Silvio Kuhnert
Radebeul. Spontane Naschkatzen haben immer häufiger das Nachsehen. Wer am Sonntagnachmittag Appetit auf etwas Süßes, wie Kuchen oder Eis, zu ä Schälchen Heeßen verspürt, steht immer häufiger vor verschlossenen Konditoreien. Grund: Es fehlt an Fachverkäuferinnen in Bäckereien mit angeschlossenem Café.
So ist es auch neuerdings bei Münch‘s Backstube an der Moritzburger Straße in Radebeul. „Wir mussten die Öffnungszeiten reduzieren“, berichtet Kerstin Lock, Geschäftsführerin des Radebeuler Standortes sowie Lebenspartnerin von Jens Münch, der der Bäckerei-Kette mit Stammsitz in Leisnig vorsteht. Sonntags schließt die Konditorei an der Ecke Moritzburger, Winzerstraße bereits 13 Uhr. Die zweite Radebeuler Filiale in der Meißner Straße 250 bleibt am Sonntag sogar ganz zu.
„Ich nehme keine Ladenangebote in Dresden mehr an“, ergänzt Jens Münch. Denn er finde dort keine Verkäuferinnen oder Verkäufer. Zum Beruf einer Bäckereifachverkäuferin oder -fachverkäufers gehört mehr dazu, als eine Tüte mit Brötchen zu füllen und eine Kasse bedienen zu können. Auch mit der Bedienung eines Backofens und dem richtigen Verpacken von Kuchen und Torten muss man sich auskennen. Die Kunden zu beraten, ist ebenfalls ganz wichtig. Dazu zählt unter anderem, dass man die Liste mit den Inhaltsstoffen zu jedem Brot, Brötchen und Teilchen kennt. Fachmännische Beratung ist zudem bei Torten und deren Dekoration für besondere Anlässe und Familienfeiern, wie dem Schulanfang, der Hochzeit oder Omas 80. Geburtstag, gefragt.
23 Standorte in Sachsen
Wie viele andere Bäckereien schaut auch Münch auf eine lange Tradition. Die Wurzeln seiner Backstube gehen zurück bis ins Jahr 1900, als die Konsumgenossenschaft Leisnig das heute noch bestehende Produktionsgebäude dort errichtete und den Bäckereibetrieb aufnahm. Wechselhafte Jahrzehnte folgten, bis 1995 Christian und Ria Münch die Bäckerei übernahmen. Sie modernisierten das Unternehmen erfolgreich und bauten ein umfangreiches Filialnetz auf. Die wachsende Nachfrage erforderte den Ausbau der Kapazitäten und so entstand 2003 in Radebeul ein zweiter Produktionsbetrieb. 2011 stieg mit Jens Münch die nächste Generation in die Geschäftsführung des Unternehmens ein. Anfang Oktober dieses Jahres eröffnete er eine neue Filiale in Oschatz. An 23 Standorten in ganz Sachsen ist Münch‘s Backstube jetzt vertreten.
„Mit Liebe zum Metier, solider Handwerkskunst und neuen Ideen entstehen in unserer Familienbäckerei Tag für Tag mehr als 500 Sorten frische Back- und Konditorwaren von höchster Qualität. Dafür benötigen wir gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Freude ihrer täglichen Arbeit nachgehen“, so Jens Münch. 122 Beschäftigte zählt er. Sowohl am Stammsitz in Leisnig als auch in Radebeul bildet er aus. Von den aktuell elf Azubis lernen neun in der Lößnitzstadt. Unter ihnen sind seit Beginn des neuen Lehrjahres auch drei junge Leute aus Vietnam. Sie lernen den Beruf des Bäckereifachverkäufers beziehungsweise der -verkäuferin.
Bäcker und Konditor nicht in der Top Ten der Wunschberufe
Die Agentur für Arbeit Riesa hat Bilanz zum Ausbildungsmarkt und Berufsberatungsjahr von Oktober 2023 bis September 2024 gezogen. Danach haben sich 1.320 Jugendliche (519 Mädchen und 801 Jungen) als Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle bei der Arbeitsagentur im Landkreis Meißen gemeldet. Im Vergleich zum Ausbildungsjahr 2022/23 waren das 24 Jugendliche weniger, minus 1,8 Prozent. Betriebe haben 1.693 Lehrstellen beim Arbeitgeber-Service der Riesaer Arbeitsagentur angezeigt. Das sind 151 Stellen weniger, minus 8,2 Prozent, im Vorjahresvergleich. Von den Ausbildungsstellen blieben 137 unbesetzt. 46 Jugendliche haben noch keinen Ausbildungsvertrag.
Ein Blick in die Statistik der Wunschberufe junger Kreisbewohner lässt erkennen, dass weder der Bäcker noch der Konditor es in die Top zehn bei Jungen und Mädchen geschafft haben. Was allerdings verwundert. An der Spitze der Wunschberufe steht bei den Mädchen Verkäuferin. 66 wollten diesen Beruf erlernen. 37 Jungen gaben Verkäufer als ihren Traumberuf an. Damit steht diese Ausbildung an der dritten Stelle bei den Wunschberufen junger Männer. Den Spitzenplatz bei ihnen nimmt der Kfz-Mechatroniker ein. Doch die Berufsausbildung Verkäufer/-in meint nicht jene für Bäckereien und Fleischereien. Sondern darunter fallen Bekleidung, Unterhaltungselektronik und der Supermarkt. Fachverkäufer oder -in im Lebensmittelhandwerk wie Bäckerei oder Fleischerei bilden eigenständige Ausbildungszweige, wie Agentursprecherin Berit Kasten aufklärt.
Für die Ausbildung zum Bäcker haben Betriebe im Landkreis Meißen für das begonnene erste Lehrjahr 21 Stellen dem Arbeitsamt gemeldet. Von ihnen blieben vier unbesetzt. Auf der Wunschliste hatten diesen Handwerksberuf nur sieben Jugendliche stehen, die die Berufsberatung der Arbeitsagentur nutzten. Konditor gaben fünf junge Menschen als Traumberuf an. Sie konnten aus einem Dutzend offener Stellen wählen. An einer Lehre als Bäckerfachverkäufer zeigten fünf Schulabgänger Interesse. Dem Arbeitsamt lagen dafür aber 19 freie Lehrstellen vor.
Mit Ausbildungszertifikat geehrt
Um dem Mangel an Personal hinter der Theke entgegenzuwirken, streckten Jens Münch und Kerstin Lock ihre Fühler nach Fernost aus. Zur Suche nach Lehrlingen in Vietnam wurden sie durch Erfahrungen anderer Handwerksbetriebe sowie Berichte auf Innungsveranstaltungen inspiriert – sowie einer negativen Erfahrung. Im vergangenen Jahr hatten sie mit einer jungen Iranerin bereits einen Ausbildungsvertrag geschlossen und sich um ein Visum gekümmert. Doch der Kontakt brach plötzlich abrupt ab.
Mit Vietnam hat der Bäcker bislang keine Probleme gehabt. Die drei Azubis bringen Deutschkenntnisse auf B1-Level mit. Zusätzlich werden sie begleitend im ersten Lehrjahr einen Deutschkurs für Fachbegriffe besuchen. Dafür stellt Familie Münch sie von der Arbeit frei. Zudem haben sich Jens Münch und Kerstin Lock um eine Wohnung gekümmert und diese renoviert. Dort leben die drei Vietnamesen in einer WG. „Wir sind froh, dass sie hier sind“, sagen beide. Sie bilden derzeit auch eine Ukrainerin zur Konditorin aus. Das Ausbilden von jungen Leute aus dem Ausland koste Geld und Zeit. „Aber es lohnt sich“, sagt Jens Münch. Er hofft, dass die Vietnamesen nach der Lehre auch ein Bleiberecht erhalten. „Unser Ziel ist es, dass sie als Fachkräfte bei uns bleiben“, so Münch.
Das Engagement des Bäckereibetriebs um den Nachwuchs hat die Arbeitsagentur jetzt mit der Verleihung des Ausbildungszertifikats gewürdigt. „Die Konditorei und Café Münch e.K. in Radebeul bildet kontinuierlich aus und leistet mit der dualen Ausbildung einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung im Bäckerhandwerk. Jungen Menschen bietet sie gute berufliche Perspektiven in der Region“, hebt Thomas Stamm, Vorsitzender der Geschäftsführung der Riesaer Arbeitsagentur, hervor.