Von Markus van Appeldorn
Beinahe 40 Jahre ist es her, dass in der noch alten Bundesrepublik einer der härtesten Arbeitskämpfe in deren Geschichte losbrach. Die IG Metall wollte für ihre Branche die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen. Danach folgten andere Branchen, in denen bis heute vielfach 35- oder 38-Stunden-Wochen zum Standard wurden. Nun stößt die Metaller-Gewerkschaft in die nächste Dimension vor: 32 Stunden Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Von einigen industriellen Arbeitgebern abgesehen, steht im Landkreis Görlitz aber bis heute eisern die „40“. Die Kreishandwerkerschaft hält die 32-Stunden-Idee für illusorisch. Aber: Einen Handwerksbetrieb gibt es im Kreissüden tatsächlich, der seinen Mitarbeitern eine 4-Tage-Woche anbietet – mit 32 Stunden Arbeitszeit hat das aber nichts zu tun.
Marcel Schramm (53) ist ein für die Region typischer Handwerksmeister. In seinem Tischlerei- und Restaurations-Betrieb in Hörnitz beschäftigt er 16 Mitarbeiter – und die müssten, wenn sie wollten, nur von Montag bis Donnerstag in die Arbeit kommen. „Ich habe bereits vor einigen Jahren allen Mitarbeitern das Modell einer 4-Tage-Woche angeboten. Angenommen haben das aber nur die vier Leute meines Montagetrupps“, sagt er. Dabei: 40 Wochenstunden arbeiten diese Männer trotzdem.
Deutsche arbeiten jetzt schon international am wenigsten
Der Montagetrupp arbeitet auf Baustellen in Dresden und wohnt dort auch unter der Woche. „Die Männer arbeiten jeden Tag von Montag bis Donnerstag zehn Stunden und haben ihre Wochenarbeitszeit damit erfüllt“, sagt Schramm. Die Mitarbeiter würden dieses Modell schätzen – wie auch Mitarbeiter anderer Betriebe bundesweit, die so ein Modell anbieten. „Früher hatten sie keine Zeit für persönliche Erledigungen, weil sie eben nur am Wochenende freihatten“, erklärt der Möbeltischler. Etwa Behördengänge oder Arztbesuche sind dann nicht möglich. „Jetzt haben diese Mitarbeiter mehr Zeit für sich“, so Schramm. Alle anderen Mitarbeiter, die eh in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen, hätten dieses Arbeitszeitmodell bisher abgelehnt.
Von einer 4-Tage-Woche mit nur 32 Stunden Arbeitszeit hält Schramm dagegen gar nichts. „Das Thema ist die Diskussion nicht wert“, sagt er, und: „Es gibt doch schon jetzt kein Fachpersonal mehr. Wenn ich die Mitarbeiter dann noch kürzer arbeiten lasse, bekomme ich ja keinen Auftrag mehr erledigt.“ Dazu müsste man bei einem vollen Lohnausgleich ja auch noch die Mehrkosten erwirtschaften. Das funktioniert nur mit Produktivitätssteigerung – also wenn ein Mitarbeiter in kürzerer Arbeitszeit die gleiche Leistung erbringt. In einige Branchen ist das per se unmöglich. „Wie soll das etwa in der Pflege gehen?“, fragt Schramm. Klar: Naturgemäß kann man an vier Tagen etwa nicht genau so viel Menschen pflegen wie an fünf oder genauso viele Busse fahren.
„Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie man es den Menschen schmackhaft machen kann, voll zu arbeiten. 40 Stunden Arbeitszeit sind keine Schande“, sagt er. Dazu müsste etwa die Kinderbetreuung verbessert werden, um auch mehr Frauen die Berufstätigkeit zu ermöglichen. Und: „Arbeit muss sich lohnen und nicht bestraft werden“, sagt Schramm – damit meint er eine seiner Auffassung nach hohe Besteuerung von Überstunden. Allerdings: Eine höhere Attraktivität des Arbeitsplatzes ist eine der Ideen hinter der 32-Stunden-Woche. Laut einer Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist schon die 38-Stunden-Woche mittlerweile für viele Deutsche unattraktiv. Ein Wunschwert liegt demnach bei 32,8 Stunden. Für das Mehr an Freizeit würden viele Menschen sogar weniger Gehalt in Kauf nehmen. Das würde in der Realität aber auch bedeuten: Wo weniger gearbeitet wird, fließt auch weniger Geld ins Rentensystem – und Deutschland ist unter allen führenden Wirtschaftsnationen heute schon der Staat, in dem am wenigsten gearbeitet wird.
Handwerkerschaft: „Völlig wirklichkeitsfern!“
Mit seiner Auffassung zur 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist Marcel Schramm im Landkreis offenbar in bester Gesellschaft. So habe es erst jüngst eine Veranstaltung in Löbau mit vielen Handwerkern und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gegeben. Die Frage nach einer 35-Stunden-Woche oder einer 4-Tage-Woche sei dort ein kurzer Diskussionsbeitrag gewesen, informiert die Kreishandwerkerschaft auf SZ-Anfrage. „Tenor der Handwerker: Ist im Handwerk unmöglich!“, so Innungsbetreuerin Ines Göhlich.
Die 40-Stunden-Woche sei für die Wirtschaft beziehungsweise das Handwerk Voraussetzung, um die Wirtschaft überhaupt im Gang zu halten. „Es gibt ja jetzt schon keine Handwerker. Was soll dann passieren, wenn nun alle noch einen Tag zu Hause bleiben“, sagt Göhlich in Übereinstimmung mit Schramm, und: „Dieses Modell wird wirklich mal wieder nur für IT-Leute, Beamte im öffentlichen Dienst etc. geschaffen. Völlig wirklichkeitsfern!“
Für die Branchen in Industrie und Handel teilt Lars Fiehler von der auch für den Landkreis Görlitz zuständigen IHK Dresden mit: „Die 35-Stunden-Woche kommt tarifvertragliche geregelt auch in den neuen Ländern Stück für Stück voran. So etwa in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie, wo hier häufig noch 38 Stunden galten, im Westen aber schon lange 35 Stunden.“ So sei etwa Siemens Energy in Görlitz 2021 auf die 35-Stunden-Woche gewechselt. Was die 4-Tage-Woche angehe, sei der IHK im Landkreis Görlitz nur die Tischlerei Schramm bekannt. „Das heißt aber nicht, dass es nicht noch weitere Beispiele gibt. In Dresden findet man das Modell mittlerweile öfter in der Hotellerie und Gastronomie“, so Fiehler.