerollt liegt das honiggelbe Knäuel auf dem Bürostuhl nebenan. Musashi ist nicht mehr der Jüngste, 14 Jahre alt und etwas bequem geworden. Aber er gehört zu Büchers Best auf der Louisenstraße, wie die antikbraun gestrichenen Regale und die unzähligen Bände darin, sortiert nach mehreren sich überschneidenden Ordnungssystemen, wie Inhaber Stübing sagt. Vor 16 Jahren hat er sich als Buchhändler selbstständig gemacht. Zuvor wäre er beinahe Maschinenbauer geworden. „Aber ich bin im Studium todunglücklich gewesen“, sagt der 53-Jährige. Schlosser, Schrauber, Stahlarbeiter, die Männer seiner Familie packten an. Und er? Begann Philosophie zu studieren. Politik dazu und Editionswissenschaften, in Leipzig. Die Wende zeigte Jörg Stübing die Weiten des Wissens auf, vom Geldverdienen hat keiner was gesagt. Und als er sehr genau nach Regelstudienzeit Magister der Philosophie hieß, Dinosaurier unter den heutigen Masterabsolventen, erschien es als das Klügste, zu promovieren. 

„Das Thema meiner Doktorarbeit war spannend, es drehte sich um die Frage nach dem Unterschied zwischen Jemand und Etwas.“ Dass jemand aber auch von etwas leben muss, das begann ihm nun zu dämmern, und so gab er das Vorhaben „wegen Sinnentleerung“ auf. Was macht man als studierter Philosoph? Zunächst Möbel tragen, auf dem Bau aushelfen und Gebäude reinigen. Aber auch eine Galerie gründen. „Ich bin für eine neue Liebe hier her gezogen, die vorhergehende wollte mich nicht“, sagt Jörg Stübing. Dresden sei ohnehin eine seiner Lieblingsstädte und die Entscheidung daher leicht gewesen. „Tagsüber habe ich Blaumann getragen und abends Adorno vorgelesen, damals in unserer Galerie Treibhaus auf der Katharinenstraße.“

Auch als Vertreter für Verlage war Stübing unterwegs, verkaufte Bibel-Schmuckausgaben und Nachschlagewerke an der Haustür. „Ein schrecklicher Job“, erinnert er sich, aber etwas Wichtiges habe er dabei gelernt: „Dass Kunde und Verkäufer ein Anliegen haben sollten.“ Im eigenen Laden klappt das: Der Kunde kommt, ist darauf eingestellt, Geld auszugeben. Jetzt geht es nur noch darum, mithilfe des Verkäufers das passende Buch zu finden.

„Das können Sie auch gut noch übermüdet lesen“, sagt der Buchhändler zu einem jungen Mann. Dass die Leute lesemüde geworden seien, will Stübing nicht bestätigen. Vor Jahren, als das E-Book aufkam, da habe er große Angst um seine Existenz gehabt. Die Sorge legte sich. Der Verkauf von elektronischen Büchern gehe zurück. „Als sie aufkamen, war das ein zweifacher Angriff auf uns Buchhändler. Erstens betreiben wir ein Ladengeschäft, zweitens haben wir echte Sachen drin.“ Da fühle man sich schon wie ein Quastenflosser, ein Fossil. Ein sehr beliebtes und geschätztes, wie Jörg Stübing dank der jüngsten Ehrung nun einmal mehr weiß. Vielleicht aber sind inhabergeführte Buchläden gar nichts so Vorsintflutliches, sondern etwas zeitlos Modernes? „Neuerdings geht es dauernd um irgendwelche Concept Stores“, sagt der Händler. Der neueste Schrei: Mach den Einkauf zum Erlebnis!

Nichts anderes tut Stübing. Immer schon – mit Espresso, Lesungen, Vernissagen, Musikabenden und seiner leidenschaftlichen Beratung beim Bücherkauf, die er bescheiden „Klappentextkompetenz“ nennt. Das Erlebnis beginnt damit, in dieses Wohnzimmergeschäft, das einst eine Wohnung war, zu treten. Verkauf, Büro, Lager, Küche auf 60 Quadratmetern. Wenn er nicht gerade mit seiner Frau und den beiden kleinen Töchtern wandert oder mit Freunden taucht, trifft man Jörg Stübing dort an. „Zu verkaufen ist eine Art Tanzfigur“, sagt er, ein Erspüren, wohin der andere will und die Kunst, darauf einzugehen. Dafür muss Stübing wissen, wovon er spricht, auch wenn er nie so viel lesen kann, wie er Bücher im Angebot hat. Sein Repertoire lässt er sich nicht von Vertretern aufschwatzen. Es entsteht als Produkt dieser „Feedbackmaschine“, als die er seine Buchhandlung erlebt und pflegt. Sie speist sich aus eigenen Vorlieben und den Empfehlungen anderer. So verändert und erneuert sich sein Bücherverzeichnis ständig und bleibt doch in sich stabil.

Einen festangestellten Mitarbeiter hat Stübing inzwischen und schon sechs Lehrlinge ausgebildet. „Ich werde oft gefragt, was ich denn mit meinem Preisgeld anstelle.“ Der Deutsche Buchhandlungspreis ist hoch dotiert: mit 7 000 Euro für Bronze, 15 000 Euro für Silber und 25 000 Euro für Gold. Zweitplatziert war Büchers Best im vergangenen Jahr, nun erhielt er einen dritten Preis. „Ich habe davon zum Beispiel einen Azubi bezahlt und mir zum ersten Mal nicht im Second Hand einen Anzug gekauft.“ Dazu ein paar Rechnungen – alle.

 

Von Nadja Laske

Foto:  © Marion Doering

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