Radeberg. Steffen Köhler kennt die Radeberger Brauerei vermutlich so gut wie nur wenige Mitarbeiter im Betrieb. 1981 hat er dort seine Lehre zum Elektriker begonnen, heute arbeitet der Großröhrsdorfer immer noch im Unternehmen. 44 Jahre im selben Betrieb, das gibt es heutzutage nicht mehr so häufig.
Es bedeutet aber auch: Steffen Köhler weiß genau, wovon er spricht. Seit knapp zehn Jahren ist er im Betriebsrat, aktuell ist er dessen stellvertretender Vorsitzender. Und das Gefühl, wenn es um seinen Arbeitgeber geht, beschreibt der 60-Jährige derzeit so: „Frust.“
Dieser Frust hat sich seit Donnerstagfrüh in einem mehrtägigen Streik Bahn gebrochen. Erst am Sonntagabend um 22 Uhr wird die Nachtschicht wieder ihre Arbeit aufnehmen. Das bedeutet zwei volle Tage eingeschränkter Betrieb. An Samstagen und Sonntagen wird in Radeberg nur ausnahmsweise gearbeitet.
Etwa 70 Mitarbeiter im Arbeitskampf
Los ging es am Donnerstagmorgen um 5 Uhr, als die Nachtschicht frühzeitig ihre Arbeit stoppte – der Arbeitskampf begann. Eigentlich arbeitet die Nachtschicht bis 6 Uhr. Bei Radeberger wird im Drei-Schicht-Takt von Sonntagabend, 22 Uhr, bis Freitagabend gearbeitet.

Quelle: privat
Nach Angaben des Betriebsrats haben etwa 70 Mitarbeiter am Streik teilgenommen, sie alle arbeiten direkt in der Produktion oder produktionsnahen Bereichen – vom Braukessel bis zur Abfüllung. Das entspricht in etwa der Hälfte aller Kollegen in der Produktion. Die übrigen der insgesamt 250 Radeberger-Mitarbeiter am Standort sind in der Verwaltung beschäftigt.
Steffen Köhler hat Verständnis dafür, dass nicht die gesamte Produktionsbelegschaft am Arbeitskampf teilgenommen hat. „Manche Kollegen sind in der Probezeit, manche haben befristete Verträge“, sagt er. „Die hatten Angst, sich am Streik zu beteiligen.“ Aus der Verwaltung habe niemand seine Arbeit niedergelegt.
Von den zwei Abfüllanlagen, die die Brauerei in Radeberg betreibt, steht nun seit den frühen Donnerstagmorgenstunden eine komplett still, die andere läuft mit geringerer Leistung. Die Ausfälle beim Abfüllen führten in der Folge auch zu Auswirkungen bei der Logistik.
Kein Angebot der Arbeitgeberseite
Bereits Ende Juni haben in Radeberg viele Kollegen einen Warnstreik durchgeführt – damals für vier Stunden. „In der ersten Verhandlungsrunde hat die Arbeitgeberseite noch nicht mal ein Angebot vorgelegt“, kritisiert Steffen Köhler.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert für die Beschäftigten in Sachsen und Thüringen sieben Prozent mehr Lohn, mindestens 300 Euro zusätzlich. Für Auszubildende sollen die Bezüge um 100 Euro steigen.
Die Gewerkschaft will jetzt mit der zweiten Streikwelle den Druck in den Lohnverhandlungen erhöhen. Die Streiks treffen neben der Radeberger Brauerei auch das Freiberger Brauhaus, die Sternburg Brauerei in Leipzig und die Krostitzer Brauerei in Nordsachsen.
Lohnunterschiede zwischen Ost und West
„Das letzte Mal habe ich vor über 30 Jahren gestreikt“, berichtet Steffen Köhler. Doch nun gehe es nicht mehr anders. „In anderen Bundesländern gibt es entweder neue Tarifabschlüsse oder zumindest liegen Angebote vor“, sagt er. „In Sachsen und Thüringen hinken wir total hinterher. Dabei sind die vier sächsischen Betriebe die, bei denen das Geld verdient wird. Unsere Marken sind die, bei denen es läuft.“
Aus der Verwaltung haben sie alle nur aus dem Fenster geschaut. – Steffen Köhler, Stellvertretender Betriebsrat der Radeberger Exportbierbrauerei
Nach wie vor werde in Radeberg in Vollzeit 38,5 Stunden gearbeitet, „in den anderen Bundesländern sind es 37 oder 38 Stunden.“ Die Benachteiligung mache sich vor allem auch im Gehalt bemerkbar. „Man fühlt sich in Sachsen wie ein abgehängtes Glied“, sagt er. „Wie ein Billiglohnland.“ Der Lohnunterschied beträgt den Angaben der Gewerkschaft zufolge über 4000 Euro im Jahr – ohne Zuschläge.
Das Lohngefälle zwischen Ost- und Westlöhnen werde nun sogar noch verschärft, da die anderen Bundesländer ihre Tarifabschlüsse hätten oder kurz davor stünden. „Diese Ungerechtigkeit seit 36 Jahren macht mich traurig.“
Steffen Köhler hätte es auch schön gefunden, wenn sich während der Streikkundgebung am Donnerstag jemand aus der Geschäftsleitung bei den Streikenden blicken lassen und das Gespräch gesucht hätte. „Aber da ist niemand gekommen“, sagt er. „Aus der Verwaltung haben sie alle nur aus dem Fenster geschaut.“
Weitere Streiks sind möglich
Die Arbeitnehmer warten jetzt auf ein Angebot der Arbeitgeberseite. Die nächste Tarifverhandlung ist für den 14. August angesetzt. „Bis dahin sind weitere Streiks möglich“, sagt Steffen Köhler.
Die geforderte Lohnerhöhung sei „jenseits dessen, was der Markt erlaubt“, hatte bereits am Donnerstag Hendrik Wagner, Pressesprecher der Radeberger Exportbierbrauerei, gesagt. Laut Radeberger Gruppe ist der Bierabsatz in Deutschland im Jahresvergleich um rund sieben Prozent gesunken. Daher müsse „auch für die Löhne Augenmaß gelten“.
Was sagt Steffen Köhler dazu? „Das kann für uns kein Grund sein, uns schlechter zu bezahlen als die Kollegen in anderen Bundesländern. Der Arbeitgeber hat andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Der Trend geht zu alkoholfreien Bieren und Mixgetränken. Da müsste man vielleicht mehr in diese Richtung gehen.“
SZ


