Die Amerikanerin Deborah Hey will in der sächsischen Provinz ein Paradies für Motorradfahrer schaffen. Doch der Euphorie folgten Corona und viele andere Hürden.
Von Katrin Saft
Alles begann mit einem Traum: Deborah Hey will aus den USA auswandern, um in Europa ihr Glück zu suchen. Die Tochter einer Unternehmerfamilie aus Seattle ist es schon früh gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Sie ist der klassische Typ Powerfrau. „Gerade Straßen haben mich noch nie gereizt“, sagt sie – und meint damit nicht nur den Weg zum Erfolg, sondern auch ihre Leidenschaft. Hey liebt das Motorradfahren. Sie besitzt fünf Bikes: zwei BMW, zwei Triumph und eine Royal Enfield. An einer sechsten, einer Simpson, schraubt sie in ihrer Freizeit. Doch die ist rar geworden. Denn Hey hat das gewagt, was viele verrückt nennen würden: Sie kaufte ein verfallendes Schloss in der sächsischen Provinz.
„In Amerika gibt es keine Schlösser“, sagt sie. Schloss Mutzschen, zwischen Grimma und Oschatz, erschien ihr perfekt: Ein stiller Ort, dessen barocker Charme sich hinter wuchernder Vegetation, Spinnweben, zerbrochenen Fenstern und bröselnden Fassaden verbarg. Eine schlafende Schönheit, die Hey erwecken will. Ihr Lebenstraum: Ein Paradies für Motorradfahrer schaffen, mit allem, was das Bikerherz begehrt. Ein Ort, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen, auszutauschen und zu feiern – mit gutem Essen, Live-Musik, Events und Übernachtungsmöglichkeiten. Ein temporäres Zuhause auch für Weltenbummler, die eine Pause brauchen und sich etwas Geld für die Weiterreise verdienen wollen. Der Name „Motosoul“ soll dabei Programm sein. Heute, sechs Jahre später, steht die Schlossherrin vor der noch immer unsanierten Schlossfassade: uneitel in Jeans und Shirt, die grau gewellten Haare zusammengebunden. „Ich wusste, dass es nicht einfach wird“, sagt sie, „aber mit Corona und seinen Folgen konnte niemand rechnen.“
Die Euphorie war anfangs so groß wie die Freude der Anwohner. Denn das denkmalgeschützte Schloss aus dem 17. Jahrhundert stand jahrelang leer. In der DDR lernte hier die Bezirksjugend, später diente es als Jugendherberge und Heimatmuseum – bis es 2003 aus Brandschutzgründen gesperrt wurde. Alle Pläne, zum Beispiel für ein Naturheilzentrum, zerschlugen sich. Kein Geld. Die Amerikanerin verhieß die Rettung. Und so verkaufte die Stadt Grimma das Schloss an Hey für einen symbolischen Euro – obwohl es, so betont OB-Sprecherin Marlen Sandmann, einen Verkehrswert von einigen Hunderttausend Euro hat.
Deborah Hey ließ zunächst das 1754 erbaute Torwächterhaus mit dem Barocktürmchen sanieren. Früher wohnte hier der Schlossverwalter, im Sommer 2017 eröffnete dort das „Soul Kitchen“, ein Restaurant nach dem Vorbild des American Diners. In Filmen sieht man meist das klassische 50er-Jahre-Diner, in Rot und Silber möbliert, gelegen an der Route 66 mit viel Elvis-Charme. „Doch das sind wir nicht“, sagt sie. Das echte American Diner liege an abgelegenen Landstraßen in kleinen Orten, vergleichbar mit Mutzschen, und serviere lokale Spezialitäten nach alten Familienrezepten.
Im „Soul Kitchen“ gibt es Pommes mit Burgern, die wie Motorräder heißen. An der Bar schenkt Cousin Chris Whisky, Rum und Shots aus. Hey hatte alles mehrfach durchgerechnet. Schließlich war sie mal Präsidentin der „Entrepreneurs Organization“ – einem weltweiten Netzwerk von über 17.000 Unternehmern. Ihr ehrgeiziges Ziel für Mutzschen: acht Millionen Euro Jahresumsatz – wenn zur Gaststätte noch Hotel, Campingplatz und Veranstaltungen kommen.
Doch das Areal ist ein Fass ohne Boden. Sechs Hektar Land mit Schlosspark und insgesamt acht Gebäuden gehören dazu. Die Hoffnung, dass ein Investor mit einsteigt, erfüllte sich nicht. Mutzschen ist ein abgelegener Ortsteil von Grimma, in den sich kaum jemand zufällig verirrt. Und dann kam die Pandemie. „Wir mussten 16 Monate schließen“, sagt Hey.
2020 erhielt sie vom Freistaat den Sächsischen Gründerinnenpreis. Sie schöpfte Mut, lernte dadurch andere Unternehmerinnen kennen. „Mein Vater sagt immer: Mach einfach, trage das Risiko! Fehler sind dabei nur Lehrstücke.“ Doch ohne Einnahmen keine Investitionen. Im Schloss, das Hotel werden soll, gibt es bis heute kein Wasser, keine Heizung. Nicht nur die Elektrik ist veraltet. Allein die Schlosssanierung, schätzt Hey, kostet etwa drei Millionen Euro. Die deutsche Bürokratie und die für amerikanische Verhältnisse ungewohnt langen Genehmigungswege machen ihr zu schaffen. „Bei der Schlosstür zum Beispiel warten wir schon Monate auf eine Entscheidung des Denkmalschutzes“, sagt sie. Es geht darum, welche Farbe sie haben darf.
Seit Juni hat das „Soul Kitchen“ wieder geöffnet – allerdings nur noch freitags bis sonntags 17 bis 22 Uhr. Denn der Koch ist in der Zwischenzeit abhandengekommen, „Wir suchen dringend einen Nachfolger, der die Leidenschaft fürs Essen mit der fürs Motorradfahren vereint“, sagt Hey. Das sei sehr schwer, zumal das Schloss mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen sei. Ihr Team bestehe jetzt aus zwölf Mitarbeitern. Da müsse jeder alles können.
Alles wird teurer
Im Biergarten, unter den großen schattigen Bäumen, sitzen nun vor allem Nicht-Motorradfahrer aus der näheren Umgebung. Viele Biker, selbst aus Sachsen, haben noch nie etwas vom Motosoul gehört. Aus einer Box auf der Schlosstreppe schallt Country-Musik. „Stammgäste, die früher zwei, drei Mal im Monat kamen, sind jetzt nur noch einmal da“, sagt Hey. Denn auch sie habe die Preise erhöhen müssen, weil alles teurer geworden sei: Lebensmittel, Strom, Personal. Der Burger der Woche mit Hähnchen im Conflakes-Mantel, Mozzarella und Pommes kostet 15,90 Euro, der Erdnussbutter-Brownie sechs Euro. Hey hofft, dass sie ihren Traum durch Einnahmen aus Gruppen-Events weiter leben kann. Im Juni waren die Motorradfrauen Petrolettes da, im Juli BMW und im August Oldtimer-Fans. Im Erdgeschoss des Schlosses stehen lange Tafeln, die auch für Hochzeiten ein willkommenes Ambiente darstellen. Es gibt eine Lagerfeuerstelle. Und vor der großen Bühne im Schlossgarten finden bis zu 6.000 Menschen Platz. „Alles geht nur step by step“, sagt Hey.
Allerdings sieht der Kaufvertrag mit der Stadt Grimma klare Investitionsverpflichtungen vor. „Mit unserem großzügigen Entgegenkommen beim Kaufpreis erwarten wir natürlich, dass diese Verpflichtungen erfüllt werden“, sagt Sprecherin Sandmann. Zu Details möchte sie sich nicht äußern – „aus Datenschutzgründen“. Hey war gerade auf Kurzurlaub in den USA, wo ihre beiden Söhne leben. Ob sie ihre Entscheidung für Mutzschen bereue? „Nein“, sagt sie entschlossen. „Ich bin gerne hier.“ Denn in Deutschland sei es sicher und die Menschen hätten eine gute Work-life-Balance. „Und ja, natürlich bin ich manchmal müde. Aber dann denke ich wieder: Let‘s go!“ Gerade Straßen seien schließlich nicht ihr Ding.
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