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„Der Zusammenhalt in der Oberlausitz war vor 20 Jahren besser als heute“

Mit Matthias Schwarzbach geht Ende Juni der letzte Zittauer IHK-Chef. Er zieht Bilanz seiner Arbeit bei IHK und Kreis-Spitze, erzählt von Erfolgen, tiefen Löchern und vielen Plänen.

Lesedauer: 4 Minuten

Das Bild zeigt einen Mann.
Matthias Schwarzbach hört als Leiter der IHK in Zittau auf. © Matthias Weber/photoweber.de

Von Anja Beutler

Herr Schwarzbach, Sie waren Architekt, Bauamtsleiter in Ostritz, von 2002 bis 2008 beim Landkreis Löbau-Zittau technischer Beigeordneter und zuletzt Standortleiter der Industrie- und Handelskammer – IHK – in Zittau. Leichte Übung also?

Matthias Schwarzbach: Das ist jetzt schon anders, weil klar ist, dass für mich das letzte Viertel des Lebens – wenn nicht weniger – beginnt. Sonst kam immer noch etwas danach, die bisherigen Abschiede waren auch alle gewollt – bis auf die Sache mit der Beigeordnetenstelle…

Nach der Kreisfusion zum August 2008 blieben Sie bis zu den Kreistagswahlen im Herbst Beigeordneter, unterlagen dann in der Abstimmung gegen den Kandidaten der Freien Wähler – den früheren Bertsdorfer Bürgermeister Christian Linke…

Das hat mich sehr erwischt und ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Ich gebe zu, da bin ich damals zu naiv rangegangen und habe nicht überblickt, welchen Verquickungen ich wirklich ausgesetzt war.

Bitter war dabei, dass ich seit der Fusion Anfang August hart gearbeitet habe, um alles zu ordnen: Ehemalige Landesbedienstete aus den Forst- und Vermessungsämtern zum Beispiel kamen mit der Kreisfusion damals zu uns, in meinem Amtsbereich wuchs die Zahl der Mitarbeiter von 120 auf 250. Es hat viel Energie gekostet, sie zu integrieren und dann, als ich das Feld bestellt, die Samen gelegt hatte, hieß es: Tschüss!

Blicken Sie heute versöhnlicher auf dieses Ende?

Schlussendlich war ich froh, dass es so gekommen ist – denn meine neue Aufgabe war nicht mehr so politisch, man war nicht so angreifbar. Und es hat sich vieles verändert. Traurig und sauer war ich, dass im neuen Kreis sämtliche Projekte, die wir angefangen haben – Umgebindeland, Jobcenter, Zivita-Bürgerpreis – vom Tisch geblasen wurden, tot waren, weil man eine andere Auffassung hatte. Ich merke heute noch, bei der IHK, wie sehr uns das grenzüberschreitende „Umgebindeland“ fehlt.

Es ging dabei nicht nur um einmalige Häuser, es war als regionaler Entwicklungsprozess für Handwerk, Infrastruktur, soziale Komponenten, Netzwerke und eben auch die Kultur gedacht. Die Stiftung Umgebindehaus kann das nicht allein stemmen. Ich hoffe sehr, dass eine Reaktivierung mit neuen Kräften im Landratsamt gelingt.

Sie haben 2009 bei der IHK als Mitarbeiter für Wirtschaftsförderung neu angefangen. Wie sehr mussten Sie als Verwaltungs-Mann in der Wirtschaft umdenken?

Nicht wirklich. Ich war in Zeiten hoher Arbeitslosenquoten Beigeordneter. Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern war sehr wichtig. Ich habe es zum Beispiel geschafft, die Baugenehmigungsbehörde unternehmerfreundlicher auszurichten. Wir hatten in der Verwaltung gemeinsame Regeln für Baumaßnahmen der Wirtschaft aufgestellt und diese auf dem Flur ausgehängt, ein „Versprechen an die Wirtschaft“ wie beispielsweise: Wenn die Wirtschaft anruft, reagieren wir unverzüglich, spätestens nach bis zu 24 Stunden, geben Feedback zur Vollständigkeit der Bauunterlagen mindestens innerhalb von drei Tagen, bieten zeitnahe Beratungstermine.

Das war ein Paradigmenwechsel und wir waren stolz drauf. Diese Einstellung hat mir bei der IHK den Einstieg erleichtert und ich bin der damaligen IHK-Chefin Gudrun Laufer sehr dankbar für diese Chance.

Sie haben sich immer vehement für den Bau der B178n eingesetzt – jetzt gehen Sie in Rente und die Straße ist noch nicht fertig. Hand aufs Herz: Wie wichtig ist die B178 nach 30 Jahren bei all der Digitalisierung noch?

Logistikanforderungen und Warenströme werden bleiben, die B178n ist die verkehrliche Anbindung an das deutsche und tschechische Autobahnnetz und das Böhmische Tor ist die niedrigste Querung des Sudeten-Kamms und war immer wichtig. Und ich glaube nicht, dass der Lkw-Verkehr so schnell durch die Schiene abgelöst wird. Dass es länger dauert, habe ich recht schnell geahnt – und ich bin mir relativ sicher, dass ich es nicht mehr erlebe, dass man bis zur Autobahn im Norden durchfahren kann.

Die B178 ist ein Ärgernis für die Wirtschaft, Fachkräftemangel, Inflation und Corona mit den Nachwirkungen sind es auch – die Stimmung ist schlecht, oder?

Das ist sehr unterschiedlich. Nicht alle hat Corona in die Enge getrieben. In manchen Branchen hat die Pandemie aber wie ein Brandbeschleuniger gewirkt und Probleme, die es zuvor schon gab, verschärft: in der Gastronomie zum Beispiel. Aber wir merken als IHK genauso wie die Handwerkskammer, dass es bei den Unternehmern momentan weniger die Bereitschaft gibt, zusammenzukommen und sich auszutauschen. Viele sind froh, wenn ihr Unternehmen richtig läuft und das wiederum ist durchaus verständlich.

Nehmen die Unternehmer die IHK dabei eher als Helfer oder wahr oder hat sich das Kammermodell überlebt?

Auch wenn Vergleiche immer hinken: Wir sind wie eine Krankenkasse, funktionieren nach dem Solidarprinzip. Man zahlt ein und wenn es einem beispielsweise schlecht geht oder Probleme anstehen, steht die Kammer mit ihrer Infrastruktur und den Experten bereit. Aber ja, es muss einen Paradigmenwechsel geben, wir müssen noch näher ran, die Problemlagen heraushören, einfach die Interessenvertretung sein.

Wie sehr schmerzt es Sie da, dass mit Ihnen der letzte IHK-Geschäftsstellenleiter in Zittau geht und künftig der Görlitzer IHK-Chef Zittau betreut?

Sehr, denn der Spagat zwischen Görlitz und Zittau wird eine Herausforderung für Frank Großmann. Der Kreis ist sehr heterogen, es ist schwierig, ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Der Zusammenhalt in der Oberlausitz war meiner Erfahrung nach vor knapp 20 Jahren viel weiter als heute.

Zusammenbringen wollten Sie immer schon Hochschule und Wirtschaft. Es heißt, Sie hätten beigetragen, dass das Fraunhofer-Kunststoffzentrum statt nach Görlitz nach Zittau kam?

Eigentlich wollte Fraunhofer nach Görlitz, ganz entschieden war es aber noch nicht. Da haben wir eine Offensive gestartet, haben die Entscheider bei uns rumgeführt, sind im Dezember 2010 zur Besichtigung nach Chemnitz gefahren. Mit dabei waren Vertreter, Unternehmer und die Zittauer Wirtschaftsförderin Gloria Heymann. Dann ist die Entscheidung für Zittau gefallen. Das war wirklich ein großer Erfolg!

Funktioniert auch die Kooperation hiesiger Unternehmen und der Wissenschaft?

Wir haben es mit Veranstaltungen wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ seit 2009 und den „Werkstattgesprächen“ gemeinsam mit der Handwerkskammer geschafft, eine große Hürde abzubauen. Für die Unternehmer war die Hochschule eine Blackbox. Sie hatten Angst, dass man sie mit ihren praktischen Problemen nicht ernst nimmt. Und die Wissenschaftler kannten die Themen der Unternehmer nicht wirklich.

Das ist anders geworden. Nun ist die Schwierigkeit, Lösungsansätze aus der Wissenschaft dann auch wirklich in den Firmen umzusetzen. Dabei will ich im Ruhestand mithelfen: Der Verein Neonet will sich unter anderem als Dienstleister etablieren und dafür nötige Dinge erledigen, wofür viele Firmen keine Kraft und Kapazitäten haben.

Apropos Ruhestand: Was machen Sie denn sonst noch so ab Juli?

Ich habe viel vor, habe mir ein E-Bike gekauft und will alle Dorfkirchen der Oberlausitz abfahren. Ich möchte auch wieder Musik machen, meine Fähigkeiten als Lagerfeuer-Gitarrist erweitern, Malkurse besuchen und natürlich wird meine Enkelin davon profitieren, dass ich mehr Zeit habe. Besonders freue ich mich aber erst einmal auf einen Kurs zum Assistenz-Sommelier, den ich Anfang September absolviere.

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