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Dresden fehlen Flächen für Mittelständler: Die Kleinen zahlen den Preis für TSMC & Co

Gewerbeflächen in und um Dresden sind rar und teuer – auch, weil Chipriesen die Preise hochtreiben. Zu hoch für ortsansässige und branchenfremde Unternehmen, die ebenfalls wachsen wollen.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht den Dresdner Norden.
Im Dresdner Norden drehen sich die Baukräne, wie hier für die Erweiterung von Infineon. Sachsens Landeshauptstadt setzt auf die Chipbranche, bereitet Großkonzernen das Feld – und vergisst dabei den einheimischen Mittelstand. © kairospress

Von Michael Rothe

Nein, Lutz Leuthold jubelt nicht über die Ansiedlung von TSMC und anderen Schwergewichten in Dresden. Dabei übertreffen sich Sachsens Entscheider mit Superlativen seit feststeht, dass der taiwanesische Halbleiterhersteller dort gemeinsam mit Bosch, Infineon und NXP Semiconductor eine Chipfabrik (ESMC) bauen und 2027 unweit des Flughafens 2.000 Jobs schaffen will.

Oliver Schenk (CDU), Chef von Sachsens Staatskanzlei, bringt es auf den Punkt: Die Investition stärke „Europas größtes Mikroelektronikcluster, Silicon Saxony, und sorgt in Deutschland und der EU für mehr technologische Unabhängigkeit gegenüber Asien und Amerika sowie Souveränität in einer Schlüsselbranche für die digitale und grüne Transformation“.

Vom Projekt, das dem Staat fünf Milliarden Euro Förder-Steuergeld wert ist, „werden auch kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe nachhaltig profitieren“, ist Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) überzeugt. Er verspricht: „Wir wollen die neuen großen Ansiedlungen der Halbleiterindustrie in der Landeshauptstadt und deren Auswirkungen begleiten und befördern.“ Auch viele Bestandsunternehmen planten Erweiterungen oder realisierten diese bereits, weiß Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP). Er rechne mit weiterem „Wachstum, das heute noch gar nicht absehbar ist“.

Dresden bei Erschließung von Flächen Jahre in Verzug

Lutz Leuthold wäre gern Teil dieses Booms. Denn der Kfz-Mechaniker und Betriebswirt hatte große Pläne: keine klassische Werkstatt, sondern ein innovatives Servicecenter für Mobilität mit variabler Arbeitsbühne und Wartung von Autos aller Art, inklusive Letzte-Meile-Fahrzeugen für Lieferanten und Zusteller. Doch der 46-Jährige fühlt sich ausgebremst. Von Amts wegen. Sein Vorwurf: Bei der Förderung von Großinvestitionen durch den Freistaat blieben ansässige kleine und mittlere Betriebe auf der Strecke. Dabei machten sie 95 Prozent von Sachsens Wirtschaft aus.

Der Unternehmer war 2001 mit einer Freien Werkstatt in Ottendorf-Okrilla gestartet. 2003 hatte er in Dresden-Klotzsche ein insolventes Autohaus übernommen und neu aufgestellt. Doch die verwinkelte Adresse war keine Lösung für die Ewigkeit. Er erfuhr, dass die Landeshauptstadt das Gewerbegebiet „Am Rähnitzsteig“ am Flughafen erschließen will und signalisierte Interesse für ein Baufeld mit 5.900 Quadratmetern. „In zwei, drei Jahren sollte die Erschließung beendet sein. Doch erst 2019, sechs Jahre später als geplant, wurde das Areal ausgeschrieben“, erzählt Leuthold.

Es folgten ein Hin und Her aus Zu- und Absagen, geänderte EU-Beihilferegeln, die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, eine neue Ausschreibung. Und Schweigen von der Stadt. Ein angebotenes Alternativgrundstück lehnte der Unternehmer ab, weil zu klein und ohne Erweiterungsoption. Im Januar 2020 kam schließlich die Zusage fürs Grundstück. „Das war Freude pur nach fast zehn Jahren Kampf“, erinnert er sich. Doch dann: Corona und Lockdown.

Interessierte Konzerne treiben Bodenpreise hoch

Banken versagten der Autobranche Kredite. Leuthold musste sich neue Financiers suchen. Zudem kündigte die Stadt ein neues Bodengutachten an, weil sich der Grundstückspreis erhöhen werde. Ursache: Der Tabakriese Philip Morris und der Auch-Chiphersteller Robert Bosch hätten für die gekauften Grundstücke weit über dem Marktpreis geboten und so den Bodenrichtwert hochgetrieben. Doch der Unternehmer hatte keine Alternative und blieb dran.

Aber der Vorgang zog sich. Im Herbst habe die Stadt plötzlich auf einen Kaufabschluss bis Ende 2021 gedrängt, sonst würde er den Zuschlag verlieren. „Da habe ich erstmals erfahren, dass der Zuschlag zeitlich begrenzt ist“, beteuert er. Leuthold erhielt eine Frist bis Februar 2022. Neue Hoffnung: Die Sparkasse Meißen zeigte sich Projekt und Finanzierung aufgeschlossen.

Doch dann: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beerdigte die Förderung energieeffizienter Neubauten – von Leuthold fest einkalkulierte 690.000 Euro. Der Genervte bat die Stadt um ein halbes Jahr Aufschub, weil er notgedrungen kleiner planen musste. Vergeblich, „obwohl ich sechs Jahre auf die Stadt warten musste“, schimpft er, der immer wieder erinnert habe, dass es um seine Existenz gehe.

Die Stadt hat nur eine Fläche von 18 Fußballfeldern frei

Am 1. April 2023 hat Leuthold seine Werkstatt geschlossen, auf den Tag 20 Jahre nach ihrem Start – und zwischen den Ankündigungen einer zweiten Fabrik von Infineon und dem ESMC-Neubau. „Ich verstehe, dass sich die Stadtväter so große Fische nicht entgehen lassen wollen“, sagt der gescheiterte Unternehmer. Aber der Fokus werde zu sehr auf eine Branche gelegt. Mit gleicher Ernsthaftigkeit müssten sich Entscheider für hiesige Mittelständler engagieren, so seine Botschaft. Tischler und Metallbauer könnten keine 200 Euro pro Quadratmeter zahlen, auch keine Mieten, die ein Chipzulieferer zu löhnen bereit sei. Aus Stadtratskreisen heißt es, Dresden plane seine Gewerbeflächen vorzugsweise für die Halbleiterbranche, ihre Zulieferer und Servicebetriebe.

Ex-Unternehmer Lutz Leuthold im Januar 2024 am lange für ihn reservierten Grundstück unweit des Dresdner Flughafens. Dort baut jetzt ein Dienstleister für die Chipindustrie.© kairospress

Nach Informationen von Saechsische.de waren Dresdens neun kommunale Gewerbegebiete im Februar insgesamt zu rund 90 Prozent ausgelastet, von knapp 113 noch gut 13 Hektar frei – die Fläche von etwa 18 Fußballfeldern. Ein zehntes, aber kleines Areal im Stadtteil Reick wird derzeit als Wissenschaftsstandort ertüchtigt. Laut Wirtschaftsförderung der Stadt sind 17 gewerbliche Baufelder mit einer Größe von 1.200 Quadratmetern bis 2,5 Hektar verfügbar. Die sieben privaten Gewerbeparks waren ähnlich gut belegt, von 228 noch 40 Hektar zu haben – was etwa 56 Fußballfeldern entspricht. Die Hatz um die wenigen freien Flächen ist längst entbrannt.

Die Dresdner Industrie- und Handelskammer (IHK) nennt das Thema „äußerst prekär“. Es müssten dringend neue Gebiete entwickelt werden, fordert Hauptgeschäftsführer Lukas Rohleder. Erfolgte Verdichtung, Eigentumsverhältnisse, Konkurrenz durch den Wohnungsbau und die topographische Lage im Elbtal machten eine Ausweitung aber schwer bis unmöglich. „Hinzukommen bereits avisierte Zulieferfirmen, die die TSMC-Ansiedlung begleiten werden, und ihrerseits Flächenbedarf signalisieren, im Idealfall nahe dem Auftraggeber“, so der IHK-Chef. Für Dresden sei es „immanent wichtig“, mit dem Umland zusammenzuarbeiten, um einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu entwickeln. Das betreffe wegen Tausender Neudresdner auch die Verfügbarkeit von Wohnraum.

Auch das Handwerk braucht Areale, um zu wachsen

Immerhin können Sachsens Kommunen ab sofort und noch bis zum 2. Juli bei der Aufbaubank erneut Fördermittel für Bebauungs- und Flächennutzungspläne zur Entwicklung von Gewerbe- und Industrieflächen beantragen, hieß es am Mittwoch aus der Staatskanzlei. Dafür stünden 2024 vier Millionen Euro zur Verfügung. Unter den Bewilligungskriterien ganz oben: „landes- und bundespolitisches Interesse“ und „Zukunfts- und Schlüsseltechnologien“.

„Auch Handwerksbetriebe benötigen zur Umsetzung ihrer Wachstumspläne Gewerbeflächen“, reklamiert Andreas Brzezinski, Chef der Dresdner Handwerkskammer. „Ziel sollte es sein, den Servicegrad von Großansiedlungen als Benchmark zu definieren, um ähnliche Standards für Handwerk und Mittelstand zu erreichen“.

Für Lutz Leuthold käme das zu spät. Er habe „sicher nicht alles richtig gemacht, bei so einem Großprojekt sicher normal, aber die Fehlentscheidungen der Stadt waren schon entscheidend für mein Scheitern“. Das sagt ein Mann, der alles – „locker eine halbe Million Euro“ – auf eine Karte gesetzt hat. Bis auf eine kleine Stellplatzvermietung für Wohnmobile habe er nichts mehr, gesteht der Ex-Unternehmer, der nun bei einer Druckluftfirma angestellt ist.

Auch ein Jahr nach dem Aus umtreibt es ihn, kann Lutz Leuthold nicht loslassen. Das Areal, mit dem er wachsen wollte, hat derweil ein Dienstleister der Chipindustrie bekommen – zumindest ein ortsansässiger.

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