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Der geheime Berg

Taiwans Chiphersteller TSMC kommt nach Dresden. Ein Besuch vor Ort.

Lesedauer: 5 Minuten

Eine junge Frau steht vor dem Logo der Firma TSMC.
In Taiwan wird der Chipkonzern TSMC auch geheimer Berg genannt. Was dahinter steckt. Foto: privat

Von Luisa Zenker

Hsinchu/Dresden. Ein Pfiff geht über den gepflasterten Platz. Dann taucht ein Mann mit Trillerpfeife auf. Ruft „No“ und wedelt mit den Armen. Er und seine zwei Kollegen in Warnweste lehnen an einer Schranke, hinter ihnen ein gläsernes Hochhaus, wo sich die Sonne in den Fensterscheiben spiegelt. Wer den Blick bis hinauf schafft, kann die rote Schrift erkennen. „TSMC“, steht an der hellgrauen Wand geschrieben, eingewebt in eine Erdkugel voller Mikrochips.
Bei dem gläsernen Gebäude im taiwanischen Hsinchu handelt es sich um einen der größten Chiphersteller der Welt. Er produziert immerhin 60 Prozent aller Halbeiterchips. Die nur mit Lupe erkennbaren viereckigen Transistoren sind unerlässlich, stecken sie doch in jedem Smartphone, Kaffeeautomaten, Auto, Computer, Windrad. Gerade Technologien künstlicher Intelligenz sind auf den Chiphersteller angewiesen, wozu ebenso Verteidigungssysteme gehören. An diesem Tag will ein Sprecher von TSMC einen Einblick in den weltgrößten Chiphersteller geben. Seinen Namen kann er aber nicht veröffentlichen. Jede Information aus seinem Mund muss über die Pressestelle laufen. „Our secret mountain“ – der geheime Berg, so wird TSMC auch gern in Taiwan bezeichnet. Auf der Insel wissen selbst Großmütter, wie ein Chip funktioniert. Ist doch das gesamte Schulsystem darauf ausgelegt, künftige Elektrotechniker auszubilden.
Ins Innere der Fabrik schafft es dennoch kaum jemand, selbst der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) musste sich damit zufriedengeben, nur das Nötigste von TSMC zu Gesicht zu bekommen.

Dabei könnte sich das Unternehmen rühmen, ist es doch für 7,9 Prozent des taiwanischen Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. 75.000 Menschen, 15 Fabriken arbeiten auf der Insel für TSMC. Dem Besucher aber bleibt nur die Außenfassade. Und das TSMC-Museum. Die Ausstellung ist permanent ausgebucht, besonders seit der Verkündung, dass TSMC ins westliche Ausland expandiert. Mehrere Filme präsentieren im Museum die Produktionsräume, begleitet von theatralischer Musik. Die Erdkugel kann nicht oft genug gezeigt werden. Der PR-Film macht dennoch deutlich: Der taiwanische Konzern ist eng mit den Kontinenten verknüpft – die Produktionsmaschinen kommen aus den Niederlanden, die Siiziumscheiben stammen aus Japan, und die Chips werden besonders in die USA und nach China verschifft.
Am Ende der Ausstellung wird ein großes Foto von einem Mann mit weißen Haaren und schwarzem Anzug an die Wand projiziert. Es ist Morris Chang, der Gründer der Fabrik. „Stellen Sie Dr. Morris Chang eine Frage“, schlägt der Computer vor. Warum ist TSMC so erfolgreich? Das Bild beginnt sich zu bewegen. Morris Chang nimmt seine Hände auseinander und beginnt die Erfolgsstory zu erzählen, die im Jahr 1987 startet. TSMC fokussierte sich anders als andere Halbleiterhersteller auf einen einzigen Schritt in der Produktionskette, die Fertigung. Nie habe man mit den Kunden konkurriert.

Lange Arbeitszeiten sind normal
Der Sprecher führt nun aus dem Museum ins grelle Sonnenlicht, geht über die Straße an Hunderten Motorrollern vorbei, die in Taiwan besonders beliebt sind. Die Fabrik ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer erreichbar. Der Sprecher will das unternehmensinterne Abwasserwerk zeigen. Fotos und Namen der dort arbeitenden Ingenieure dürfen nicht veröffentlicht werden. Der Grund für die Zurückhaltung: Konservative Unternehmensführung, Angst vor Spionage, Abhängigkeiten und die US-China-Politik – Spekulationen gibt es viele, offizielle Erklärungen keine. Bereits im Sommer wurde auch die sächsische Delegation durch das Wasserwerk geführt, in dem sich Rohre verzweigen und wieder zusammenfinden. Denn Wasser ist unerlässlich für die Chipproduktion, 2019 verbrauchten die Fabriken: 63 Millionen Tonnen, und trotz einer Recyclingquote von 90 Prozent bleibt das Thema ein Problem. Während einer Dürre 2021 mussten zahlreiche Lkw Wasser in die Fabriken transportieren, die Trockenheit führte zu Konflikten zwischen Industrie und Bauern, deren Wasserdruck gesenkt wurde. Auch künftig muss TSMC mit längeren Trockenperioden durch den Klimawandel rechnen, schreibt das Unternehmen selbst im Jahresbericht. Der Sprecher verabschiedet sich an dieser Stelle, um ihn herum stehen zahlreiche Fabrikgebäude. Wohnungen sucht man vergeblich. Es gibt nur eine Tankstelle und einen kleinen Supermarkt, mit dem Namen Seven Eleven. Diese Kette befindet sich in Taiwan an jeder Ecke, Sandwiches, Limonaden, Schokoladen sind hier 24/7 zu bekommen. Ein Hinweis darauf, was Arbeit in Taiwan bedeutet.
Ein 26 Jahre alter TSMC-Ingenieur mit dunkelfarbigem T-Shirt läuft schnurstracks auf den Laden zu. „Viele arbeiten 10 Stunden, fünf Tage die Woche“, berichtet er. „Jeder ist verantwortlich für sein Projekt und muss die Probleme bis zu einem Stichtag lösen.“ Ihm sind keine Gewerkschaften bekannt. Mit 20 Urlaubstagen pro Jahr kann er gut leben, weil das Gehalt stimmt. „Es ist mehr als der Durchschnitt. Als Senior Ingenieur verdient man im Jahr 1,8 Millionen taiwanische Dollar.“ Umgerechnet sind das 52.800 Euro. Der Durchschnittslohn in Taiwan liegt bei ungefähr einem Drittel davon.
Wie aber steht er zur Expansion von TSMC? Das Unternehmen möchte für die Fabrik in Dresden 200 taiwanische Fachkräfte mitbringen, wird er einer davon sein? Aaron schüttelt den Kopf. „Ich kann nicht so gut Englisch und ich liebe die Umwelt hier.“ Ein Kollege von ihm ergänzt: „In Deutschland werden nicht die fortschrittlichsten Chips produziert.“ Tatsächlich sollen in Dresden nur Chips in Größe von 16/12 Nanometer (nm) sowie 28/22 nm hergestellt werden. Die Automobilindustrie braucht nicht die 2nm Chips. Diese werden vorläufig weiter im geheimen Herzen Taiwans produziert, in das Mitarbeiter keine Handys mitnehmen dürfen.

Automobilhersteller als größte Abnehmer
Um den geheimen Berg etwas mehr zu durchdringen, hilft es, bei dem Gründer des Technologiekonzerns Macronix zu klopfen. Die Fabrik liegt nur einige Straßen weiter. Das 4.000 Mitarbeiter starke Unternehmen stellt Speicherchips für Nintendo her, sein größter Abnehmer sind aber Automobilhersteller. Der 75-jährige Gründer Miin Wu hat als strategischer Partner lange mit TSMC zusammengearbeitet. „Everyone here ist working really hard“, nennt Wu das Geheimrezept der Taiwaner. Jeder arbeitet sehr fleißig .
„Ich meine, lange Arbeitszeiten sind im ganzen Land normal, es ist eine taiwanesische Eigenart“, bestätigt auch der Techjournalist Jon Y, der mit vielen Beschäftigten und Zulieferern von TSMC spricht und von zahlreichen unbezahlten Überstunden im Konzern weiß. „Sie werden einige Zugeständnisse machen müssen“, meint er mit Blick auf die Standortentscheidung von TSMC für Sachsen. Zumal das Finden von Fachkräften schwieriger wird, so Jon Y. Denn auch in Taiwan bezahlt die Softwareindustrie besser. „Und hat eine weniger aggressive Kultur.“
Fachkräfte, Wasser und grüne Energiequellen stellen ihm zufolge die größten Herausforderungen für TSMC dar. Der Chipkonzern will seinen Anteil an Erneuerbaren Energien bis 2030 vervierfachen. Denn der Anteil an Erneuerbaren in Taiwan beträgt zurzeit nur 8 Prozent.
Doch da ist noch etwas anderes: die Sicherheitspolitik. Taiwan wird nur von 13 Staaten anerkannt. Die junge Demokratie sieht sich als unabhängig, Peking dagegen betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung.

Schutzschild oder nicht?
Manche befürchten nun: Durch die Standortentscheidung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Taiwan von China angegriffen wird. Denn TSMC wird als Schutzschild gehandelt. Das Argument: China würde sich im Falle einer Invasion vor allem ins eigene Fleisch schneiden, weil die Volksrepublik im Falle eines Überfalls keinen Zugang mehr zu den dringend benötigten Chips hätte. Fragt man die Taiwaner nach der Schutzschild-Theorie, winken viele ab: Macronix-Chef Wu hält nichts davon. „Dass Taiwan führend in der Halbleitertechnologie ist, könnte sogar den Wunsch erhöhen, Taiwan zu erobern.“ Der taiwanische Außenminister stellte erst die Frage: Wissen Sie, wie klein so ein Chip ist? Auch TSMC verkündete zuletzt: „China wird Taiwan nicht wegen Halbleitern angreifen.“
Doch ob Schutzschild ja oder nein – Warum expandiert TSMC überhaupt, ist doch das Zulieferersystem in Taiwan perfekt und günstig, Hunderte Zulieferer bedienen das Unternehmen. Zumal es laut Miin W sehr teuer ist, Halbleiterfirmen im Ausland zu errichten. TSMC selbst erläutert, dass sie durch die Neu-Ansiedlung „das Vertrauen der Kunden stärken, das zukünftiges Wachstumspotenzial erweitern und mehr globale Fachkräfte erreichen wollen.“
Aber auch die Großkunden von TSMC machen Druck: „TSMC hat keine Wahl. Sie müssen dorthin, wo ihre Kunden sind“, meint Journalist Jon Y. Wenn nicht TSMC das Geld erhält, würde es an die Konkurrenten Samsung oder Intel gehen, so der Journalist, der sich auf die Forschrittstechnologien freut. Zuletzt kündigte TSMC an, jenseits von 2nm zu forschen. „Wenn die nächste Chipgeneration öffentlich wird, it is going to be crazy.“

Die Reportage wurde im Rahmen einer Recherchereise von Journalists Network e.V. durchgeführt.

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