Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Dienstag voriger Woche könnte für manches Unternehmen teuer werden. Danach dürfen Erben verstorbener Arbeitnehmer die Abgeltung für von ihm nicht genommenen Urlaub verlangen. Betriebsgröße und Tarifbindung spielen keine Rolle, weil ein gesetzlicher Mindesturlaub von 24 Tagen gilt.
Die Erfurter Richter hatten ihre Rechtsprechung korrigiert und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom November 2018 umgesetzt. (AZ: 9 AZR 45/16). Konkret ging es um einen Mitarbeiter der Stadt Wuppertal. Als der Mann 2010 starb, verlangte die Witwe die Abgeltung von 25 Tagen Resturlaub, was die Stadt verweigerte. Laut den Richtern gehört auch Zusatzurlaub zur Erbmasse. Der Witwe stehen demnach 5 857,75 Euro brutto zu.
Weil vom Einzelfall abhängig, lässt sich die Belastung für Sachsens Unternehmen nicht beziffern, aber die Dimension: Laut Statistischem Landesamt starben 2016 dort 7 549 Menschen im Alter von 15 bis 65 Jahren. Bei einer Erwerbstätigenquote von 76 Prozent ergibt sich ein theoretischer Wert von gut 5 700 Fällen – und schon bei einem Bruchteil der in Erfurt zugesprochenen Summe ein zweistelliger Millionenbetrag allein für das eine Jahr. Diese Größenordnung wird durch Schätzungen der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland gestützt. 2017 hatte sie Erben in Sachsen 5 304 Renten wegen Todes bewilligt. So dürften Zahlungen für Firmen nur ein Problem sein, wenn sie zahlreich fällig würden, etwa weil Erben zeitgleich und Jahre rückwirkend Ansprüche geltend machen.
"Das ist zwar ein negativer Liquiditätseffekt, aber wenn ein Unternehmen so knapp bei Kasse ist, dass es sich das nicht leisten kann, muss man das Geschäftsmodell hinterfragen", sagt der Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz. Er sieht keine Mehrkosten für die Unternehmen, da sie ja vorher "ein zu Viel" an Arbeitszeit vom Arbeitnehmer erhalten hätten, so der Vizechef des Dresdner Ifo-Instituts. Würden die Urlaubsansprüche nicht ausgezahlt, wäre dieser Teil der Arbeitszeit für das Unternehmen kostenfrei gewesen, argumentiert er.
Die Vereinigung der sächsischen Wirtschaft wollte das Urteil nicht bewerten. Die Belastung für Unternehmen sei nicht zu beziffern, schreibt die, Dachorganisation der Arbeitgeberverbände auf Anfrage.
Trotz des Urteils bleiben Fragen, wie die, wie lange rückwirkend Erben Ansprüche geltend machen können. Oliver Klose, stellvertretender Sprecher des Bundesarbeitsgerichts, geht von "normaler Verjährung von drei Jahren" aus. Laut Ifo-Forscher Ragnitz verfällt der Vermögensanspruch nicht, "beziehungsweise nur so, wie auch reguläre Urlaubsansprüche tarifvertraglich verjähren – im öffentlichen Dienst zum Beispiel neun Monate nach Ablauf des Kalenderjahres. Auch erfolgt die Berechnung der Ansprüche unterschiedlich. "Im ersten Halbjahr wird in der Regel ‚gequotelt‘, also ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses", sagt Gerichtssprecher Klose. Bei späterem Ausscheiden, egal aus welchen Gründen, werde oft der volle Jahresanspruch zugestanden. Und was ist, wenn der Verstorbene schon zeitig im Jahr seinen gesamten Urlaub genommen hat? Müssen Erben dann an die Firma zahlen?
Und wie kommen die Hinterbliebenen an ihr Geld? Dass die Unternehmen ihnen das zustehende "Urlaubsgeld" hinterhertragen, könne er sich nicht vorstellen, sagt der Wirtschaftsforscher Ragnitz, "da ist wohl eher Eigeninitiative gefragt".
Von Michael Rothe
Foto: 123rt