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„Die Aufmerksamkeit ist heute der begehrteste Rohstoff des Kapitalismus“

Neurologe Dr. Volker Busch räumt mit dem Mythos Multitasking auf und spricht über die fatalen Folgen unserer quasiparallelen Informationsverarbeitung.

Lesedauer: 4 Minuten

Es ist 19.15 Uhr, als Dr. Volker Busch, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, aus Regensburg die Bühne in der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden betritt. Zum mittlerweile 3. Mal hat WIRTSCHAFT in Sachsen zur Erfolgsmacher-Reihe geladen. Der Saal ist ausverkauft, 320 Gäste warten gespannt darauf, was Dr. Busch erzählen wird. Das Thema des Abends ist Reizüberflutung und der Umgang mit Multitasking. Etwas, dass alle Menschen in der heutigen Zeit trifft und mehr oder weniger belastet. Egal ob beruflich oder privat, der permanente Strom an Informationen und Aufgaben überfrachtet unser Denken. Wir sind ständig online, erledigen alles gleichzeitig, kommen kaum noch zur Ruhe. Die Folgen von Dauerstress sind bekannt. Anspannung und Gereiztheit, Überforderung, Unzufriedenheit. Doch wie kann es uns gelingen, der Spirale von Dauer-Handykonsum und E-Mail-Flut zu entkommen und wieder Kraft und neue Energie zu tanken?

Da ist es hilfreich, einem erfahrenen Neurowissenschaftler wie Dr. Busch genau zuzuhören. Ein Blick ins Gehirn verrät uns direkt, was die Ursache für unseren Zustand der Dauernervosität ist. Unser Präfrontaler Cortex, oder auch einfach Frontallappen im Gehirn, verantwortlich für unseren bewussten Willen und unser zielgerichtetes Handeln wird permanent gestört vom Anterioren Cingulären Cortex. Dieser wiederum sendet nämlich Impulse zu Neugierde, und drängt uns, Neues entdecken und auszuprobieren. Das sogenannte „Top Down – Bottom Up“ sorgt im gesunden Ausgleich für die Verarbeitung neuer Reize. Überwiegt der Bottom Up Teil und kommen wir nicht dazu, uns ausreichend Ruhezeiten zu gönnen, passiert Folgendes: Wir entwickeln Züge von ADHS, einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung.

Digitalisierung: Volksseuche oder Panikmache?

Durch die zunehmende Digitalisierung, deren Vorteile, wie den schnelleren Zugang zu Informationen, „wir auch alle genießen dürfen“, sei es bedenklich, dass damit einhergehend die Fähigkeit, uns auf eine Sache zu konzentrieren, nachlässt. Wir können uns nicht mehr fokussieren, unsere Denkgenauigkeit und –ausdauer nimmt ab. Konkrete Zahlen belegen, dass jeder Arbeitnehmer heute durchschnittlich 11,7 Unterbrechungen pro Aufgabe hat und lediglich 10,5 Minuten ungestört arbeiten kann. In Trendzeiten von Großraumbüros und Co-Working-Spaces dürften sich diese Zahlen noch verschärfen. Kaum zu glauben, aber nach einer nur 1-minüten Unterbrechung sind wir erst wieder in der Lage, nach weiteren 5-8 Minuten wieder voll konzentriert an unserer Aufgabe zu arbeiten. „Nur eine kurze Unterbrechung, zerschlägt viel geistiges Porzellan.“ so Busch.

Busch räumt auch mit dem Mythos Multitasking auf. Was wir denken, gleichzeitig tun zu können, sei nur „quasiparallele“ Informationsverarbeitung. In Wirklichkeit, können wir bei intellektuellen Leistungen zwar schnell umschalten, aber trotzdem immer nur eine Sache nach der anderen machen. Es sei eher hinderlich, es sogar zu versuchen. Denn alleine durch die Bemühungen, unsere Mails zum Beispiel schon während des Meetings zu beantworten, brauchen wir nicht nur 30% länger für diese Tätigkeiten, wir machen auch noch 20% mehr Fehler. Wertvolle 50 Minuten verliere ein Arbeitnehmer durch den ständigen Aufmerksamkeitswechsel so im Schnitt an nur einem Arbeitstag. Und nicht nur das, wenn der Chef uns dann gezielt anspricht und wir nur verlegen herumstottern, verlieren wir durch den missglückten Versuch von Multitasking auch noch temporär 10 IQ Punkte und wirken unkonzentriert, abgelenkt und unhöflich.
„Unser Gehirn ist nur dann gut, wenn es zur Ruhe kommt und wenn es dann, wenn es gefordert ist, sich ganz auf eine Sache konzentrieren darf.“
Busch rät dazu, genau abzuwägen, was unsere volle Konzentration verlangt und wem oder was wir unsere ganze Aufmerksamkeit schenken. Das sei auch eine Art von Wertschätzung unserem Gegenüber. Wir sollten wieder lernen, einander genau zuzuhören, uns auf eine Sache zu
konzentrieren und über Dinge in Ruhe nachzudenken. Durch Genauigkeit und bewusste Handlung verbessere sich unsere Wahrnehmung und Fehler ließen sich vermeiden. Pilotprojekte bei Lufthansa und Peek & Cloppenburg, eine „Fokuszeit“ oder „Stille Stunde“ am Tag in Unternehmen einzuführen, seien sehr erfolgreich. Diese Stunde sollte frei von Unterbrechungen jedweder Art sein und für Erledigungen der besonders wichtigen Aufgaben reserviert sein. Schon diese eine Stunde würde genügen, um nachweislich effizienter zu arbeiten, unsere Leistungsfähigkeit zu steigern und uns abends zufriedener nach Hause gehen zu lassen. Eine Stunde konzentriertes, ungestörtes Arbeiten führe sogar dazu, dass wir unser Gehirn entspannen und sich unsere Nervenzellen wieder regenerieren. Ähnliche Effekte hätten auch Hobbies oder Aktivitäten mit rhythmischen, wiederkehrenden Bewegungen, wie wandern, stricken, Gartenarbeit oder golfen. Wenn Jemand ohne Unterbrechung in etwas versinkt und sich richtig auf eine Sache einlässt, träte eine Art „Flow-Erlebnis“ ein und unsere Nervenzellen, die sonst asynchron schwingen, synchronisieren sich. „Menschen, sich immer wieder Tiefe schenken, sich im beruflichen und privaten nur auf eine Sache konzentrieren und sich nicht unterbrechen lassen, erleben eine effektive echte Demenzprophylaxe“ verrät Busch. Es sei das
größte Geschenk an uns selbst, uns immer wieder Moment solcher Tiefe einzuräumen.

„Wir sind geistig überall aber nirgends richtig“

Eindringlich apelliert Busch an uns, unserem Gehirn regelmäßig Pausen zu gönnen. Die wichtigste Eigenschaft in der Digitalisierung sei, dass wir lernen müssten, aktiv unsere Aufmerksamkeit zu steuern. Aufmerksamkeit und Konzentration könne man trainieren, in dem man nur 2-3 x am Tag versuche, sich bewusst nur mit einer Sache zu beschäftigen. Beim Essen den Fernseher ausmachen, während des Autofahrens das Radio leise drehen, sich mit einem Freund im Café treffen und unterhalten, ohne nebenbei auf`s Smartphone zu schauen. In Zeiten der „medialen Dauerbespaßung“ müssen wir erst wieder lernen, bewusst offline zu sein und loszulassen. Zwei Gigabyte Daten verarbeite unser Gehirn pro Minute, so Busch. Ein paar Stunden Schlaf reichen da nicht, um die Fülle, die auf uns einprasselt, zu verarbeiten. Wir müssten uns auch tagsüber reizarme Situationen schaffen, einfach mal nichts tun, um unserem Gehirn die Möglichkeit zu geben, „aufzuräumen“. Denn nur, wenn der Kopf ausgeruht ist, können wir kreativ und leistungsfähig sein und neue Ideen entwickeln. „Verzicht schenkt viel mehr als er uns nimmt, wenn wir uns darauf einlassen.“ Aufgrund der fehlenden Ruhephasen und Reizüberflutung, nehme die Kreativität flächendeckend seit Jahren ab, zitiert Busch aus einer aktuellen Studie. Es werde beobachtet, dass die nachfolgende Generation nicht mehr so kreativ ist, wie vor 15 Jahren. Das liege weder an fehlender Intelligenz oder Motivation sondern schlicht und ergreifend daran, dass Kindern und Erwachsenen heute der Freiräume für Langeweile fehle. Freiräume kämen uns unerträglich langweilig vor und wir versuchen sie mit permanentem Konsum zu füllen. Bereits Kindern werde alles ermöglicht, um sich nicht zu langweilen. Steigender Medienkonsum, Reizreichtum im Kinderzimmer töte jegliche kreative Entwicklung ab. „Aus Langeweile entstehen die eigentlichen Ideen“. Busch empfiehlt Kindern und Erwachsenen bewusste Ruhephasen. Wenn wir lernen, in bestimmten Momenten wieder auf digitale Medien zu verzichten, schenke uns der Verzicht weit mehr, als er uns nimmt. „Eine Gesellschaft wie wir, die digitalen Dingen hinterherjagt, die agil sein will und schnell sein will, darf nicht vergessen, wenn wir kreatives Potenzial entwickeln wollen, dann müssen wir uns Zeit geben zum Denken“. Eine gesunde Portion Ruhe und sinnvolle Aufmerksamkeitsgestaltung sei der Schlüssel zum Umgang mit Reizüberflutung und für einen klaren Geist und gesunden Verstand. „Wir wollen ein 24/7 Programm – aber unser Gehirn kann das nicht leisten“ mahnt Busch zum Schluss. Denn „die Zeit in der wir leben, ist die einzige, die wir gestalten können.“

Von Jana Striegler

Foto: Jürgen Lösel

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