Dresden. Gerade mal zwei Zentimeter im Durchmesser ist der blaue Kunststoffring groß. Finn Jaekel hält ihn zwischen zwei Fingern ins Lampenlicht. Seit drei Jahren forscht der Doktorand des Fachgebietes Bioelektronik am Institut für Angewandte Physik der TU Dresden an diesem Bauelement. „Die beschichteten Folien enthalten Dünnfilm-Elektronikbauteile aus organischen Halbleitern, die Messgrößen wie Temperatur, PH-Wert und andere Parameter in Echtzeit erfassen können“, sagt Jaekel.
Irgendwann soll genau dieses Teil den Heilungsprozess nach einer Operation überwachen. Speziell solche Fälle, in denen getrennte Gewebeabschnitte miteinander verbunden werden, wie das beispielsweise bei Eingriffen nach Darmkrebs, Entzündungen oder Verletzungen des Darms nötig ist. In dem Fall würde dann das neu entwickelte Bio-Sensorsystem an die Verbindungsstelle gebracht. Es kann dort Bio-Daten direkt erfassen. Dieses System wurde soeben zum Patent angemeldet.
Tausende Versuche bis es klappt
Um eine optimale Genauigkeit für das geplante Sensorsystem zu erreichen, hat Finn Jaekel Tausende Proben unterschiedlicher Dicke untersucht. Zunächst nutzte er für das Auftragen der Schichten im Reinraumlabor seines Instituts eine thermische Verdampfungsanlage, wegen ihrer Form von den Wissenschaftlern auch Ufo genannt. Inzwischen konzentriert sich Jaekel auf die Fertigung mit dem Siebdruck-Verfahren. Die Methode hat sich im Laufe der vergangenen Monate als effektiver erwiesen. „Innerhalb von 10, 20 Minuten kann so eine größere Stückzahl hergestellt werden. Beim Verdampfungsprozess dauert es länger“, erklärt der Wissenschaftler.
Getestet wird dieses neuartige Sensorsytem jetzt bei dem interdisziplinären Projekt für den Darm, berichtet Institutsdirektor und TU-Professor Karl Leo. Anwendbar ist es aber auch bei Operationen an anderen Organen.
Doch warum gerade die ersten Chip-Versuche am Darm? Weil es dort immer wieder zu Komplikationen mit der Heilung kommt. Ebenso wie an der Speiseröhre und am Magen. Gleich drei Medizinprofessoren sind im Projekt dabei: der Internist Jochen Hampe vom Uniklinikum Dresden sowie seinen chirurgischen Kollegen Sebastian Hinz und Clemens Schafmayer von der Universität Rostock. Letztere gaben den Anstoß zu diesem Sensor-Projekt gemeinsam mit den Physikern.
„Bei etwa fünf Prozent aller Operationen am Darm und 15 Prozent an Speiseröhren entstehen Probleme an den Nahtverbindungen“, sagt Jochen Hampe. „Derzeit haben wir keine Möglichkeit, Undichtigkeiten an diesen Stellen früh zu erkennen und damit eine lebensbedrohliche Lage mit Bauchfellentzündung und Blutvergiftung beim Patienten rechtzeitig abzuwenden.“ Mit dem neuen elektronischen Bauelement sei dies indes möglich.

Quelle: Thomas Kretschel
Komplikationen können die Ärzte damit erkennen, bevor es dem Patienten schlecht geht. Signalisieren die Sensoren, dass sich beispielsweise an einer undichten Stelle im Darmbereich Flüssigkeiten absondern, könnten die Ärzte umgehend eingreifen.
Zudem ist es Ziel dieses Forschungsprojekts, dass sich das Material dieses Sensorsystems etwa innerhalb eines halben Jahres selbst auflöst, also keine weiteren Eingriffe nötig wären.
Für die Patienten und nicht zuletzt die Ärzte, die am Operationstisch stehen, ist eine solche Entwicklung bahnbrechend. So dürften nicht nur Professor Hampe und seine Kollegen in Rostock dringend auf das Bauelement warten, mit dem eine erhöhte Sicherheit für die Patienten verbunden ist. Hinzu käme der finanzielle Aspekt, sagt Leo. Während ein solches Sensorsystem lediglich einige 100 Euro kostet, würden bei aufwendigen und schwierigen Nachoperationen einige 10.000 Euro zusätzliche Kosten zusammenkommen.
Aufwendige klinische Tests stehen noch bevor
Damit diese Entwicklung schnell in die Kliniken kommt, fördert sie die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über drei Jahre hinweg mit an die 300.000 Euro. Allerdings dämpft Karl Leo allzu schnelle Erwartungen. Vor einer Anwendung in der Praxis stehen noch einige Forschungen und vor allem aufwendige klinische Studien. Alles zusammen dauere wohl noch an die sieben bis acht Jahre, sagt Karl Leo.
Momentan wird das Sensormaterial in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Rostocker Universität an Schweinen getestet. „Ein Schritt, der leider unabdingbar für die weitere Entwicklung und die Rettung von Menschenleben ist“, sagt der Wissenschaftler, wohl wissend, dass es genau an diesem Bereich der Forschungen Kritiker gibt.
Eines versichert aber Doktorand Finn Jaekel, der in Rostock bei den Tests dabei ist: „Die Tiere leiden nicht. Die Operationen finden wie bei den Menschen unter Betäubung statt.“ Die ersten Versuche seien vielversprechend, sagt Jaekel und damit eine Voraussetzung für den ersten klinischen Einsatz.
Nach der Patentanmeldung haben die Wissenschaftler die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zu publizieren und eine Ausgründung aus dem Institut für Angewandte Physik zur Herstellung des Sensorsystems vorzubereiten. Langfristig werde man dazu aber mit Herstellern von Medizinprodukten zusammenarbeiten, sagt Leo. Parallel dazu sollen die Forschungen bis zur Praxistauglichkeit dieser „intelligenten Dichtung nach Darmoperationen“ weitergehen.
SZ