Das Dresdner Start-up Peerox entwickelte eine selbstlernende Software, um Produktionsfehler zu beheben. Dabei wird der Austausch von Wissen neu organisiert.
Von Peter Ufer
Andre Schult hält nicht viel von der vollautomatischen Fabrik. Denn Menschen gehören für ihn zum größten Potenzial eines erfolgreichen Geschäftsmodells. Der 38-Jährige sagt: „Die Idee, Produktionsprozesse ausschließlich mit künstlicher Intelligenz zu steuern, dominierte lange die Diskussion über die Zukunft der Industrie. Der angeblich so unberechenbare Faktor Mensch sollte aus der Produktion verdrängt werden. Aber ohne Menschen wird es auch künftig nicht funktionieren.“ Dafür gründete der Maschinenbauingenieur gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Markus Windisch im Gewerbegebiet im Dresdner Stadtteil Coschütz das Software-Unternehmen Peerox. Beide sind Ingenieure und arbeiteten zwischen 2016 und 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraunhofer IVV Dresden. „Es mag auf den ersten Blick merkwürdig wirken, dass zwei Ingenieure eine Softwarefirma gründen. Aber da wir uns mit Maschinen und der Produktion vor Ort bestens auskennen, kennen wir auch die Probleme und beschäftigen für die Entwicklung der Software gute Programmierer“, sagt Andre Schult. Dann erzählt er eine kleine Geschichte: „Ich befand mich damals nach dem Studium als Mitarbeiter im Fraunhofer-Institut, in einer Molkerei. Dort wurde an einer neuen Hightech-Anlage Joghurt abgefüllt und verpackt. Meine Aufgabe bestand darin, diesen Prozess zu optimieren. Doch immer wieder gab es Störungen. Es gelang einfach nicht, diese zu beheben. Es gab weder eine technologische Lösung noch hatte das anwesende Personal eine sinnvolle Idee. Erst nach dem Schichtwechsel kam eine der dienstältesten Mitarbeiterinnen, die das Problem kannte. Mit wenigen Handgriffen behob sie die Störung.“
Das war für den jungen Ingenieur ein Schlüsselerlebnis. „Die Erfahrungen von Menschen müssen genutzt werden“, sagt der gebürtige Weißwasseraner. Diese Erkenntnis ist allerdings keineswegs neu. Erfahrungen, meint Schult, gibt es massenhaft, aber sie werden nicht wirklich konsequent gesammelt und schon gar nicht digital verwertet. Er wollte eine Wissensdatenbank aufbauen, eine Art Wikipedia für die jeweiligen Produktionsprozesse. „Wissen geht zum Beispiel verloren, sobald die älteren Mitarbeitenden aus Unternehmen ausscheiden“, sagt er.
Schlüssel für Problemlösungen
Das könne besonders in Zeiten des Fachkräftemangels fatal sein. Außerdem fehle vielen die Motivation, sich mitzuteilen. Wissen sei zudem bekanntlich auch Macht und wer wolle schon machtlos sein. „Außerdem existiert die Angst, überwacht zu werden“, sagt Schult.
Für ihn sei deshalb der zweite Schritt gewesen herauszufinden, wie er Menschen motivieren kann, sodass sie ihr Know-how mit anderen teilen. Er begann 2015, noch am Fraunhofer-Institut, gemeinsam mit Psychologen diese Aspekte zu erforschen. „Die Mitarbeitenden brauchen einen Impuls, um ihr Wissen weiterzugeben, vor allem einen Nutzen, der auch zu Stolz führt, Teil des Erfolgs zu sein, eben weil die eigene Erfahrung der Schlüssel für Problemlösungen ist. Wir motivieren Menschen, weil sie merken, dass sie nützlich sind und ihr Wissen hilft“, sagt Schult. Das linuxbasierte Wissensmanagementsystem enthält viele Features, die menschliche Triebkräfte wie Hilfsbereitschaft und Wertschätzung berücksichtigen und die dazu anregen, es gern zu benutzen. Sie motivieren zum Bestätigen, Ablehnen, Korrigieren und Erweitern der Einträge und zum Teilen des Erfahrungswissens. Gleichzeitig entstand der Gedanke, die Analyse von Maschinen- und Prozessdaten mit Algorithmen des maschinellen Lernens zu verbinden. Das Ergebnis: MADDOX. Die Software verknüpft Maschinendaten und Ursachenanalysen durch den Menschen und schlägt bei einer Störung automatisch und ohne eigene Suche passende Wissenskarten mit Fotos, Videos und Texten auf einem Tablet oder Monitor vor.
Nach dem Learning-by-Doing-Prinzip unterstützt das System als virtueller, mitlernender Kollege die Bedienenden an der Maschine mit Ratschlägen im Produktionsalltag. Neue Mitarbeitende können so schneller eingearbeitet werden und die Stillstandszeiten sowie Ausschussmengen verringern sich. „Bis zu 30 Prozent können wir so Verluste in der Produktion verringern“, sagt der Chef von inzwischen fünfzehn Mitarbeitenden. Zunächst konzentriert sich das Unternehmen mit seinem Produkt auf den Markt für Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen, langfristig sollen auch andere Branchen wie die Halbleiter-, Automotive- und Chemieindustrie avisiert werden. Die Maddox-Software läuft derzeit an 15 Maschinen in der Tablettenverpackung der Bayer AG im Stammwerk Leverkusen. Weitere 25 Maschinen werden im Laufe des Jahres nachgerüstet. Insgesamt liegt derzeit der Fokus auf Verpackungsprozessen in den Bereichen Lebensmittel, Kosmetik und Pharma. Seit der Gründung 2019 finanziert sich die Peerox GmbH ausschließlich aus eigenen Umsätzen und ohne externe Investoren.
Das Unternehmen ist zudem preisverdächtig, bereits 2019 bekam es den Gründerpreis des Bundeswirtschaftsministeriums, belegte 2020 den dritten Platz beim sächsischen Gründerpreis und gewann 2021 den Innovationsaward der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Die Ausgründung aus dem Fraunhofer IVV ist ein Beispiel für den gelungenen Transfer von öffentlich geförderter Forschung in die Industrie zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Dafür erhielt Institutsleiter Professor Jens-Peter Majschak 2021 den sächsischen Transferpreis. „Ergebnisse steuerfinanzierter Forschungsergebnisse gehören in die Industrie und dürfen nicht in der Schublade verschwinden. Mit der Gründung unseres Unternehmens möchten wir unseren Beitrag dazu leisten und andere Forschende zu diesem Schritt ermutigen“, so Andre Schult.