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Durch die Bunkerwelt zum Goldzug

Unter Jelenia Góra hat ein polnisches Unternehmen eine Erlebniswelt geschaffen – mit Mythen und Geschichten.

Lesedauer: 3 Minuten

Das Wasser läuft und läuft. Sprudelt aus einem großen Stahl-Hahn, der scheinbar nirgendwo in ein Rohr mündet. Eine optische Täuschung? Emil Foniók lächelt und schweigt. Dieses Geheimnis lüftet der junge Mann nicht. Es soll schließlich magisch zugehen in dieser unterirdischen Welt, die am Rand vom Zentrum Jelenia Góras (Hirschberg) liegt. „Time Gates“ – „Zeittore“ heißt das Tunnelsystem, das die polnische Firma Arado in eine Mischung aus Museum, Geschichtspfad und mystischem Abenteuerpark umgestaltet hat.

Betonboden, gemauerte oder ausgehauene Wände, immer acht Grad plus. Emil Foniók führt zuerst an die Bar. Die ist natürlich auch unterirdisch eingerichtet. Der Kawa (Kaffee) kostet sieben Zloty, der Tee fünf Zloty. Es gibt rustikale Tische und Bänke aus Holz. Auf den Tischen stehen Mikroskope – zur Dekoration.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden unter dem sogenannten Kavaliersberg von Hirschberg die ersten Sandsteinkeller angelegt. Manche sind acht Meter hoch. Genutzt wurden sie als Lager für Wein und Bier durch das oberirdische Restaurant „Felsenkeller“, in dem sich heute ein Schulungszentrum für Kraftfahrer befindet.

Emil Foniók beginnt mit der Führung. Nur bei einer solchen können Besucher das Tunnelsystem besichtigen. Wenige Schritte sind es von der Bar zum „ersten Haupttor“, wie der junge Mann erklärt. Durch das Tor geht es in einen kurzen Stollen. An dessen Ende steht eine Art Ring, auf dem Runen zu sehen sind. Eine Kette verwehrt den den nahen Zutritt. Weg mag, kann sich auf Holzbänke setzen. Und wer einen Herzschrittmacher hat, sollte sich ganz fernhalten. Denn hier erzeugt Foniók gleich ein bis zwei Millionen Volt an elektrischer Spannung, so sagt er zumindest. Der Tunnelführer schaltet das Licht an und eine Art Licht-Sound-Gerät geht an. Grelle Blitze schießen von oben und den Seiten aus dem Ring und aus einer Art Ständer in der Mitte. Nur durch die elektrische Spannung wird Musik erzeugt. Klänge aus dem Hollywoodfilm „Fluch der Karibik“ sind beispielsweise zu erkennen. Die Begeisterung des Arado-Teams für das Thema Film wird spürbar. Das Unternehmen mit Sitz in Kamienna Góra (Landeshut) hat auch in Breslau ein unterirdisches Erlebnisreich geschaffen – eines mit Filmkostümen und Requisiten.

Die „Zeittore“ von Jelenia Góra wurden 2018 zwei Tage vor Heiligabend eröffnet. „Die Leute haben uns überrannt. 400 Besucher kamen schon am ersten Tag“, erzählt Emil Foniók. Bis Anfang Februar waren es 4.000 Gäste. Für sie stehen Betreuer bereit, die englisch und natürlich polnisch sprechen. Wer eine Führung auf Deutsch erleben möchte, sollte sich vorher anmelden.

Der nächste Tunnel. Und da steht er – der legendäre Goldzug. Der Nachbau eines Panzertriebwagens Nummer 16. Ein Koloss. Davor liegen geöffnete Holzkoffer in denen Goldbarren glänzen. Echt? Natürlich nicht. Hier greifen die Arado-Leute auf, was 2015 für Wirbel sorgte. Ein deutsch-polnisches Hobbyforscherteam hatte damals behauptet, das unter Waldenburg ein Zug stehen würde. In diesem befinde sich von den Nationalsozialisten beiseitegeschafftes Gold. Seitdem sucht das Team danach. Bislang erfolglos. Der deutsche Partner ist inzwischen aus dem Projekt ausgestiegen. Der Pole Piotr Koper gräbt weiter. Ob er von dem Projekt in Jelenia Góra weiß, kann Emil Foniók nicht sagen. „Gemeldet hat er sich bei uns nicht.“

Kriegsgefangene bauten Tunnel aus

Emil Foniók löst per Knopfdruck einen Luftschutzalarm aus. Die Besucher hören eine Sirene, Stimmengewirr – ein Flugzeugangriff wird simuliert. Die Arado-Leute haben ein Faible für die Weltkriegsgeschichte, inszenieren sie anhand von originalen oder nachgestalteten Objekten.

Historisch betrachtet sind sie dafür am richtigen Ort. Denn im Zweiten Weltkrieg wurde das Tunnelsystem vor allem von französischen Kriegsgefangenen zum Luftschutzbunker ausgebaut. Auf vier Kilometern Länge wuchsen die Gänge an. Noch nicht alle nutzt das Arado-Team. Vor drei Jahren haben sie die Stollen von der Stadt gepachtet. Erst mussten sie Unmengen von Müll und Geröll rausräumen, dann Gänge sichern. Schließlich die ersten Erlebnis- und Ausstellungsbereiche gestalten. Nach und nach sollen es mehr werden.

„Wir wollen Geschichten erzählen“, sagt Emil Foniók. Einige sind historisch belegt. Zum Beispiel die von der Glasherstellung in den Hütten der Region, oder von Napoleon und seinen Truppen zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Oder die von den „Laboranten“, die bis zum frühen 19. Jahrhundert im Riesengebirge Arzneien aus Kräutern herstellten und verkauften. All dies wird in Szenen plastisch dargestellt in den Tunneln von „Time Gates“. Es geht aber auch um den Herrn der Berge, den Berggeist, dessen Namen Rübezahl man hier lieber nicht aussprechen sollte.

Bei den 60-minütigen Rundgängen, die zu jeder vollen Stunde beginnen, spielt auch die Zeit nach 1945 eine Rolle. Erst nutzte das polnische Militär das Bunkersystem, danach die Zivilverteidigung. Später diente es als Lager für Haushaltreiniger und Fisch sowie als Pilzzuchtanlage. Schließlich war bis 2005 die Diskothek „Underground“ untergebracht. Ein beliebter Ort, so wird erzählt. In dem aber so viel Wasser von den Decken in die Biergläser tropfte, dass der Gast einen Abend lang mit einem Mal Einschenken hingekommen ist. Betrunken wurde dabei wohl so schnell niemand. „Außerdem mussten sich die Leute warmtanzen“, erzählt Emil Foniók. Eine Heizung gab – und gibt – es nicht. 

 

Von  Irmela Hennig und  Maria Marciniak

Foto: © Wolfgang Wittchen

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