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„Jede Verzögerung kostet bares Geld“

Dirk Diedrichs, Beauftragter für Großansiedlungen in Sachsen, über schnellere Wege zur Vermarktung und die Chancen für den ländlichen Raum.

Lesedauer: 5 Minuten

Dirk Diedrichs, Beauftragter für Großansiedlungen im Freistaat, sitzt an einem Schreibtisch.
Dirk Diedrichs (60) war seit 2017 Amtschef im sächsischen Finanzministerium und ist nun Beauftragter für Großansiedlungen im Freistaat. Foto: Veit Hengst

Von Nora Miethke

Herr Diedrichs, was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, dass Sie Beauftragter für Großansiedlungen werden sollen?
Ich habe mich sehr gefreut und empfinde das für mich als reizvolle und konsequente Weiterentwicklung, weil ich hier mit vielen Themen zu tun habe, die ich in meinen bisherigen Tätigkeiten schon kennengelernt habe. Ich bin Ökonom und die Themen Wirtschaftsansiedlung und -förderung sind Themen, auf die man sich freut.


Ab welchen Größenordnungen ist eine Unternehmensinvestition eine Großansiedlung und fällt in ihren Aufgabenbereich?
Das richtet sich nach der Lage des Einzelfalls. Wenn es ein Unternehmen ist, das mit deutschem Recht und deutschen Genehmigungsverfahren vertraut ist, braucht es weniger Begleitung als ein Unternehmen aus dem Ausland. Außerdem ist die Wirtschaftsförderung Sachsen weiterhin auf Investorensuche. Sie wird von der hier eingesetzten Stabstelle ergänzt, aber nicht ersetzt. Wenn sich ein Investor entschieden hat, in Sachsen tätig zu werden, dann übernehmen wir die Betreuung.


Wie würden Sie Ihre Aufgabe erklären?
Es geht vor allem um zwei Aufgaben. Die erste ist die Verbesserung der Verfügbarkeit von Flächen. Wir haben einen Engpass an hinreichend großen Gewerbeflächen, die auch als gewerblich nutzbares Bauland ausgewiesen sind. Eine Fläche von 150 Hektar wie in Großenhain gibt es kein zweites Mal in Sachsen. Damit ist ein Investor, der 400 Hektar nachfragt, für Sachsen derzeit nicht zu gewinnen.


Und die zweite Aufgabe?
Das ist die Betreuung konkreter Investoren, etwa bei der Begleitung von Genehmigungsverfahren bei der Landesdirektion oder bei den unteren Behörden im Bereich des Wasserschutzes, des Bauplanungsrechts oder des Emissionsrechts, wohl wissend, dass dies teilweise in kommunaler Zuständigkeit liegt.
Auch bei der verkehrlichen Erschließung und der Bereitstellung der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur versuchen wir zu koordinieren. Und drittens der ganze Bereich der Ausbildung und Forschungsinfrastruktur. Gerade für die Chipindustrie ist es von großer Bedeutung, dass die Unternehmen eingebettet sind in ein Ökosystem von hoch qualifizierten Zulieferern, Ausbildungseinrichtungen, die Ingenieure, aber auch Mechatroniker ausbilden und in eine Forschungslandschaft, mit der man bei Innovationen zusammenarbeiten kann.


Hat der Freistaat es versäumt, sich rechtzeitig um neue Gewerbeflächen zu kümmern, weil er wie viele glaubte, dass die Zeit der Großansiedlungen vorbei ist?
Dass etwas versäumt wurde, kann ich jetzt nicht erkennen. Die Größe von nachgefragten Standortflächen von 400 Hektar war so auch vor 15 Jahren nicht absehbar. Die Situation ist in anderen Ländern nicht anders, insbesondere in westdeutschen Ländern dürfte der Engpass an Gewerbegebieten dieser Größenordnung noch ausgeprägter sein.


Die Gewerbefläche in Großenhain vermarktungsfähig zu erschließen, hat zehn Jahre gedauert. Wie lässt sich das beschleunigen?
Erstens, dass Baureife hergestellt wird durch entsprechende Planungsverfahren, die im kommunalen Bereich ansetzen. Zweitens, dass entsprechende Flächen schon erworben werden im Vorfeld auf eine Investorenanfrage. Drittens, dass für diese Flächen schon Planungen der Wasser- und Stromversorgung erfolgen müssen. Es muss mehr auf Vorrat geplant werden, sodass man ein vergabefertiges Gewerbegebiet anbieten kann. Der Aufwand, Anlagen und zum Beispiel Wasserleitungen im Rahmen eines schon abgeschlossenen Planungsverfahrens zu errichten, ist in zeitlicher und finanzieller Hinsicht ein ganz anderer, als wenn Sie diese von Anfang an planen müssen.


Die Erfolgsgeschichte in der Mikroelektronik in Sachsen soll weiter gefördert werden. Worauf kommt es da an?
Die Genehmigungsverfahren sind ein kritischer Punkt. Wir müssen schnell und kundenfreundlich agieren. Jede Verzögerung eines Bauvorhabens kostet ein Industrieunternehmen bares Geld. Deshalb wurden in der Landesdirektion entsprechende Priorisierungen vorgenommen. Außerdem betrifft es den weiteren Ausbau der Berufsausbildungsstrukturen, sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht und der Forschungsstrukturen. Wir haben die höchste Fraunhofer-Dichte in Europa. Das müssen wir erhalten und weiter ausbauen.


Gehören die Verhandlungen über Subventionen mit dem Bund und der EU-Kommission auch zu Ihren Aufgabenbereichen?
Ja, koordinierend, was die Schwerpunktsetzung in der Förderung betrifft, dass wir auf die richtigen Forschungsbedarfe abstellen. Bei der Forschungsförderung findet eine Neuorientierung statt. Aber ich muss dem Eindruck vorbeugen, das wäre alles völlig neu. Ein Beauftragter ist jetzt neu. Aber, dass das Thema mit Blick auf die Landesentwicklung in der Staatskanzlei eine große Rolle spielt, ist nicht neu. Die Gespräche fangen jetzt nicht an. Wir sind schon lange mittendrin.


Der Bau einer Chipfabrik ist mit sehr hohen Infrastrukturinvestitionen für die Kommunen verbunden. Die Bundesregierung fördert aber nur den direkten Bau der Fabrik. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch Infrastrukturinvestitionen gefördert werden?
Das muss man sich anschauen. Es gibt grundgesetzlich eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. In diesem Rahmen kann man agieren. Investitionen, die jetzt getätigt werden, bringen einen Ertrag in Gewerbesteuereinnahmen, in Grundsteuereinnahmen, aber auch in der Einkommensteuer, die bei der Wohnsitzgemeinde anfällt.


Bei der Forschungsförderung wie bei den Genehmigungsverfahren sind Sie vom Tempo beim Bund und von der EU-Kommission abhängig. Bremst das nicht?
Das ist richtig. Auf Bundesebene muss besprochen werden, wie die teilweise noch sehr umständlichen, zeitaufwendigen und auch störbehafteten Genehmigungsverfahren vereinfacht werden können. Wir stehen im Wettbewerb mit Ländern, wo so etwas viel schneller geht. Wenn bei uns eine Investition mit allen Genehmigungsverfahren drei Jahre dauert, geht das in asiatischen Ländern in einem Jahr.


Großansiedlungen haben auch Schattenseiten. Wie wollen Sie verhindern, dass die großen Unternehmen durch höhere Löhne den kleineren Betrieben die besten Leute abwerben und so vielleicht gar manche in die Pleite treiben?
Angenommen, ein Investor will eine Fabrik mit 500 Arbeitsplätzen schaffen. Dann werden noch Zulieferer benötigt, zum Beispiel für Versorgungs-, Wartungs- und Reinigungsleistungen. Das Unternehmen wird Mitarbeiter teilweise mitbringen, aber auch über Löhne um neue Mitarbeiter wie Monteure konkurrieren. Es wird eine Umlenkung der Arbeitskraft stattfinden, weil es auch Arbeitnehmer geben wird, die längere Wege in Kauf nehmen, um dort zu arbeiten. Wenn der Lohn nach oben gesetzt wird, ist das auch ein Anreiz, dass sich weitere Arbeitskräfte zu diesem Standort hinbewegen werden. Es stimmt, dass die vorhandenen kleinen und mittelständischen Unternehmen mit den guten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen konkurrieren müssen. Das gelingt, wenn die Unternehmen als Zulieferer oder Dienstleister agieren. Dass dadurch der Mittelstand flächendeckend eingeschränkt werden wird, das halte ich aber für zu schwarzgemalt.


Sie sind also optimistisch, dass die ländlichen Räume durch die Strahlkraft der Großansiedlungen profitieren werden?
Ganz eindeutig ja. Die Menschen kommen und bleiben wegen Arbeitsplätzen und guter Infrastruktur. Wenn Arbeitsplätze kommen, hat das Veränderungswirkungen zur Folge und es werden
sich neue Gleichgewichte bilden. Aber das Ergebnis wird sein, dass dort mehr Menschen zu besseren Bedingungen dauerhaft leben als derzeit. Der großen Sorge, dass die Jugend abwandert, weil sie keine Perspektive vor Ort haben, wird so begegnet.


Sie sind der Prozessmanager, damit der Ansiedlungsprozess erfolgreich wird. Auf welche Erfahrungen aus Ihrem bisherigen Berufsweg können Sie zurückgreifen, die jetzt von Vorteil sind?
Meine Arbeit im Finanzministerium hat mir eine sehr gute Grundlage verschafft für die Einordnung der Verwaltungsprozesse und der Finanzierungs- und Förderinstrumente, die im Bereich der Wirtschaftsförderung im Raum stehen. Die Arbeit mit dem Haushalt ist eine Querschnittsfunktion. Man sieht, wie die Ressorts arbeiten, die Landesdirektion funktioniert, welche Förderinstrumente es in der Wirtschaftsförderung gibt, wie die Strukturfondsförderung auf EU-Ebene programmiert, umgesetzt und abgerechnet wird.


In den Haushaltsverhandlungen wurde auch um Rücklagen für die Förderung der Halbleiterindustrie gerungen. Sind die hohen Investitionskosten wirklich notwendig oder schlägt sich da auch schon ein weltweiter Subventionswettlauf nieder, der die Kosten in die Höhe treibt?
Gesamtwirtschaftlich gesehen ist jeder Konkurrenzkampf zwischen Staaten, der sich auf Zölle oder Steuerbelastungen bezieht, in einem gewissen Umfang gefährlich. Das kann zu einem ruinösen Unterbietungswettlauf führen. Deshalb kann man sich durchaus die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller ist, die Subventionen in Amerika und Asien als Kunde mitzunehmen, indem man die verbilligten Produkte erwirbt, aber nicht selbst Investitionen tätigt. Auf der anderen Seite ist dies mit einer zunehmenden Abhängigkeit von diesen Staaten verbunden. Das Risiko ist, das Europa ab einem gewissen Punkt von diesen strategisch wichtigen Technologien abgekoppelt wird. Genau das soll durch den EU-Chips-Act verhindert werden.


Und glauben Sie an den Erfolg des EU Chips Act?
Ich halte es für richtig, dass eine solch strategisch wichtige Industrie und Technologie wie die Mikroelektronik weiterentwickelt wird. Wir dürfen uns wegen der komplementären Industrien wie der Automobilindustrie nicht abhängig machen von Dritten und damit auch die Funktionsfähigkeit der übrigen Industrien gefährden. Die Lieferketten, die jetzt neu ausgerichtet werden, werden die nächsten 20, 30 Jahre bestehen. Sachsen muss seine Chancen nutzen. Ja, die De-Globalisierung führt zu höheren Kosten und damit zu höheren Preisen. Aber eine höhere Sicherheit und stärkere Unabhängigkeit haben ihren Preis.


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