Dresden. Wenn bei der Fahrschule Rösler in Dresden das Telefon klingelt, dann vor allem wegen einer Frage: „Ab wann haben Sie wieder freie Fahrschultermine?“ Torsten Rösler, Chef des familiengeführten Unternehmens mit vier Fahrlehrern, musste bislang um viel Geduld bitten. Bis Ende November sind alle Theoriekurse ausgebucht. Zurzeit nimmt er gar keine neuen Fahrschüler mehr an. Was ist da los?
Herr Rösler, Fahrschul-Schließungen in der Pandemie sind lange vorbei. Ist der Rückstau immer noch nicht aufgeholt?
Doch. Aber wir haben inzwischen ein anderes akutes Problem: Es fehlt an Fahrlehrern. Einer unserer Fahrlehrer ist seit September in Rente und arbeitet noch verkürzt mit. Ein anderer geht nächstes Jahr in Rente. Wir hatten deshalb im Frühjahr eine Such-Kampagne für einen Nachfolger gestartet – mit Flyern und Anzeigen, auch online. Vergeblich. Weil das Personal für den praktischen Teil fehlt, müssen wir auch die Theoriekurse einschränken. Sonst wird die Wartezeit dazwischen zu lange.
Ein generelles Problem in Sachsen?
Ja, sogar bundesweit. Laut Branchenreport 2023 bewerten 83 Prozent aller Fahrschulen den Fahrlehrermangel als größte Herausforderung für die Zukunft. Es fehlen Tausende Fahrlehrer. Umfragen zufolge sucht mehr als jede zweite Fahrschule Personal. Ein Grund dafür ist die Überalterung. In Sachsen waren Fahrlehrer 2021 im Schnitt 55 Jahre alt. Über 40 Prozent waren damals schon älter als 60. Da ist abzusehen, dass die Situation bald noch schlimmer wird. Viele Fahrschulinhaber, die aus Altersgründen aufhören, finden keinen Käufer für ihren Betrieb und machen ganz zu.
Warum will denn niemand mehr Fahrlehrer werden? Sind die Schüler so anstrengend geworden?
Es liegt weniger am Willen oder an den Schülern. Die Hauptursache ist, dass Fahrlehrer kein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf ist. Damit können wir beispielsweise nicht selbst ausbilden. Gleichzeitig sind aber die Voraussetzungen hoch, um als Fahrlehrer arbeiten zu dürfen.
Was sind denn die Voraussetzungen?
Man muss mindestens 21 Jahre alt sein, eine Berufsausbildung oder einen gleichwertigen Abschluss wie Abitur oder Fachabitur haben. Zudem werden mindestens drei Jahre Fahrpraxis in der Pkw-Führerscheinklasse B verlangt. Die persönliche Eignung muss durch ein Führungszeugnis nachgewiesen werden. Dazu gehört natürlich auch ein sauberes Punktekonto in Flensburg. Außerdem ist ein ärztliches Gutachten nötig, das die geistige und körperliche Eignung bescheinigt. Dann muss man noch einen der knappen Plätze in einer Ausbildungsstätte bekommen und sich qualifizieren. Und nicht zuletzt muss man sich das alles auch noch leisten können – für die meisten das K. o.-Kriterium.
Was kostet denn eine Fahrlehrer-Ausbildung?
Wir reden hier von mehr als 20.000 Euro, die selbst zu tragen sind. Hinzu kommt, dass man während der achtmonatigen Theorie- plus 18-wöchigen Praxisausbildung ja nichts verdient, sein Leben aber weiter finanzieren und sich auch krankenversichern muss. Wer kann sich denn das leisten? Da bleibt nur der Weg über einen Bildungsgutschein.
Wie funktioniert der?
Über die Arbeitsagentur. Sie übernimmt die Kosten der Ausbildung und zahlt in dieser Zeit das Arbeitslosengeld weiter. Das ist natürlich an Voraussetzungen geknüpft. Der Bewerber muss zum Beispiel arbeitslos sein oder seinen alten Beruf aus bestimmten Gründen nicht mehr ausüben können. Wir stellen aber fest, dass die Agenturen für Arbeit hier sehr unterschiedlich vorgehen und nicht immer auf den Bedarf am Arbeitsmarkt eingehen. Wir kämpfen beispielsweise seit Monaten dafür, dass ein junger Mann von der Agentur in Kamenz einen Bildungsgutschein erhält und zum Fahrlehrer ausgebildet werden kann. Er will den Job, das ist die halbe Miete.
Welche Eigenschaften muss denn ein guter Fahrlehrer mitbringen? Nerven aus Stahl?
Fahrlehrer ist in der Tat ein harter Job. Er oder sie muss selbstständig den Tag planen und arbeiten, pünktlich, ordentlich und freundlich sein. Es gibt zwar keine festen Arbeitszeiten, doch die Hauptarbeit findet nachmittags, abends und bei uns sogar sonnabends statt. Es braucht Einfühlungsvermögen und Geduld. Denn die Fahrschüler sind nicht einfacher geworden.
Inwiefern?
Im Unterschied zu früher merken wir ganz deutlich, dass viele Eltern ihren Kindern heute alles abnehmen. Das beginnt beim Elterntaxi und endet damit, dass die Mutti mit zur Antragstellung für den Führerschein kommt und der junge Mann daneben kein Wort sagt. Die meisten Kinder werden heute im Auto ihrer Eltern bespaßt, schauen während der Fahrt nur noch auf digitale Geräte statt mal raus aus dem Fenster, auf den Verkehr. Dann sollen sie hier innerhalb von ein paar Monaten alle Regeln lernen und auf der Straße sofort Entscheidungen treffen. Das ist schwierig.
Also brauchen Fahrschüler heute länger und fallen häufiger durch?
Ja, das gilt für viele sowohl für die Theorie als auch für die Praxis. Bis zum Führerschein dauert es heute oft ein halbes bis ein dreiviertel Jahr.
Ist das auch ein Grund, warum die Fahrschule immer teurer wird?
Es gibt dafür viele Gründe. Wenn ich heute einen Fahrlehrer gewinnen oder auch nur halten will, reicht es nicht, einen schönen Obstkorb hinzustellen. Das geht nur über die Löhne, die deutlich gestiegen sind. Hinzu kommt, dass auch fast alles andere teurer geworden ist: die Autos, der Kraftstoff, die Werkstattkosten, aber auch die Miete für unsere Fahrschulräume und die Nebenkosten. Auch die Dekra hat ihre Preise für die Prüfungen erhöht.
Wie viel kostet es denn heute, einen Führerschein zu machen?
Bei uns sind es im Schnitt zwischen 4.000 und 4.500 Euro. Wir haben uns schon einen Fahrsimulator angeschafft, auf dem Anfänger kostengünstiger üben können, bevor sie auf die Straße gehen. Das wird aber nicht als Fahrstunde anerkannt. Wenn dann jemand durchfällt, wird es noch teurer. Abgesehen davon, dass bei der Dekra die Plätze für die praktische Prüfung knapp sind und es dann fast unmöglich ist, zeitnah einen neuen Termin zu bekommen.
Es heißt ja immer, dass junge Leute heute keinen Führerschein mehr machen wollen.
Natürlich gibt es auch Fahrschüler, die nur auf Wunsch der Eltern hier sind. Manche wissen gar nicht, wie lange ihre Eltern dafür arbeiten müssen, damit sie hier Stunde um Stunde absitzen. Insgesamt kann ich mangelndes Interesse aber nicht bestätigen. Es gibt jetzt schon Anmeldungen für den Sommerkurs im nächsten Jahr. Auch von vielen anderen Fahrschulen weiß ich, dass sie in absehbarer Zeit keine freien Termine mehr haben.
Was muss passieren, damit sich das ändert?
Fahrlehrer müsste als Beruf anerkannt werden. Und die Arbeitsagenturen müssten mehr auf den Bedarf der Fahrschulen eingehen.
SZ