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„Der Mittelstand steht am Rande der Existenz“

Lesedauer: 4 Minuten

Der Zittauer Bauunternehmer Marco Matthäi organisiert den Oberlausitzer Autokorso gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Im SZ-Gespräch sagt er, was schief läuft.

Von Jana Ulbrich

Im Büro von Bauunternehmer Marco Matthäi in Zittau geht eine Anmeldung nach der nächsten ein. Der Geschäftsführer der Oberlausitzer Straßen-, Tief- und Erdbaugesellschaft Osteg rechnet damit, dass an diesem Donnerstagnachmittag mitten im feierabendlichen Berufsverkehr mehr als 1.000 Fahrzeuge zu einem Autokorso auf die Bundesstraßen zwischen Görlitz, Zittau und Löbau aufbrechen. „Wir wollen gehört werden in Berlin“, sagt Marco Matthäi. Gemeinsam mit anderen Unternehmern, Handwerkern und Gewerbetreibenden aus der Oberlausitz organisiert er jetzt zum zweiten Mal eine große Protestaktion gegen die Politik der Bundesregierung. Im Gespräch mit der SZ sagt er, warum.

Herr Matthäi, Sie sind Bauunternehmer und Chef einer der größten Baufirmen im Kreis Görlitz. Haben Sie nichts Wichtigers zu tun als am Donnerstagnachmittag zur Hauptverkehrszeit die Straßen zu blockieren?

Ganz ehrlich, wir würden viel lieber unserer eigentlichen Arbeit nachgehen. Aber wenn wir hier nicht auf uns und unsere Probleme aufmerksam machen, dann haben wir hier bald überhaupt nichts mehr zu tun. Und nicht nur wir bei der Osteg. Die Wirtschaftspolitik, die wir gerade in Deutschland erleben, macht die Wirtschaft im Land kaputt, wenn sie so weitermacht. Das kann doch nicht das Ziel sein.

Jetzt rufen Sie also noch einmal zum Autokorso auf. Glauben Sie, dass Sie damit tatsächlich etwas erreichen?

Wir müssen etwas erreichen! Schon beim ersten Mal am 13. Oktober war der Zuspruch riesig. Wir hatten 700 Teilnehmer vom großen Unternehmen bis zum kleinen Handwerkerbetrieb. Das zeigt doch, wie groß die Probleme überall in den Betrieben sind. Wir hatten auch ein großes, bundesweites Medienecho. Nur in Berlin hat man uns nicht gehört. Es hat sich in der Politik ja nichts Wesentliches getan. Deswegen haben wir uns entschieden, weiterzumachen. Diesmal wird die Aktion noch größer.

Welche Probleme sind es vor allem, mit denen die Unternehmen zu kämpfen haben?

Es sind zuerst die Energie- und Kraftstoffpreise. Der Dieselpreis hat sich in einem halben Jahr mehr als verdoppelt. Der Gaspreis hat sich innerhalb eines Jahres etwa vervierfacht. Strom ist wesentlich teurer geworden – und wird ab Januar noch teurer. Damit steigen auch alle Materialpreise: Nur mal als Beispiel für uns im Straßen- und Tiefbau: Asphalt, Schüttgüter und Beton sind in einem Jahr um mehr als 25 Prozent im Preis gestiegen. Im nächsten Jahr soll Beton noch einmal um 30 Prozent teurer werden. Für den Diesel haben wir bei der Osteg in diesem Jahr schon eine halbe Million Euro mehr bezahlt als 2021.

Was war denn mit dem Tankrabatt?

Der ist überhaupt nicht angekommen. Wir haben bei uns auf dem Hof einen 20.000-Liter-Tank. Im Mai haben wir im Durchschnitt 1,60 Euro pro Liter Diesel bezahlt, in Juni waren es 1,67 Euro, im Juli 1,58 Euro, im August 1,61 Euro und im September 1,74 Euro. Im Februar waren wir noch bei 1,29 Euro. Wo ist denn da ein Rabatt? Als Bauunternehmen haben wir auch noch das Problem, dass wir bei öffentlichen Auftraggebern auf allen Diesel-Mehrkosten sitzen bleiben.

Was bedeutet das für das Unternehmen?

Im Straßen- und Tiefbau haben wir vor allem öffentliche Auftraggeber, die ihre Bauvorhaben ausschreiben und dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag geben. Wenn wir einen Auftrag und damit Arbeit für unsere 175 Mitarbeiter haben wollen, müssen wir also das „wirtschaftlichste“ Angebot abgeben – also schon mal von vornherein knapp kalkulieren. Zwar kalkulieren wir in unseren Angeboten eine gewisse Preissteigerung ein, mit solchen schnellen und sprunghaften Entwicklungen kann aber kaum jemand rechnen. Das bedeutet für uns: Wenn es teurer wird als geplant, weil eben Diesel und Baustoffe unerwartet teurer geworden sind, ist das unser Problem. Der Auftraggeber zahlt nur die Summe, die im Angebot steht. Alles andere ist unser „unternehmerisches Risiko“.

Das in dieser Situation aber kaum ein Unternehmen abschätzen kann?

Genau. Nur mal ein Beispiel: Für die Stützmauer an der B96 in Ebersbach hatten wir Bauleistungen von rund 830.000 Euro netto ausgerechnet. Die Baustelle hat uns am Ende knapp 300.000 Euro mehr gekostet – mehr als ein Drittel über dem ursprünglichen Angebot. Ein Großteil des „Minus“ kommt durch die gestiegenen Material- und Kraftstoffpreise. Als Bauunternehmen stehen wir am Ende der Kette. Der Fuhrunternehmer schickt keine Lkw, wenn wir ihn nicht bezahlen, der Händler liefert kein Material, wenn wir die höheren Preise nicht akzeptieren. Der Auftraggeber bleibt beim Angebotspreis. Hilfe von politischer Seite gibt es keine.

Und deswegen die Protestaktion?

Unter anderen auch deswegen. Aber es trifft ja nicht nur uns. Es trifft die gesamte Wirtschaft, das Handwerk. Wir als große Firma haben die Defizite bis jetzt immer noch mit unseren Rücklagen und dem Aussetzen von Investitionen ausgleichen können. Bei einem kleinen Fleischereibetrieb oder einer Bäckerei ist noch das weitaus schwieriger. Der Mittelstand steht in Größenordnungen am Rande der Existenz. Das kann und darf die Politik nicht zulassen.

Was genau kann und muss die Politik denn tun? Was fordern Sie?

Wir fordern, dass die Politik jetzt endlich gegensteuert – ohne ideologische Scheuklappen und ohne parteipolitische Streitigkeiten. Es muss wirksame Hilfen geben – nicht wie beim Tankrabatt, der nicht angekommen ist. Und es muss schnelle Lösungen geben. Den Unternehmen und Gewerbetreibenden läuft die Zeit davon. Wir brauchen keine Kredite, wir brauchen bezahlbare Energiepreise. Wir brauchen eine rückwirkende Gas- und Strompreisgrenze. Wir brauchen langfristig Sicherheit, damit wir planen können. Für die Bauwirtschaft fordern wir außerdem, flexiblere Möglichkeiten bei öffentlichen Aufträgen. Wenn sich der Dieselpreis innerhalb kurzer Zeit verdoppelt, dann kann das nicht das „unternehmerische Risiko“ des Bauunternehmers sein.

Gibt es überhaupt noch genügend öffentlichen Aufträge für die Baubranche?

Es werden weniger. Allein unser Unternehmen hatte in diesem Jahr einen Auftragsverlust von 1,6 Millionen Euro. Das waren Ausschreibungen, die wir gewonnen hatten, die dann aber wieder zurückgezogen wurden, weil der Freistaat die Fördermittel stark gekürzt oder ganz gestrichen hatte. Wir rechnen damit, dass die öffentliche Auftragslage im nächsten Jahr in dramatischem Maße zusammenschrumpft. Das aber hat nicht nur Folgen für die Bauwirtschaft, sondern für die ganze Region. Da stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Deswegen haben Sie diesmal nicht nur Unternehmer und Gewerbetreibende zum Protest aufgerufen, sondern auch die Vertreter von Städten und Gemeinden?

Ja. Wenn der Mittelstand stirbt, wird man das in den Städten und Gemeinden auf allen Ebenen zu spüren bekommen. Wenn die Entwicklung so weitergeht wie derzeit, dann wird das dramatische Folgen für die ganze Region haben. Und deswegen werden wir am Donnerstag wieder demonstrieren: Wir miteinander – gemeinsam für die Region.

Geplant ist der Autokorso auf drei Routen rund um Zittau, Löbau und Görlitz. Start ist jeweils 15.45 Uhr. Die Organisatoren legen Wert auf politische Unabhängigkeit. Es dürfen keine verfassungsfeindlichen Symbole, keine Fahnen, Banner oder Plakate von Parteien und Vereinigungen und keine politischen Bekenntnisse gezeigt werden.

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