Von Peter Ufer
Pulsnitz. Karsten Braune formt aus dem Holz von Lebensbäumen lebensgroße Rothirschköpfe. Der 58-jährige Gestalter hat die Figuren entworfen, das Holz behauen, geschnitten, geflammt. Kubistisch anmutend, stehen die Skulpturen auf Sockeln und tragen Geweihe, echte Zwölf- und Vierzehnender.
Zwei der tierischen Statuen werden ab 28. Dezember, anlässlich der feierlichen Eröffnung des mittelalterlichen Turmsaals im Wolkensteiner Schloss, erstmalig zu sehen sein. Das Baudenkmal thront mit seiner weißen Fassade majestätisch 80 Meter über der Zschopau und bekommt zurzeit ein neu konzipiertes Museum. Hunderte Amethyste, vom kleinen Schmuckstück bis zum tonnenschweren Brocken, sollen künftig daran erinnern, dass Wolkenstein und Umgebung einstmals das wichtigste Amethyst-Vorkommen in Europa besaß. Und dann sind da noch Heinrich der Fromme und seine Hirsche.
Zwischen 1505 und 1539 diente die Burg dem Herzog als Residenz und Jagdschloss. Der Blaublüter führte ein abenteuerliches Leben, reiste nach Jerusalem und Santiago de Compostella, kämpfte für die Reformation in Sachsen. Ganz nebenbei hatte der Aristokrat großen Spaß an der Jagd und feierte nach dem Abschuss der Vierbeiner mit Zweibeinern lustige Gelage in seinem Wolkenschloss. Schon immer lieben es die Hochherrschaftlichen, egal ob Fürsten, Kanzler oder Staatsratsvorsitzender, sich Wild vor die Flinte treiben zu lassen. Schließlich wachsen Geweihe für die Brunftzeit als Kampf- und Imponierwaffen, angetrieben vom Geschlechtshormon Testosteron.
Genau dieser toxischen Tradition will Karsten Braune mit seiner neuen Interpretation der Hirschskulpturen etwas entgegensetzen: Keine Schädel wie üblich, nicht in streng naturalistischer Anmutung, nicht glasäugig ausgestopft, nicht an der Wand aufgehängt, sondern frei stehend als Porträts der scheuen, würdevollen Tiere. Insgesamt sechs Holzhirsche sollen, so die Vision, einmal im Fürstensaal vom Schloss Wolkenstein stehen. Mit den Skulpturen, die man ausdrücklich berühren darf, erhält der Raum eine unverwechselbare Ausstrahlung.
Für den Gestalter, der 1966 in Weigmannsdorf das Licht des Erzgebirges erblickte, sind die Wolkensteiner Hirschskulpturen etwas ganz Besonderes. Hier kann er sein künstlerisches Potenzial ausleben. In der Nähe des Weihnachtsspielzeugdorfes Seiffen groß geworden, konnte er wohl nicht anders, als in die Stapfen jener Vorbilder zu treten, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts aus Holz Figuren drehten. Braunes Urgroßvater mütterlicherseits schnitzte schon volkskünstlerisch und hinterließ unter anderem einen barocken Schwebeengel, vor dem sich der Urenkel als Kind vor allem fürchtete. Das Flügelwesen lagerte auf dem Boden des Großelternhauses in einem Schrank. Heute hängt der Engel wie ein Symbol aus vergangener Zeit über der Werkbank von Karsten Braune.
Der Erzgebirger studierte von 1987 bis 1990 an der Fachhochschule Angewandte Kunst in Schneeberg Holzdesign. Er entwarf zunächst Möbel und Spielzeug, gewann mehrere Designpreise. Einen bekam er 1994 für sein Baulegespielzeug Quo. Da neuntelte er Quadrate und die Jüngsten erhielten per Spielanleitung die Aufgabe, es bodenliegend oder himmelhoch wieder zusammenzufügen. „Geometrie hat es mir schon immer angetan“, sagt Braune, der kurz nach dem Studium aus dem Erzgebirge wegzog. Während der Studienzeit lernte er Claudia Thieme kennen, die in Schneeberg Textildesign studierte, deren Heimat aber die Lausitz ist. Beide gründeten 1996 in Pulsnitz ein gemeinsames Unternehmen. Neben ihrem Designbüro betreiben sie eine Manufaktur, in der eigene Entwürfe umgesetzt werden. Seit nunmehr 25 Jahren arbeiten sie unter dem Slogan „Pfiffiges aus dem Erzgebirge“. Ein Jux, der längst ernsthaft ihr Leben bestimmt.
Braune erfand kugelrunde Schneemänner, die er „Cool Man“ nennt und gestaltet jedes Jahr neue Varianten der kleinen Freunde. Das Männlein aus dem Walde nimmt gelassen jede gewünschte Stellung ein, obwohl seine neun Grundteile immer dieselben sind. Die coolen Männer sind inzwischen echte Jäger- und Sammlerware. Die Sachsen liefern sie nach ganz Deutschland, aber auch nach Japan und Amerika. Für seine Kugelmänner bekam Braune schon mehrfach Preise, die Kundschaft wächst und fordert immer neue Varianten. „So ist das manchmal im Leben, eine kleine Idee verschlingt deine Zeit und lässt kaum Spielraum für Großes“, sagt Braune.
Figur im Straßengraben
Die neusten Witzfiguren sind „Prima-Klima-Klebeärsch´l“, die ein „No“ und ein „Stop“ in den Händen halten und leicht verbittert blicken. Wer will, kann die kleinen Kerlchen irgendwo ankleben, denn an der unteren Holzkugel befinden sich Klebepunkte. Einfach den Schutzstreifen abziehen und schon sitzt die letzte Schneemann-Generation. Im Auftrag der Traditionsfirma „Seiffener Volkskunst eG“ entwickelte Braune auch Holzköpfe aus dem politischen Berlin. Neben Merkel gehören Kohl, Scholz, Lindner und Baerbock dazu. Allen qualmt Rauch aus den Köpfen, Kragen oder Ohren. Mittendrin in der Armada der politischen Räucherer pafft Honecker.
Die fröhlichen Figuren sind Karsten Braunes Pflicht, die Wolkensteiner Hirschskulpturen seine Kür. Deshalb passierte ihm wohl auch, was wie eine wunderbare Weihnachtsgeschichte klingt. Denn als der Gestalter vor einem Jahr nach Nordrhein-Westfalen fuhr, um dort für seine Hirschskulpturen Geweihe zu kaufen, fand er eine Holzfigur im Straßengraben. Sie war zerbrochen, schmutzig, bekrakelt, das Lindenholz mit Pilz besetzt.
Braune nahm das 30 Zentimeter große Wesen mit nach Pulsnitz und kümmerte sich um die kleine Figur. Der Männelmacher und seine Frau fragten sich, wo wird der Kleine vermisst, wo gehört er hin? Nach Recherchen wurde klar: Es ist die Figur eines Jesuskindes. Dieses wurde kurz nach Weihnachten 2022 aus seiner Krippe in der St.-Agatha-Kirche in Rorup gestohlen.
Dort wurde der Holz-Jesus gesucht und seit Monaten vermisst. Gut gepolstert im Paket, kehrte die Figur aus Sachsen in seine Heimat zurück und liegt nun wieder zum Weihnachtsfest in seiner Krippe. „So hängt oft alles wundersam zusammen“, sagt Karsten Braune.