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Der Vermittler

Holger Scholze ist Dynamos Übergangspräsident, aber: Wer ist er und wie kommt er zu diesem Ehrenamt?

Lesedauer: 4 Minuten

Der Sportlehrer hatte sein besonderes Talent sofort erkannt. Doch Holger Scholze wollte lieber Fußball  spielen, als Leichtathlet werden. Dabei gewann er bei Spartakiaden und Meisterschaften mehr als 150 Medaillen im Zehnkampf sowie seinen Spezialdisziplinen Sprint, Weit- und Hochsprung. „Ich hatte aber einen unheimlichen Spaß im Team“, erzählt er. „Mit den anderen einen Sieg zu erringen, war für mich ein noch schöneres Erlebnis, als allein auf dem Treppchen zu stehen.“

Genauso sieht er seine neue Aufgabe, die zweifellos eine Herausforderung ist: Präsident von Dynamo Dresden, zunächst übergangsweise. Seine Frau Nicole hatte an jenem Sonntagabend zuerst die Nachricht von den Rücktritten gelesen und sofort eine Ahnung. „Da weiß ich schon, wer bald einen Anruf bekommen wird“, hat sie zu ihm gesagt, und er erzählt: „Nach einer halben Stunde hatte ich die erste Anfrage.“ Es blieb nicht die einzige und alle hatten den gleichen Tenor: Dein Verein braucht dich.

Das mag für Außenstehende kitschig oder aufgesetzt klingen, aber es beschreibt ganz gut seine enge Beziehung zu Dynamo. Wie sie begonnen hat, weiß Scholze selber nur aus Erzählungen seiner Eltern und vier älteren Geschwister. Er war im Juli 1971 geboren worden, die Geschichte ist an sich schon verrückt genug. Obwohl hochschwanger ist seine Mama mit in den Ostseeurlaub gefahren, und irgendwann war der kleine Kerl in ihrem Bauch der Meinung, auch die Sonne sehen zu wollen.

So kam der Bautzner in Wolgast auf die Welt. Sein Urgroßvater eröffnete 1892 einen Uhrmacherladen, sein Vater betrieb die Werkstatt mit zeitweise mehr als 20 Beschäftigten auch zu DDR-Zeiten privat. In jenem Sommer 1971 hatte er einen speziellen Auftrag: die Pokale gravieren. Dynamo hatte zum ersten Mal das Double aus Meisterschaft und Pokal geholt. Und Baby Holger soll die Trophäen, die größer waren als er, so sehr bewundert haben, dass sich Augenzeugen sicher sind, schon damals sei er mit dem „Dynamo-Virus“ infiziert worden.

Auf jeden Fall hat er von klein auf gerne gekickt, wie er sagt „leidenschaftlich, aber mit überschaubarem Talent“ bei der BSG Motor Bautzen. Bis er mit 15 bei einem Hallenwettkampf mit fast sechs Metern weiter sprang als die Besten aus den Leistungssportzentren. Jetzt musste er sich doch entscheiden und irgendwie hat es ihn gereizt, zur Sportschule nach Dresden zu gehen. „Den gesunden Ehrgeiz hatte ich schon“, meint Scholze. Die höhere Trainingsbelastung bereitete ihm muskuläre Probleme, war aber nicht der Grund, weshalb er den Versuch relativ schnell abgebrochen hat.

Vielmehr war es eine Empfehlung, der er nicht folgen wollte. Scholze wurde ans Herz gelegt, übers Wochenende im Internat zu bleiben, weil zu Hause Besuch aus dem Westen erwartet wurde. Er sei Geheimnisträger, man wolle nicht, dass etwas über die Trainingsmethoden nach außen dringt, hieß es. „Das war für mich ein Knackpunkt“, sagt Scholze. „Mir war schnell klar: Das mache ich nicht mit.“

Nach dem Abitur wollte er, inspiriert von einer Serie im DDR-Fernsehen, Zahnarzt werden. Der politische Umbruch setzte rechtzeitig ein, sodass für die Zulassung zum Studium nur seine schulischen Leistungen ausschlaggebend waren. Er merkte jedoch, dass es wohl doch nicht das Richtige für ihn ist, spätestens nachdem er auf der Suche nach einem Anatomiebuch auf das „Wunderland von Geld und Börse“ von André Kostolany gestoßen war. „Das habe ich spontan mitgenommen und in zwei Tagen regelrecht verschlungen. Von da an war es um mich geschehen“, was heißt: Er studierte ab 1996 Betriebswirtschaft an der TU Dresden.

Scholze hat einiges initiiert wie den „Aktionstag Börse“, eine inzwischen bundesweite Veranstaltung zum Umgang mit Geld. Er hat die Finanzwelt von der Pike auf kennengelernt und hinter die Kulissen geblickt. Mit Freunden gründete er eine Firma, die Pressearbeit und Veranstaltungen speziell für die Finanzbranche anbietet. Dass er gleich wieder ausgestiegen ist, lag an einem Angebot, das er anfangs kaum glauben konnte. Der Nachrichtensender n-tv wollte ihn als Experten für die Berichterstattung von der Stuttgarter Börse.

Von März 2002 an hat Scholze mehr als 5 000-mal live das im Fernsehen erklärt, was ihn selbst fasziniert: die komplexen Zusammenhänge der Finanzwelt mit Wirtschaft und Politik. Dieser Job ließ sich auf Dauer nicht mit den Aufgaben eines Pressesprechers von Dynamo vereinbaren, den er 2011 für fast ein Jahr übernommen hatte – weil der Verein ihn brauchte.

Doch ab 2019 wird der 47-Jährige nicht mehr 120 Tage im Jahr in Stuttgart verbringen. Stattdessen stellt er sich am 19. Dezember zur Wahl fürs neue Dynamo-Präsidium. „Das ist das schönste, emotionalste und gleichzeitig schwierigste Ehrenamt, das ich mir vorstellen kann“, sagt Scholze. Nach zwei Wochen als Übergangspräsident hat er eine Ahnung, wovon er spricht. „Mediatorische Fähigkeiten, klarer Verstand und die nötige Ruhe sind gefragt.“

Mit dieser Einstellung geht er an die brisanten Themen heran, nicht als Entscheider, das gibt sein Amt nicht her. Er soll – gemeinsam mit Vizepräsident Michael Bürger, wie er betont – Vermittler sein zwischen Menschen im Sinne der Sache, also des Vereins. Konfliktstoff gibt es einigen, wie etwa das Betriebsklima auf der Geschäftsstelle und das Verhältnis zwischen den Geschäftsführern Michael Born und Ralf Minge, wobei Scholze betont: „Ich erlebe, dass trotzdem eine hochprofessionelle Arbeit geleistet wird und alle Beteiligten daran arbeiten, die Probleme zu lösen.“

Das betrifft auch den Streit um die Ehrenspielführerschaft von Eduard Geyer, der im Juni hochgekocht war. „Das nehme ich sehr ernst und versuche, in intensiven Gesprächen eine Lösung herbeizuführen“, sagt Scholze. Das entscheidende Wort soll, wie es die Satzung vorschreibt, die Mitgliederversammlung haben. Die ist für den 17. November angesetzt und wird vom Übergangspräsidenten geleitet. Scholze ist es gewohnt, vor Studenten zu sprechen und Veranstaltungen zu moderieren. Doch das wird mit Sicherheit auch für ihn eine neue Erfahrung.

Von Sven Geisler

Foto: Sven Ellger

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