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Jeder zweite Handwerker in Sachsen rät von Selbstständigkeit ab

Laut einer repräsentativen Umfrage ist Bürokratie das größte Hemmnis für den Schritt in die Selbstständigkeit. Nirgends sonst in Deutschland ist Unternehmertum so wenig populär wie in Sachsen.

Lesedauer: 3 Minuten

Martin Militzer (37, l.) hat – allen Unkenrufen zum Trotz – den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und 2022 den Betrieb von Vater Joachim (61, r.) übernommen. Militzer Sanitär, Heizung, Klima in Freital hat zwölf Mitarbeitende, darunter drei Azubis.

Von Michael Rothe

Unternehmer von heute brauchen ein dickes Fell, Leidensfähigkeit und Idealismus. Pünktlich zur Preisverleihung für Sachsens Beste am Freitag hat Deutschlands Oberhandwerker und Zentralverbandspräsident Jörg Dittrich noch Futter für sein Grußwort bekommen. Die Dresdner Handwerkskammer, der Dittrich auch ehrenamtlich vorsteht, hatte sich per Umfrage unter den 21.000 Mitgliedsbetrieben kundig gemacht, wie es um die Attraktivität des Unternehmertums bestellt ist.

Das Ergebnis der repräsentativen Befragung nennt Dittrich „drastisch“ und „einen Grund zum Aufhorchen – für das Handwerk, aber auch die gesamte Wirtschaft“ . Im Freistaat würde demnach jeder zweite Unternehmer (gut 49 Prozent) anderen von einer Selbstständigkeit abraten. In keinem anderen Bundesland sei die Abneigung größer, ist der Dresdner Dachdeckermeister überrascht. Jedoch würden deutschlandweit auch nur 42 Prozent der Befragten einen solchen Weg weiterempfehlen. Der Online-Panel-Dienstleister Civey hatte im April im Auftrag der Kammer 5.000 Bundesbürger, 2.000 Selbstständige und 2.500 abhängig Beschäftigte befragt.

„Wir benötigen dringend lösungsorientierte Ansätze, um die Attraktivität der Selbstständigkeit zu stärken, aber auch um das Ansehen von Selbstständigen zu verbessern“, fordert Dittrich, der auch Präsident des sächsischen Handwerkstags, der regionalen Dachorganisation der Kammern und Verbände, ist. Als größte Nachteile hätten die Befragten finanzielle Risiken (71 Prozent) angegeben, gefolgt von hoher Bürokratielast (67 Prozent) und ungeregelten Arbeitszeiten (35 Prozent). Ferner seien Fachkräftemangel und problematische Kundenakquise als größere Herausforderungen genannt worden.

Einer von fünf Werktagen geht für Bürokratie drauf

Dittrich nennt die Attraktivitätssteigerung des Unternehmertums „eine langfristige Aufgabe, an der viele Stakeholder beteiligt sind“. Wenn es um das Thema Bürokratieabbau geht, sei aber ganz klar der Staat in der Verantwortung: „Hinter dem Bürokratieaufwand verbirgt sich für Selbstständige jede Menge Arbeit, Zeit – und damit auch Geld.“ Im Schnitt bringe ein Unternehmer im Handwerk einen von fünf Werktagen dafür auf – manchmal sogar fast die Hälfte seiner Arbeitszeit. „Das ist nicht tragbar“, beklagt der ZDH-Präsident.

Das würde auch Martin Militzer unterschreiben. Der gelernte Heizungs- und Lüftungsbauer und studierte Diplomingenieur hatte 2022 den väterlichen Betrieb für Heizung, Klima, Sanitär mit elf Beschäftigten in Freital übernommen. Er packe gern mit an, sagt er zur SZ, müsse aber viel Zeit mit Formularen im Büro verbrennen. Der 37-Jährige ist im 1986 gegründeten Unternehmen großgeworden, und hat nach eigenem Erleben aber auch viele Vorteile von Selbstständigkeit erfahren, so der zweifache Familienvater.

Dazu zählen laut Umfrage-Ergebnis: zuerst das Attribut „ sein eigener Chef zu sein“, gefolgt von flexibler Arbeitszeitgestaltung und der Möglichkeit, die eigene Kreativität einzubringen. Über ein Drittel der Befragten sieht in der Verantwortung für das eigene Gehalt einen der größten Vorteile, ein Viertel schätzt besonders die Flexibilität beim Arbeitsort.

Die Umfrage zeigt laut Kammerpräsident Dittrich, dass in der Schulausbildung großes Potenzial zum Heben der Attraktivität des Unternehmertums liegt. Knapp 80 Prozent der Befragten gaben an, dass Unternehmertum in Schulen eine größere beziehungsweise überhaupt eine Rolle spielen sollte. Um das Thema wirksam in den Schulalltag zu integrieren, empfiehlt er wirtschaftliche Themenstellungen mit echtem Praxisbezug in allen Lehrplänen, digitale Unternehmensplanspiele oder spezifische Ganztagsangebote zu Start-ups. Aber auch die Handwerksorganisation müsse die Vorteile der Selbstständigkeit offensiver kommunizieren, fordert Dittrich.

Weniger Sorgen, aber Frühjahrsbelebung fehlt

Die Stimmung im Wirtschaftszweig taugt angesichts der Nachwehen von Corona- und Energiekrise, hoher Inflation, Lieferengpässen nur bedingt zur Eigenwerbung. „Die Sorgen der Unternehmen lassen nach, aber der Konjunktur fehlt es an Dynamik“, bringt Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski das Ergebnis der Frühjahrsumfrage auf den Punkt. Dabei würden die Aussichten etwas besser beurteilt als die Geschäftslage. In Summe liege der Index leicht über dem vor einem Jahr.

Im Lebensmittelhandwerk gibt es die größten Stimmungskiller, gefolgt von Gesundheits- und Bauhandwerk. Die Kfz-Branche und die Sparte für gewerblichen Bedarf sind indes besser gelaunt als vor einem Jahr. Und das beste Geschäftsklima herrscht im Ausbau, wo Installateure, Heizungsbauer und Elektrotechniker dank Energiewende eine Auftragsflut erwarten.

Wie vor einem Jahr melden rund 60 Prozent der Betriebe gute oder befriedigende Geschäfte. Dass sich am Status quo vorerst nichts ändert, erwarten gut zwei Drittel. Wegen hoher Inflation könnten Betriebe trotz höherer Umsätze nicht kostendeckend arbeiten, relativiert Brzezinski, der auch eine Zurückhaltung bei Investitionen feststellt. Die Auftragslage sei für die Jahreszeit üblich. Fast drei Viertel der Unternehmen melden eine gleichbleibende Beschäftigtenzahl, sechs von zehn Betrieben wollen ihre Preise erhöhen.

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