Georg Moeritz
Dresden. Wer Emilie Wegners Produktionshalle mit den Kichererbsen und Gewürzen betreten will, muss im Flur erst Überschuhe anziehen. Dort hat die 29-jährige Ernährungswissenschaftlerin ein blaues Poster aufgehängt: „Hier fördert die Europäische Union“ (EU) steht darauf. Solche blauen Poster hängen in vielen sächsischen Betrieben, auch über der Verkaufstheke der Bäckerei Drechsel in Löbau. Die Theke wurde zu 70 Prozent von der EU bezahlt.
Sächsische Unternehmen können 645 Millionen Euro aus dem Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund, JTF) bekommen. Dieses Hilfsprogramm der EU soll Menschen, Wirtschaft und Umwelt dort unterstützen, wo wegen des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft „schwerwiegende Herausforderungen bewältigt werden müssen“. In Sachsen zählen dazu das Lausitzer Braunkohlerevier, das Mitteldeutsche Revier und Chemnitz.
Daher können diese Zuschüsse beispielsweise in Zittau und Leipzig beantragt werden, nicht aber in Dresden und Riesa. Auch Apotheken und Tierarztpraxen haben Geld bekommen, teilte ein Sprecher im Auftrag der EU-Kommission bei einer Rundreise zu vier sächsischen Betrieben mit. Das Geld sei ein Signal an alle, „dass es sich lohnt, hier zu leben und sich eine Zukunft aufzubauen“. Deutschland bekommt insgesamt 2,5 Milliarden Euro aus diesem JTF-Topf. Das ist innerhalb der EU der zweitgrößte Anteil nach dem polnischen.
Die Hülsenfrucht-Freundin: Schoko macht Kichererbse beliebt
Lieber mit Paprika oder mit Schokolade? Emilie Wegner weiß, wie sie ihre Kunden herumkriegt. Am liebsten würde die studierte Ernährungswissenschaftlerin jeden aufrufen, täglich Hülsenfrüchte zu essen. Aber Lockmittel funktionieren besser: „Snacks essen alle gerne“, weiß die 29-jährige Firmengründerin. Also lässt sie in ihrem Betrieb mit 15 Mitarbeitern die sizilianischen Kichererbsen einweichen, rösten und je nach Geschmacksrichtung in bunte Tüten verpacken. Die gibt es schon in Tausenden Drogerie- und Supermärkten – und im Onlineshop der Hülsenreich GmbH.
In einem Industriepark in Leipzig-Eutritzsch hat Wegner ihre Produktion aufgebaut. Dort stapeln sich Plasteeimer zwischen Maschinen, ab und zu steigt etwas Dampf aus einem Topf. Die Chefin wirft einen Blick zum Dragierkessel: „Heute ist anscheinend Tomate-Basilikum dran.“ Zwei Männer füllen die fertigen Knusperkugeln in Tüten, fürs nächste Jahr hat Wegner eine Abfüllmaschine bestellt. Sie steht selbst nicht mehr am Röster, sondern kümmert sich ums Organisatorische. Manche Ziele und Zwischenziele hat sie auf Pappen geschrieben und im Betrieb aufgehängt: „Bestellabwicklung kleine Kunden? Stellvertretung Sascha?“ Das ist noch zu klären.

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Bei den großen Fragen bekommt die Geschäftsführerin Unterstützung: Drei „Business Angels“ stehen als Investoren hinter dem Betrieb, darunter ein Lebensmittel-Unternehmer aus Erfurt. Die beiden anderen ließen sich durch den JTF-Zuschuss locken. Der ermöglicht es nämlich, den finanziellen Einsatz des Business Angels zu verdoppeln. Der muss allerdings langfristig investieren, betont Markus Horn, der im sächsischen Wirtschaftsministerium im zuständigen Referat für den Förderfonds arbeitet.
Dieses Jahr wird Emilie Wegner den Umsatz von Hülsenreich von 650.000 Euro auf fast eine Million erhöhen. Das Weihnachtsprodukt „Salted Caramel“ soll dazu beitragen. Seit diesem Jahr verkauft sie auch einen Teil ihrer gerösteten Hülsenfrüchte an andere Firmen, etwa als Alternative zu Croutons. Als „zweite Leidenschaft“ setzt sie sich dafür ein, dass mehr Kichererbsen in Deutschland angebaut werden. Mit einem anderen Förderprogramm hat sie eine Stelle für eine Mitarbeiterin geschaffen, die eine ganze Wertschöpfungskette aufbauen soll. Kichererbsen haben es gerne trocken, der Klimawandel könnte den Anbau für Bauern interessant machen.
Der Oberlausitzer Bäcker: Berater hilft bei Förderanträgen
Im Regal liegt Dinkel-Blüten-Brot mit lila Naturmaterial, das blaue EU-Plakat neben der Verkaufstheke formuliert sachlich: „Sicherung der vorhandenen Dauerarbeitsplätze“ war Ziel der Förderung für Jörg Schützes Unternehmen. Vor sieben Jahren hat der Oberlausitzer Meister die Bäckerei Drechsel übernommen. Das Büro ist in Seifhennersdorf, die Backstube in Eibau.

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Inzwischen hat Schütze elf Verkaufsstellen, drei davon nahe beieinander in Löbau. Die jüngste Theke ließ er im Edeka-Markt aufbauen, weil er Gerüchte gehört hatte, der nahe Diska könnte geschlossen werden – und dort hatte er eine große Stammkundschaft. Die Sorge war unbegründet, und für die Investition von 220.000 Euro, davon rund 8.000 für die Kaffeemaschine, bekam Schütze 70 Prozent Zuschuss. Dabei liegt Löbau weit von den Kohlekraftwerken entfernt, deren Ende mit dem Fördergeld erleichtert werden soll. Doch der Bäckermeister sieht, dass junge Leute lieber in die Großstädte ziehen, in den kleinen Städten habe „viel zugemacht“. Doch es sei wirklich „nicht alles schlecht“, er sei gegen Jammern. Schütze bildet Nachwuchs aus und will vielleicht noch Verkaufsstellen in Görlitz eröffnen.
Einen so großen Betrieb wie Nachbarbäcker Schwerdtner mit Filialen bis nach Dresden will Schütze aber nicht aufbauen, sagt er auf Nachfrage. Er habe 80 Mitarbeiter und kenne alle. „Wir bleiben hier im Kern der wunderschönen Oberlausitz“, sagt der Bäcker, der zwei Kinder im Grundschulalter hat. Er fängt um halb vier die Arbeit in der Backstube an und bringt am liebsten Brot und Brötchen in Form. Als nächstes wünscht er sich einen Anbau in Eibau, vielleicht mit Sozialräumen, und ein Förderantrag für eine größere Brot- und Brötchenanlage läuft. Ein Betriebsberater, spezialisiert auf Bäckereien, hilft Schütze beim Umgang mit den Formularen.
Zeppelin-Konstrukteure: Zittauer Beitrag zum klimaneutralen Fliegen
Von wegen Wegzug in die Großstadt: Aus Dresden sind die Brüder Oskar und Ferdinand Meyer nach Zittau gezogen. Sie sind ein Beweis dafür, dass Fördergeld und niedrige Mieten als Wirtschaftsförderung funktionieren. Ohne das Geld vom JTF wäre ihr „Startup“ nicht möglich gewesen, sagt Ferdinand Meyer. Der 23-Jährige betont, in Zittau gebe es auch „sehr proaktive Behörden“. Die unterstützen auch zwei junge Leute, die anderswo vielleicht als Luftikusse bei der Bank abblitzen könnten.

Quelle: Jens Schlueter
Die Brüder Meyer planen nämlich den Bau eines Zeppelins. Nicht gleich 300 Meter lang, sondern schrittweise: Im nächsten Jahr soll ein Zehn-Meter-Modell fertig sein, das als Drohne zugelassen werden könnte. Bis zum Frühjahr will das junge Unternehmen Wirtz Meyer GmbH den „Investor-readyness-level“ erreichen. Schon mit Prototypen könne man Umsätze generieren und dann den nächsten Schritt angehen, sagen die Meyers, die ihr Büro in einer günstigen Altbauwohnung haben. In einer Halle experimentieren sie mit Leichtbau-Materialien. Ihr Ziel: ein Luftschiff mit starrer Außenhülle, darauf Solarfolien für den emissionsfreien Antrieb. Für langsame Luftkreuzfahrten mit großen Kabinen sei der Zeppelin ideal, auch für den Transport von Gütern mit hohem Warenwert. Dass Projekte wie Cargolifter scheiterten, ist den Gründern bekannt – aber sie sehen derzeit weltweit eine Renaissance von Luftschiffprojekten. „Wir finden die Idee vom klimaneutralen Fliegen toll“, sagt Oskar Meyer (25).
Der Stuntman: Geld für Pferde und Fotovoltaik
Schon länger im Geschäft sind die Pferdetrainer von Awego Horses & Stunts, deren 19 Tiere in Herrnhut und Großschönau stehen. In Berlin und Görliwood reiten Alexander und Stefan Knappe auf Wunsch durch Feuer oder fallen vom Pferd. „Wir machen auch Reittrainings mit Schauspielern, damit es gut aussieht“, sagt Alexander Knappe, einer der Geschäftsführer.

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Vater und Onkel haben den Betrieb 1991 gegründet und waren auch auf der Felsenbühne Rathen im Einsatz. Die Pferde Sandkorn und Artos traten als Amadeus und Maharadscha in den Kinderfilmen „Bibi & Tina“ auf. Gerade hat Knappe das Pferd Erwin gekauft, das die ersten Gelassenheitsprüfungen absolviert. Zum Kauf hat das JTF-Förderprogramm „Regionales Wachstum“ beigetragen – auch zum geplanten Ausbau der Reithalle samt Fotovoltaik-Anlage.