Andreas Dunte
Leipzig. Der Thüringer Autozulieferer AE Group, das Softwarehaus Digades in Zittau oder das Leipziger Bauunternehmen Gröner Group – die Liste bekannter mitteldeutscher Firmen, die in diesem Jahr Insolvenz anmelden mussten, ist lang. Auf Bundesebene stechen etwa der Reiseveranstalter FTI, der Modekonzern Esprit oder der Frischhalteboxen-Hersteller Tupperware hervor.
Die Insolvenzen in Deutschland haben mit 11.000 im ersten Halbjahr den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht, heißt es bei der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum gab es einen Anstieg von knapp einem Drittel. In Sachsen gab es eine Zunahme um 22 Prozent auf 570 Insolvenzen. Für das Gesamtjahr 2024 erwartet der renommierte Insolvenzverwalter Lucas Flöther aus Halle einen Anstieg auf 22.000 deutschlandweit.
Betroffen von Zahlungsschwierigkeiten sind in Mitteldeutschland vor allem kleine und mittelständische Unternehmen mit bis zu 40 Beschäftigten insbesondere in den Branchen Einzelhandel, Automobilzulieferer, der Gesundheitsbranche, im Industrie- und im Dienstleistungsbereich und nicht zuletzt der Baubranche.
Insolvenzzahlen auf höchstem Stand seit zehn Jahren
Auf Bundesebene sind es vor allem mittlere und große Unternehmen, die laut Creditreform pleitegehen. Die Zahl der insolventen Großunternehmen (mehr als 250 Beschäftigte) hat sich zum Vorjahreswert verdoppelt.
Die Insolvenzen in Deutschland haben den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht, heißt es bei Creditreform weiter. Die Unternehmen kämpfen mit den anhaltenden Krisen und der kraftlosen konjunkturellen Entwicklung in diesem Jahr.
Aber auch immer mehr Verbraucher sind in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Mit 35.400 Verbraucherinsolvenzen wurden 6,7 Prozent mehr Fälle registriert als im Vorjahreszeitraum. In Sachsen gab es einen Anstieg um 8 Prozent.
Kümmert euch rechtzeitig, geht nicht erst zum Zahnarzt, wenn der Zahn schwarz ist, sonst ist er nicht mehr zu retten.
Lucas Flöther, Insolvenzverwalter
Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts ist der Anteil deutscher Unternehmen, die akut um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, im Oktober erneut gestiegen. Der kontinuierliche Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen dürfte sich fortsetzen, so das Institut.
Auch der in Leipzig geborene Insolvenzverwalter Flöther erwartet einen weiteren Anstieg. „Der wird sich aber nicht zu einem Tsunami und auch nicht zu einer Insolvenzwelle aufbauen. Seit zwei Jahren steigen die Insolvenz-Zahlen prozentual gesehen zweistellig. Was nicht verwundert, denn wir hatten in Corona-Zeiten deutlich weniger Insolvenz-Fälle, weil die Regierung die Insolvenzanmeldepflicht teilweise ausgesetzt hatte.“
Nach seiner Meinung „viel zu lange, und in einer so komplexen Art und Weise, dass zum Ende kaum noch ein Geschäftsführer wusste, welche Pflichten ihn eigentlich betrafen“, so seine Kritik.
Kritik an zu langer Aussetzung der Anmeldepflicht
Die Aussetzung der Anmeldepflicht habe bei Unternehmen zu der irrigen Auffassung geführt, sie müssten sich nicht mehr frühzeitig über eine Sanierung Gedanken machen. Irgendeiner werde schon helfen. „Damit hat man zerstört, was sich vor Corona zunehmend durchgesetzt hatte und was wir gebetsmühlenartig gepredigt hatten: Kümmert euch rechtzeitig, geht nicht erst zum Zahnarzt, wenn der Zahn schwarz ist, sonst ist er nicht mehr zu retten.“
Die schlechte Geschäftslage in vielen Branchen habe zunehmend Auswirkungen auf das Zahlungsverhalten und die Höhe der offenen Forderungen, sagt eine Sprecherin von Creditreform Leipzig. Lieferanten und Kreditgeber verzeichneten mehr überfällige Rechnungen, während sie gleichzeitig ihren Kunden längere Zahlungsfristen einräumten.
„Wenn die Einnahmen beziehungsweise Gewinne weiterhin stark zurückgehen, gefährdet das die langfristige finanzielle Stabilität der Unternehmen. Eine Ertragskrise kann dann zu einer Liquiditätskrise führen, die im schlimmsten Fall zu einem weiteren Anstieg der Insolvenzen führen wird.“
„Investoren halten das Geld zusammen“
Zahlungsprobleme plagen zunehmend auch die Start-up-Szene. „Noch vor einigen Jahren suchten Geldgeber förmlich nach Gelegenheiten, in neue Geschäftsideen zu investieren. Die Situation ist heute eine ganz andere. Investoren halten das Geld zusammen, mit fatalen Folgen für zahlreiche Gründer“, sagt Benedict Rehbein, Geschäftsführer der Leipziger Physiotherapie-App eCovery sowie Förderer und Coach von jungen Gründern in Sachsen.
Deutschlandweit ist nach Angaben von Statista die Zahl der Insolvenzen von Start-ups bis Ende Oktober auf 279 gestiegen – eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. „In Leipzig und Dresden ist die Situation nach meiner Kenntnis nicht ganz so dramatisch“, sagt Rehbein, „weil die Gründer hier weniger auf schnelles Wachstum aus sind. Sie sind stabil und beständig gewachsen, versuchen weniger auszugeben, wenn eine Geldquelle versiegt.“