Von Markus van Appeldorn
Die Arbeitsagentur hat wieder ihre jährliche Entgeltstatistik vorgelegt. Demnach sind mit Stichtag 31. Dezember 2022 die Medianlöhne im Landkreis Görlitz in vielen Branchen teils spürbar gestiegen. Zur statistischen Wahrheit gehört aber auch: In Sachen Löhne trägt der Landkreis immer noch sachsenweit die Rote Laterne – und Sachsen hinkt bereits deutlich dem Medianlohn in Ostdeutschland hinterher. Dennoch, Lars Fiehler, Geschäftsführer Standortpolitik der auch für den Landkreis zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden, ist überzeugt, dass der Landkreis vor einer großen wirtschaftlichen Zukunft steht und aus dem Strukturwandel als Gewinner-Region hervorgehen könnte – dazu brauche es allerdings viel Verstand und ein wenig Geduld.
Fiehler leugnet die Wahrheit nicht: „Wir sind auch deutschlandweit das Schlusslicht. Ostsachsen landet immer im letzten Lohnsegment“, sagt er. Immerhin würden „große Hausnummern“ wie Siemens und Alstom in Dresden oder der Bergbau im Landkreis-Norden immer enormen Einfluss auf das gesamte Lohngefüge nehmen. In vielen Gewerken sieht er den immer schwieriger werdenden Kampf um Fachkräfte als Lohntreiber. „Der ein oder andere wird mit knirschenden Zähnen was an der Lohntüte machen müssen“, sagt er.
Standortvorteil 30 Jahre nach der Wende?
Vor allem im Norden des Landkreises werde der Strukturwandel seine Spuren hinterlassen. Aber: „Wenn wir es vernünftig anstellen, kann die Region eine Gewinner-Region werden. Zukunftsoptimismus ist angebracht“, ist sich Fiehler sicher. Das macht er vor allem an zwei Faktoren fest. Zum einen: „Hier in der Region gibt es eine große Expertise für Energiegewinnung“, sagt er. Das liegt an der jahrzehntelangen Erfahrung in der Verstromung von Braunkohle. Außerdem kamen alle diplomierten (Kern-)Kraftwerksexperten zur DDR-Zeit von der Hochschule Zittau. Und diese Expertise sei auch in einer Zukunft ohne Kohle gefragt. „Die Oberlausitz könnte vielleicht Deutschlands größter Standort für die Produktion regenerativer Energien werden“, sagt er. So plant der Energiekonzern Leag bereits einen riesigen Fotovoltaik-Park im heutigen Kohlegebiet um Boxberg. Wenig Sinn sieht Fiehler darin, hier Dinge „völlig aus der Retorte“ anzusiedeln, für die keine Expertise vorhanden sei. Andererseits würden Forschungsinstitute nutzen: „Nach unserer Erfahrung entfaltet Grundlagenforschung eine starke Wechselwirkung zu heimischen Betrieben.“
Begünstigend für eine solche Entwicklung sei der zweite Faktor: „Hier sind Flächen vorhanden für Ansiedlungen, das ist anderswo in Deutschland bereits ein riesiges und schwieriges Thema“, sagt Fiehler. Als Beispiel nennt er die wirtschaftlich mega starke Region Baden-Württemberg. Dort beklage Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bereits das Fehlen geeigneter Flächen für Hightech-Industrieansiedlungen. „Es klingt vielleicht wie ein Witz, aber gerade das Vorhandensein dieser Flächen kann hier 30 Jahre nach der Wende zum Standortvorteil werden“, erklärt Fiehler. All das könne man nicht morgen oder übermorgen realisieren, man müsse mit Vernunft die richtigen Weichen stellen. Aber: „Das Momentum ist auf unserer Seite, nicht die ewig abgehängte Region zu sein“, ist Fiehler überzeugt. Nun zu den statistischen Lohn-Daten.
Wie hat die Arbeitsagentur die Entgelttabelle erstellt?
Die Bundesagentur für Arbeit erstellt die Tabellen für sozialversicherungspflichtige Bruttoarbeitsentgelte jährlich auf Grundlage von Meldungen der Arbeitgeber. Sie enthalten etwa Informationen über Alter, Berufsabschlüsse, Branchen oder das Median-Entgelt. Median bedeutet, die Agentur gibt nicht die Durchschnittsentgelte einer Branche an, sondern die mittleren Entgelte. Liegt das Median-Entgelt also bei 2.500 Euro, bekommt eine Hälfte dieser Gruppe weniger und die andere mehr Geld. Bei einer Messung des Durchschnittsgehalts würden besonders hohe Gehälter die Statistik nach oben verzerren.
Wie viel verdienen Menschen im Landkreis Görlitz?
Der Median-Bruttolohn aller im Landkreis sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten (50.273) betrug 2022 2.650 Euro – ein Plus von 133 Euro gegenüber dem Vorjahr und gar 228 Euro gegenüber 2020. Sachsenweit liegt der Medianlohn bei 3.012 Euro. Führend in Sachsen sind die Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz sowie der Kreis Zwickau mit Medianlöhnen teils deutlich über 3.000 Euro. Keine sächsische Region aber reicht an den deutschlandweiten Medianlohn von 3.646 Euro heran – nur Westdeutschland betrachtet liegt dieser gar bei annähernd 4.000 Euro.
Gut die Hälfte aller Arbeitnehmer im Landkreis befinden sich in der Gehaltsgruppe zwischen 2.000 und 3.000 Euro. Männer liegen mit einem Medianlohn von 2.645 Euro leicht unter dem allgemeinen Medianlohn, Frauen mit 2.668 Euro leicht darüber. Das könnte daran liegen, dass Frauen tendenziell öfter in Branchen wie etwa dem Gesundheitswesen arbeiten – wo viele Tätigkeiten eben besser bezahlt werden als oft beklagt wird.
Der rein statistische Topverdiener ist demnach weiblich, deutsch, über 55 Jahre alt und Akademiker. 25-55-Jährige erhalten demnach einen Medianlohn von 2.658 Euro – die älteren 82 Euro mehr. Zwischen Deutschen (2.761 Euro) und Ausländern (2.374 Euro) klafft eine Lohnlücke von annähernd 400 Euro. Akademiker beziehen mit 4.379 Euro das höchste Einkommen. Als Spitzenverdiener etwa gelten Lehrer an allgemeinbildenden Schulen mit einem Median von 6.030 Euro.
Wo gibt es die größten Lohnsteigerungen?
Zu den Spitzenverdienern gehören die Beschäftigten in Bergbau, Energie und Wasserver- und -entsorgung mit einem Median von 4.195 Euro – gegenüber 2021 (3.734 Euro) noch mal ein Lohnplus von 461 Euro. Am unteren Ende der Lohnskala stehen die Beschäftigten im Gastgewerbe mit 2.031 Euro – gegenüber 2021 (1.786 Euro) aber immerhin ein Plus von etwa 250 Euro. Einen leichten Rückgang von einstigen 4.860 Euro (2021) gab es tatsächlich im Spitzenverdiener-Segment Erziehung und Unterricht. Dort gibt’s aktuell 4.791 Euro. „Das könnte an einer gestiegenen Teilzeitquote liegen“, erklärt Lars Fiehler die Statistik.