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Den Chef einfach sitzengelassen

Immer mehr Arbeitnehmer erscheinen trotz Vertrag nicht zur Arbeit oder schwänzen unentschuldigt Gespräche.

Lesedauer: 3 Minuten

Das endlose Warten auf den Bewerber oder zumindest auf einen Anruf, ständiges Aktualisieren des Mailpostfachs, und was passiert? Nichts. Was manche vielleicht von einer unglücklichen Liebe kennen, passiert immer häufiger auch im Job. Ghosting heißt das Stichwort. Gemeint sind Arbeitnehmer, die ohne Absage einfach nicht zum Vorstellungsgespräch erscheinen. Oder, noch schlimmer, einen Arbeitsvertrag unterschreiben und am ersten Tag einfach nicht auftauchen. Dabei wäre eine Absage per Mail doch einfach.

Das erleben immer wieder auch Dresdner Firmen. Und zwar über alle Branchen hinweg. So auch die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB). "Abgesprungen sind zuletzt immer Leute, die sich als Bus- oder Bahnfahrer beworben hatten", so Sprecher Falk Lösch.

Es passiere etwa zehnmal pro Jahr, dass Bewerber unentschuldigt nicht zum vereinbarten Gespräch erscheinen. "Doch wenn jemand nicht käme, der sich für eine Stelle mit Hochschulabschluss beworben hat, dann wäre die Sache für uns schlimmer", sagt Lösch. Meistens soll in diesen Fällen ja ein künftiger Pensionär sein Wissen noch an den Nachfolger weitergeben", so Lösch. Ein geplatztes Bewerbungsgespräch sei ärgerlich, aber keine Katastrophe. Und trotz Vertrag nicht erscheinen? Auch das hat er schon erlebt. "Wenn jemand seinen Job nicht antritt, hat das schwerwiegendere Konsequenzen", betont Falk Lösch. Das Bewerbungs- und Auswahlverfahren müsse neu gestartet werden, und die Besetzung der Stelle verzögere sich wieder um Monate.

Thomas Gaier, Chef von Schloss Eckberg, beobachtet inzwischen bei jedem zweiten Gespräch, dass der Bewerber nicht kommt. "Fehlende Kinderstube", sei das. Er wurde auch schon komplett sitzengelassen, obwohl es einen Vertrag gab. "Als ich dann mal nachgefragt habe, warum die Leute nicht erschienen sind, hieß es: habe etwas Besseres gefunden." Viele gehen gar nicht mehr ans Telefon. Sind nicht mehr erreichbar. Auch per Mail nicht.

"Bei Auszubildenden sehen wir dieses Verhalten häufiger: Regelmäßig erscheinen 15 bis 20 Prozent der eingeladenen Kandidaten unentschuldigt nicht zum Auswahltag", bestätigt auch Infineon-Sprecher Christoph Schumacher. Er stellt häufig fest, dass die künftigen Azubis die Ausbildungsplätze "sammeln." Nach dem Motto "sicher ist sicher" wird ein Ausbildungsvertrag zunächst unterschrieben, dann aber nicht angetreten, um ein vermeintlich attraktiveres Ausbildungsangebot anzunehmen. "Das erleben wir sehr häufig, und das macht die Besetzung der Ausbildungsplätze für uns sehr mühsam – insbesondere, wenn die Absage zu einem späten Zeitpunkt erfolgt". So etwas sei ärgerlich und teuer, vor allem, wenn der Bewerbungsprozess neu starten muss.

Erscheinen oder eben Nicht-Erscheinen hängt vom Alter und von der Beziehung zwischen Bewerber und Firma ab. Das fällt Heike Ziegenbalg, Sprecherin der Commerzbank Dresden. "Grundsätzlich ist es so: Je jünger die Bewerbergruppe ist, umso häufiger sehen wir es, dass einige nicht zum Bewerbungsgespräch kommen oder die Stelle nicht antreten", sagt sie. Bei Leuten, die schon lange im Berufsleben stehen, beobachtet sie kein Ghosting.

Der Dresdner Arbeitsagentur ist das Phänomen bekannt. Besonders aufmerksam wird die Agentur dann, wenn sie die Bewerber zu den Gesprächen geschickt hat. In so einem Fall wird der Kandidat schriftlich oder persönlich dazu befragt. "Wenn kein wichtiger Grund wie Krankheit oder Kinderbetreuung vorliegt, tritt eine Sperrzeit ein", so Sprecherin Grit Löst. Beim ersten Schwänzen des Gesprächs wird drei Wochen kein Arbeitslosengeld ausgezahlt. Tritt das häufiger auf, gibt es bis zu zwölf Wochen Sperrzeit. Wer Hartz IV bezieht, muss mit Kürzungen rechnen.

Die Firmen selbst bleiben meist mit ihrem Ärger allein. "Kommt der Bewerber unentschuldigt nicht zum Vorstellungsgespräch, kann der Arbeitgeber in der Regel nichts dagegen tun", sagt der Dresdner Arbeitsrechtler Boris Kühne von der Kanzlei Kühne. Es sei schließlich noch kein wirksames vertragliches Verhältnis zustande gekommen.

Eventuell könnte der Arbeitgeber Schadenersatz geltend machen. Dieser sei aber schwer nachweisbar und nicht üblich. Hat der Bewerber jedoch den Arbeitsvertrag unterschrieben und erscheint am ersten Arbeitstag nicht, hat der Arbeitgeber hier arbeitsrechtliche Möglichkeiten. "Es besteht die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine Abmahnung auszusprechen", so Kühne. Die ist dem Jobhopper dann im Zweifel aber auch egal.

 

Von Julia Vollmer

Foto:  dpa

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