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Entwicklung aus Dresden: Wie eine kleine Box Senioren Nähe schenkt

Ein Team der HTW Dresden entwickelt im Projekt HILDE eine Audiobox, mit der ältere Menschen Kontakt zu Angehörigen halten können – einfach, sicher und ohne komplizierte Technik.

Lesedauer: 4 Minuten

Jana Mundus

Dresden. Wenn Kinder und Enkel weit weg wohnen, kann es im Leben älterer Menschen sehr still werden. Während der Corona-Pandemie wurde das vielen schmerzhaft bewusst. Heime waren abgeriegelt, Besuche verboten, Berührungen unmöglich. „Wir haben damals alle erlebt, wie sehr Menschen darunter gelitten haben, ihre Angehörigen nicht sehen zu dürfen“, erinnert sich Joanna Dauner, Professorin für Grundlagen der Gestaltung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden. Es war der Moment, in dem ihr klar wurde, dass sie etwas verändern möchte.

Dauner leitet seit über zwei Jahren das Forschungsprojekt HILDE. Sie und ihr Team wollen älteren Menschen helfen, über digitale Wege Kontakt zu halten – allerdings ohne komplizierte Technik. „Viele Seniorinnen und Senioren kommen mit Smartphones oder Tablets heutzutage gut klar“, sagt sie. „Aber sobald die Feinmotorik oder das Gedächtnis nachlassen, wird das schwierig.“ Die Lösung: ein Gerät, das sich anfühlt wie etwas Vertrautes, das man unkompliziert bedienen kann.

Technik zum Anfassen – nicht zum Verzweifeln

HILDE steht für „Haptische Interfaces für lebendige, digitale Erfahrungen“. Der Name erinnert dabei an Dauners Großmutter. „Meine Oma hieß Hilde, jetzt ist unser Projekt auch ein Stück Erinnerung an sie.“ Weil ihre Mutter eine Senioreneinrichtung leitet, war die heutige Professorin schon als Kind mit dem Alltag älterer und pflegebedürftiger Menschen vertraut. Auf der Suche nach einer technischen Lösung war deshalb schnell klar, dass die späteren Nutzer einbezogen werden müssen. Sie sollten teilhaben am Forschungsprozess.

Zunächst arbeiteten die Forscher mit einer Firma zusammen, die ein Seniorentablet entwickelt hatte. Doch die Tests in einer Pflegeeinrichtung zeigten: Wer ein Tablet nutzen kann, braucht kein neues. Und wer es nicht kann, dem hilft auch ein vereinfachtes Gerät nicht. Das Team der HTWD sah, dass die Technik auch überfordern kann. „Eine Seniorin mit Demenz hat das Tablet vor Wut im Garten vergraben“, erinnert sich Karl-W. Poland, Produktdesigner im Projekt.

In Workshops mit Senioren, Angehörigen und Pflegekräften zeigte sich: Es braucht etwas, das manbegreifen kann – im wörtlichen Sinn. „Wir haben festgestellt, dass es wichtig ist, dass man etwas in der Hand halten kann, etwas berührt, etwas Echtes spürt“, erzählt Poland weiter. Die Inspiration kam aus einer unerwarteten Richtung: von den Tonie-Boxen, die Kinder heute nutzen, um Hörspiele zu hören. Dafür stellen sie kleine Figuren auf das Gerät, das dann mit dem Abspielen der Inhalte beginnt.

Erinnerungen schaffen Verbindung

Nach diesem Prinzip entwickelte das Team eine Audiobox, die auf einfache Weise funktioniert. Wird ein kleiner Gegenstand – etwa eine Holzfigur oder ein Foto – auf die Box gestellt, spielt sie eine persönliche Aufnahme ab. Das kann eine Geschichte, ein Gruß oder einfach die Stimme eines geliebten Menschen sein. „Ein Sohn hat für seine demente Mutter Gebete aufgenommen und mit einer kleinen Marienfigur verknüpft, die ihr wichtig ist“, erzählt Joanna Dauner. „Jedes Mal, wenn sie die Figur auf die Box stellt, hört sie seine Stimme. Das berührt sie.“

Medieninformatiker Felix Mühlberg baut am Innenleben der Box. Die Technologie ist nicht neu, wird für das Projekt HILDE aber so eingesetzt, dass ältere und pflegebedürftige Menschen sie leicht bedienen können.
Medieninformatiker Felix Mühlberg baut am Innenleben der Box. Die Technologie ist nicht neu, wird für das Projekt HILDE aber so eingesetzt, dass ältere und pflegebedürftige Menschen sie leicht bedienen können.
Quelle: SZ/Veit Hengst

Das Prinzip sei einfach, aber wirkungsvoll, sagt Georg Freitag. „Wir haben gesehen, dass Technik oft scheitert, wenn sie sich zu sehr nach Maschine anfühlt“, erklärt der Inhaber der Professur Implementierung von Benutzeroberflächen an der HTWD. „Hier geht es um Gefühl. Um Erinnerungen, die greifbar sind.“ Gemeinsam mit Senioren wurde ausprobiert, wie groß die Box sein sollte, welche Knöpfe sich gut drücken lassen, wie sich die Oberfläche anfühlen muss.

Die Box kann mehr als nur Nachrichten abspielen. Sie fördert das Erinnern – und das Erzählen. In der Pflege spricht man von Biografiearbeit, dem Wiederaufgreifen eigener Lebensgeschichten, um Identität zu bewahren und Ängste zu verringern. Gerade Menschen mit Demenz oder traumatischen Erfahrungen kann das helfen.

Teilnehmer für Testlauf gesucht

Bis zum Jahresende wollen die Wissenschaftler gemeinsam mit ihren Projektpartnern die Audiobox weiterentwickeln. Die Firma Awesome Technologies sorgt dabei für das sogenannte Backend, also das Herz der Technik, das die Datenverarbeitung steuert. „Alle Nachrichten bleiben im geschützten System. Wir achten sehr auf Sicherheit und Privatsphäre“, betont Medieninformatiker Felix Mühlberg. Das Unternehmen entwickelt außerdem ein eigenes Chat-System, über das sich künftig auch Sprachnachrichten senden und empfangen lassen.

Parallel dazu arbeitet das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung an einer besonderen Anzeige direkt am Gerät. Diese basiert auf sogenannten Formgedächtnislegierungen, also Metallen, die sich bei Wärme oder Strom verformen und anschließend wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren können. Die Forschungsgruppe Geriatrie der Charité Berlin begleitet das Projekt wissenschaftlich und prüft, welche ethischen Fragen sich bei der Nutzung der Technik ergeben.

Bis April 2026 wird an der Technik noch gefeilt, dann folgt eine mehrwöchige Testphase. Für die werden aktuell Teilnehmer gesucht.
Bis April 2026 wird an der Technik noch gefeilt, dann folgt eine mehrwöchige Testphase. Für die werden aktuell Teilnehmer gesucht.
Quelle: SZ/Veit Hengst

Bis April 2026 läuft das Forschungsvorhaben noch. Dann soll eine mehrwöchige Testphase zeigen, wie gut das System in der Praxis funktioniert. Wer möchte, kann sich dafür als Teilnehmer melden. „Unser aller Ziel wäre es, dass die Box später zu einem bezahlbaren Alltagsgegenstand wird“, wünscht sich Georg Freitag. Deshalb soll die Technologie einfach geschnitten sein. „Nähe lässt sich nicht ersetzen, aber wir können sie erleichtern“, ergänzt Joanna Dauner. „Das Entscheidende ist, dass hier Menschen miteinander kommunizieren – nicht mit Maschinen.“

SZ

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