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Das blaue Wunder

In ganz Deutschland gibt es nur noch sehr wenige Blaudruckereien. Cordula Reppe in Pulsnitz will dem alten Handwerk neuen Schwung verleihen.

Lesedauer: 5 Minuten

Tief hängen graue Schwaden in Pulsnitzer Blaudruckwerkstatt. Cordula Reppe öffnet den gusseisernen Bollerofen und legt ein Holzscheit nach. "Sie werden gleich ihr blaues Wunder erleben", sagt sie fröhlich und geht zu einem gigantischen, im Boden versenkten Topf. Die Färberküpe, wie die Expertin dazu sagt, zeigt zuerst nur ein blaues Wasserbad mit einem Metallreifen an einem Seil. Diesen Strick zieht die Pulsnitzerin mit einer Kurbel nach oben. Langsam kommt die in Falten gelegte Stoffbahn aus dem farbigen Nass. Sie ist frühlingsgrün. – Cordula Reppe lässt dem Staunen genügend Raum. "Was gut grünt, wird gut blau, drauf ist Gott Vertrauen. Das wussten schon Generationen unserer Vorfahren", sagt die 57-Jährige. Erstmals in Deutschland erwähnt eine Augsburger Chronik 1689 das Handwerk. Seine Blütezeit erlebt es im 18. und 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung bringt das aufwendige Verfahren in Vergessenheit. Nun erhoffen sich die wenigen Blaudrucker Deutschlands, dass mit der Aufnahme auf die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes das fast vergessene Handwerk neuen Schwung bekommt.

Mit Bedacht betrachtet Cordula Reppe ihren frühlingsgrünen Stoff. "Es dürfen keine Bahnen aneinanderkleben, damit es keine Fehlstellen gibt", sagt sie. Für den besten Blick hängen die Neonleuchten auf halber Höhe in der niedrigen Werkstatt. Sie lassen die Baumwolle leuchten, während das überschüssige Wasser aus dem Gewebe in den Bottich tropft. Immer wieder umrundet Cordula Reppe den Ring. An dessen Haken hängt das zehn Meter lange Tuch, das sich nun ins Blaue verfärbt. Die Pulsnitzerin schaut auf die Uhr. Eine halbe Stunde muss das Gewebe in der Luft baden.

Die Tür geht auf, ein Kunde möchte eine Blaudruckdecke kaufen. Frische Luft kommt in den stickigen Raum. Cordula Reppe eilt über den Hof nach vorn ins Fachwerkhaus aus dem Jahr 1820. Vor fünf Jahren hat sie die Schauwerkstatt von ihrem Vorgänger Alfred Thieme übernommen. Davor ist die Kulturmanagerin Chefin des Stadtmuseums. "Der Altmeister suchte einen Nachfolger. So ein schönes Handwerk darf man nicht sterben lassen", sagt die gelernte Schneiderin. Im VEB Damenmode in Bretnig hat sie den Umgang mit Nähmaschine und Stoffen gelernt, hineingeschnuppert in den Entwurf von Kollektionen und die Fertigung von Schnittmustern.

Diese Ausbildung hat der Blaufärberin beim Sprung ins kalte Wasser geholfen. Zwar hatte sie bei Projekttagen im Museum immer mal wieder kleine Druckereien mit Kindern gemacht, doch das Handwerk lernt sie im Schnelldurchgang von Alfred Thieme. "Wobei ich ihn bis heute anrufen kann, wenn ich Fragen habe. Auch Führungen übernimmt er", sagt die Selbstständige und verkauft einen Tischläufer.

Dann eilt sie wieder über den Hof in die Werkstatt. Noch einmal gilt der Blick auf die Stoffbahn, die an einen zu luftig gefalteten Strudel erinnert. Sie schimmert im Neonlicht inzwischen nachtblau. Doch damit ist die Prozedur längst nicht abgeschlossen. Sechsmal wechselt sich das jeweils halbstündige Wasser- mit einem Luftbad ab. Fünf bis sechs Stunden dauert allein das Färben. – Mit der Seilwinde bugsiert Cordula Reppe den Ring samt Baumwollstoff ganz, ganz langsam in die zweieinhalb Meter tiefe Küpe. Wieder muss sie aufpassen, dass die Bahnen nicht aneinander kleben bleiben. Auch das vorsichtige Herabsenken hat einen Grund, denn sonst würde das Gewebe sofort wieder aufschwemmen. Zuletzt ist nur noch der Ring im blauen Wasser zu sehen. "Wir färben heute mit synthetischem Indigo. Früher nahm man hierzulande für den Blaudruck Färberwaid. Die Waidhäuser in Erfurt berichten bis heute von der Färbertradition. Auch in Görlitz und Zittau gab es Waidspeicher. Blaufärber wohnten seinerzeit an fast jedem Ort", sagt die Handwerkerin.

Doch wie ist der Blaudruck überhaupt entstanden? Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet bereits 400 v. Chr. von einem Volksstamm am Kaspischen Meer, der zerriebene Blätter mit Wasser vermischte, um damit Tierfiguren auf Kleider zu malen. Die Ursprünge der Stoffdruckkunst in Europa führt indes nach Indien in die Zeit vor über 2 000 Jahren. Dort wächst das begehrte Indigo mit dem unverwechselbaren Blau. Zudem sind die Menschen hinter dem Indus für ihre Webkunst bekannt. Mit dem aufblühenden Orienthandel kommt das kostbare Blau schließlich nach Europa – und ersetzt das heimische Waid im 17. Jahrhundert.

Auf diese Zeit gehen die Ursprünge der Pulsnitzer Blaudruckwerkstatt zurück. 1633 wird zum ersten Mal die Schwarzfärberfamilie Stein in Steinau an der Oder in Schlesien erwähnt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs können sie dort ihrem Handwerk nachgehen. Der Erbe der Manufaktur, Gerhart Stein, muss fliehen und siedelt sich in einer leer stehenden Blaudruckwerkstatt in Pulsnitz an, deren Wurzeln bis ins Jahr 1739 reichen. "Ob er wusste, dass es hier eine unbesetzte Werkstatt gab, weiß ich nicht. Ich beginne gerade mit den Forschungen. Dazu brauche ich noch ein paar Winterabende", sagt Cordula Reppe und schaut wieder auf die Uhr. Fünf Minuten bleiben ihr noch bis zum nächsten Zug.

Sie legt noch einmal Holz auf das Feuer. "Ich brauche 18 bis 20 Grad, damit die Farbe oxidieren kann", sagt die Färberin und kurbelt den Stoffkranz wieder aus seinem blauen Bad. Im Neonlicht schimmert die Stoffbahn nun in einem satten Jägergrün. Cordula Reppe dreht mit einem Bambusstab in der Hand am Rad, schaut, ob Stoffbahnen übereinanderliegen und greift nach einer kleinen Schere, um einen Faden zu entfernen. Auch diese kleine Faser kann einen Fehler auf dem Gewebe hinterlassen.

Doch die "Blaumacherei" ist nur ein Geheimnis des Blaudrucks. Bei einem weiteren Dienstgeheimnis – wie nämlich die Muster auf den Stoff kommen – lässt sich Cordula Reppe zumindest ein bisschen in die Karten schauen. Wieder eilt sie durch Schneegestöber von der Werkstatt in das Fachwerkhaus an der Bachstraße. Sie geht in ihr Atelier. Dort stehen Nähmaschine und Zuschnitt-Tisch, an den Wänden in den Regalen liegen die Modeln. Das ist das Kapital der Blaudrucker. Mit ihrer Hilfe trägt die Pulsnitzerin den sogenannten Papp auf den weißen Stoff auf. Reservedruck nennt sich diese Technik. Von den Brettern fischt die 57-Jährige ein paar der Exemplare herunter und zeigt auf ein Motiv. "Die ältesten Modeln sind komplett aus Holz. Später besetzten sie Formstecher mit Metallstiften. Inzwischen gibt es auch Mischformen", sagt die Blaudruckexpertin. Die ältesten Druckformen zeigen biblische Motive. Cordula Reppe zeigt auf eine Model, die "Josuar und Kaleb" auf dem Weg ins gelobte Land darstellt. Dieses Pulsnitzer Exemplar gehört zu den ältesten der Blaudruckwerkstatt, auf etwa 1400 Stück kann die Handwerkerin zurückgreifen. Manche sind über 100 Jahre alt. Derzeit plant die Unternehmerin den Aufbau einer kleinen Erlebniswelt rund um den Blaudruck in der Pfefferkuchenstadt. Dann sollen auch die Modeln richtig in Szene gesetzt werden.

Die Färberin greift nach einem handlichen Muster mit Räuchermann. Die Model legt sie auf einen angeschrägten Tisch, auf dem schon eine Stoffbahn liegt. Von ihr schauen in regelmäßigen Abständen die Konturen der Räuchermänner in einem schimmeligen Grün. "Das ist der Papp, eine Mischung aus Kaolin-Ton, Gummi arabicum und ein paar geheimen Chemikalien. Das Rezept erhielt ich von meinem Vorgänger auf einem klitzekleinen Notizzettel. Bei uns Blaudruckern ist es ähnlich, wie bei den Pfefferküchlern: Wir wissen, was drin ist, aber nicht, in welcher Zusammensetzung. Das ist unser Schatz", sagt sie. Gut zweimal im Jahr setzt sie von diesem Gemisch einen großen Topf auf den Herd, um die dickflüssige Druckmasse herzustellen.

Dort hinein setzt sie nun in einem Holzkasten die Räuchermannmodel. Im nächsten Schritt legt sie die dreidimensionale Vorlage auf das weiße Baumwolltuch. Mit der zur Faust geballten Hand schlägt sie darauf. "Das nennt sich abschlagen. Schreiben Sie bloß nicht stempeln", sagt Cordula Reppe. Das Prinzip ist aber ganz ähnlich. Auf dem fertiggedruckten Stoff trocknet der Papp dann zwei Wochen, bevor er in sein kaltes Blaubad getaucht wird. Pro Tag, schätzt die Kunsthandwerkerin, schaffe sie eine Bahn zu färben. Nach Druck und Tauchgang konfektioniert sie noch die Stoffe und fertigt daraus Decken, Kissen, Handytaschen, Krawatten, Kaffeewärmer – eben alles, was die Kunden wünschen.

Zuweilen besucht sie bei ihrer Arbeit eine junge Designerin aus Dresden. Katja Fietz hat Modedesign an der dortigen Fachhochschule studiert und sich bei ihrer Bachelorarbeit mit dem Blaudruck beschäftigt. Inzwischen hat sie eine eigene Kollektion entworfen. Ihre Mentorin holt ein paar Fotos hervor. Ganz modern kommt bei den Entwürfen die alte Handwerkstechnik daher. "Das zeigt, dass Blaudruck nicht Verstaubtes ist", sagt sie.

Wieder eilt Cordula Reppe in die Färberwerkstatt. Das Jägergrün hat sich in Dunkelblau verwandelt. "Da kann man sich vorstellen, dass die Blaufärberei früher als Hexerei galt", sagt die Handwerksretterin. Mit acht weiteren Blaudruckern aus Deutschland hat sie die Bewerbung um die Aufnahme auf die Unesco-Welterbeliste vorangetrieben. "Wir brauchen ein bisschen Aufmerksamkeit, denn der Nachwuchs fehlt", sagt sie. Auch aus diesem Grund arbeitet sie mit Studenten, Kinder- und Jugendgruppen zusammen, um ihnen zu zeigen, wie man am besten "blau macht". Cordula Reppe betrachtet ihr "blaues Wunder". "Es hat gut gegrünt", sagt sie. Viermal wird sie die Tauchgänge noch wiederholen. Danach ist ihr Arbeitstag noch nicht zu Ende. Drei Bottiche mit kaltem Wasser stehen bereit, in denen nacheinander der zehn Meter lange Stoff gebadet wird. Mit dem Wäschestampfer entfernt sie dann den Papp vom Stoff. Doch vorerst greift die Blaufärberin nach der Kurbel und lässt die Bahn wieder in der Küpe verschwinden – bis zum nächsten Zug

 

Von Miriam Schönbach

Foto: Matthias Schumann

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