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Kein Anreiz zum Arbeiten? Was Dresdens Jobcenter-Chef vom Bürgergeld hält

Der Bundestag hat das Bürgergeld beschlossen, der Bundesrat blockiert es noch. Für den Dresdner Arbeitsmarkt wäre es ein Gewinn, sagt Jobcenter-Chef Thomas Berndt. Warum er das so sieht und was Dresdens Politiker sagen.

Lesedauer: 3 Minuten

Von Julia Vollmer

Dresden. Dresdnerinnen und Dresdner, die bisher Hartz IV bekommen haben, sollen ab dem 1. Januar das neue Bürgergeld bekommen und damit eine Erhöhung der Regelsätze. So wie alle anderen Menschen in Deutschland auch. Der Bundestag hat dies bereits beschlossen, im Bundesrat ist das Bürgergeld dagegen noch nicht durch. Dort soll der Vermittlungsausschuss nach einem Kompromiss suchen. Wie viele Dresdner würden das Bürgergeld bekommen – und wie hoch wäre es?

In Dresden würde die Reform tausende Menschen betreffen. Hartz IV bekamen im Oktober 12.547 arbeitslose Dresdnerinnen und Dresdner, 504 Männer und Frauen weniger als im Vormonat, jedoch 1.122 mehr als noch im Oktober 2021, wie das Jobcenter mitteilt.

Wie hoch ist das Bürgergeld?

Der aktuelle Hartz-IV-Regelsatz soll von 449 Euro für Alleinstehende auf 502 Euro angehoben werden. So wollen es SPD, Grüne und FDP. „Menschen ohne Arbeit sollen mehr durch Weiterbildungen gefördert, statt mit Sanktionen unter Druck gesetzt werden“, so Dresdens SPD-Chefin und Bundestagsabgeordnete Rasha Nasr. Sie ist auch stellvertretende Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion.

„Die Leistungen können im ersten halben Jahr, der Vertrauenszeit, nur ausnahmsweise gekürzt werden, wenn jemand wiederholt nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeitet“, so Nasr. Sanktionen sind weiter möglich, auch danach. Zur Debatte, das Bürgergeld sei zu hoch und Menschen mit Mindestlohn hätten am Ende weniger Geld , sagt Nasr: „Mit Bürgergeld wird sicher niemand im Luxus leben. Die Menschen sollten jetzt nicht gegeneinander ausgespielt werden.“

Außerdem soll in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezuges niemand sein Gespartes antasten müssen, nur wenn es über 60.000 Euro liegt. Doch so viel dürften wohl die wenigsten Betroffenen auf dem Konto haben. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll anders als bisher zunächst nicht nötig werden, sagt Nasr.

Kritik an der Höhe des Bürgergelds kommt von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Sachsen. „Kritisch sehen wir als Wohlfahrtsverband und als Träger von Beratungsangeboten für Menschen in wirtschaftlichen Notlagen die nach wie vor zu geringen Regelsätze. Bereits im alten System waren diese Sätze zu gering, mit der Erhöhung um lediglich 53 Euro wird diese Unterdeckung fortgeführt“, so AWO-Sprecherin Ulrike Novy.

Führt das Bürgergeld zu einer geringeren Motivation?

CDU und CSU hatten kritisiert, dass das Bürgergeld zu einer geringeren Motivation führe, sich wieder eine Arbeit zu suchen. „Beim Bürgergeld geht es aus meiner Sicht um zwei verschiedene Dinge“, sagt der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordneter Markus Reichel. Er ist für die Union im Ausschuss für Arbeit und Soziales für das Thema Bürgergeld zuständig. „Mehr Geld für Arbeitslose – ja. Bei den aktuellen Preissteigerungen ist das ein Muss. Die Bürgergeld-Reform halte ich jedoch weiterhin für falsch und habe dagegen gestimmt. Sie setzt falsche Anreize auf dem Arbeitsmarkt.“ Konkreter wird Reichel nicht.

Das Gegenteil sei der Fall, betont Thomas Berndt, Geschäftsführer des Dresdner Jobcenters, auf Sächsische.de-Anfrage. „Arbeit hat zuerst eine soziale Funktion und ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe. Das geplante Gesetz enthält aus unserer Sicht auch sehr wohl Anreize zur Arbeitsaufnahme.“ Durch die beabsichtigten höheren Freibeträge beim Einkommen hätten Leistungsberechtigte insgesamt ein höheres Einkommen zur Verfügung, auch durch den Kinderzuschlag und das ab 1. Januar erhöhte Wohngeld. „Das ist eine ganz klare Motivation“, betont Thomas Berndt.

Auch die Dresdner AWO, die Projekte für Arbeitslose trägt, sieht im Bürgergeld eine Stärkung der Motivation. „Die stärkere Förderung von Weiterbildung leistet einen Beitrag. Die Möglichkeit, mit einem Nebenverdienst oder einer ehrenamtlichen Arbeit schrittweise in Arbeit zu kommen und mehr verdientes Geld hierfür behalten zu können, kann ebenfalls zur Aufnahme einer Beschäftigung motivieren“, sagt Sprecherin Ulrike Novy.

Solveig Buder, Geschäftsführerin beim Träger „Jugend, Arbeit, Bildung“ befürwortet die Anhebung der Regelsätze. „Ich kritisiere aber als Praktikerin, dass es im ersten halben Jahr nur in Ausnahmefällen Sanktionen geben soll. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, zu den Terminen im Jobcenter anwesend sein“, sagt sie. Buder arbeitet mit Langzeitarbeitslosen. Leistungen müssten alle bringen, auch schon Schüler.

Wie bewertet das Jobcenter das Bürgergeld?

„Wir begrüßen die Pläne zum Bürgergeld grundsätzlich“, so Berndt. „Hartz IV stammt aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit und einem sehr unzugänglichen Arbeitsmarkt.“ Heute sehe der Jobcenter-Chef in Dresden einen „Arbeitnehmerarbeitsmarkt“.

„Einige Menschen können sogar zwischen Arbeitsangeboten auswählen“, sagt er. Die, die keine Arbeit finden, hätten „meist andere Probleme“, so Berndt. Viele der arbeitslosen Menschen in der Grundsicherung hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung. „Wir brauchen aber jeden auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb stellt das Bürgergeld die Aus- und Weiterbildung in den Mittelpunkt. Das finden wir richtig.“ In der stärkeren Betonung der Qualifizierungsmöglichkeiten sehe er eine Chance, Menschen für eine Fortbildung zu motivieren.

Berndt betont aber auch: Für eine Umsetzung braucht er Geld. „Mit Blick auf die in diesem Jahr über 4.000 neuen Bezugsempfänger aus der Ukraine, den auch für unser Haus nicht unerheblichen Anstieg der Kosten für Strom und Heizung und der Umsetzung des Bürgergeldes ist eine solide Finanzausstattung erforderlich“. Dazu würden zur Zeit Gespräche mit Stadt und der Agentur für Arbeit laufen.

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