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Kretschmer: Energiewende darf ruhig etwas länger dauern

Auf einer Kraftwerkstagung in Dresden fordert Sachsens Ministerpräsident Kretschmer erneut, Atomenergie zu nutzen. Für die Energiewende will er mehr Zeit, andere Teilnehmer wollen mehr Tempo.

Lesedauer: 3 Minuten

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang waren beim Kraftwerkstechnischen Kolloquium der Technischen Universität Dresden zu Gast.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang waren beim Kraftwerkstechnischen Kolloquium der Technischen Universität Dresden zu Gast. © dpa

Von Georg Moeritz

Dresden. Bei einer Diskussion mit Energieexperten und Politikern in Dresden hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mehr Zeit gefordert, um die Energiewende richtig zu organisieren. Wenn die soziale Frage dabei nicht ausreichend beachtet werde, gebe es Gegenreaktionen aus der Bevölkerung. Kretschmer forderte bei dem Kraftwerkstechnischen Kolloquium der Technischen Universität Dresden am Dienstag erneut, auch „heimische Atomkraft“ zu nutzen. Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang und der Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Manfred Fischedick, forderten dagegen mehr Tempo für Erneuerbare Energien. Lang sagte, die Langsamkeit in Europa sei „für uns ein globales Risiko“.

Kretschmer sagte bei einer Podiumsdiskussion als Teil des Kongresses mit 850 Zuhörern, für Versorgungssicherheit und niedrige Energiepreise müsse alles genutzt werden, was möglich ist: „Ich glaube, dass wir nicht ohne Atomenergie auskommen, dass wir möglicherweise heimisches Gas brauchen und dass wir über Braunkohle noch einmal sprechen müssen.“ Zukunftsszenarien mit einem Wasserstoffverbund mit anderen Ländern und mit Importen aus Afrika seien richtig, „aber wir müssen dieses Jahrzehnt durchstehen“. Eine Mangelsituation drohe bei Energie und bei Rohstoffen.

Kretschmer: Neuaufsetzen der Energiewende nötig

Zum weltweiten Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid trage Deutschland nur etwa 2,5 Prozent bei, da komme es auf ein paar Jahre mehr bei der Energiewende nicht an. „Wir brauchen ein Neuaufsetzen der Energiewende“, sagte Kretschmer. In den vergangenen Wochen hatte Sachsens Ministerpräsident mehrmals gesagt, die Energiewende sei gescheitert. Dagegen hatte es Widerspruch aus der Branche gegeben.

Tagung mit Messeständen: Im Internationalen Congress Center in Dresden beteiligen sich 98 Aussteller am Rahmenprogramm des Kolloquiums, darunter Leag, RWE, Siemens Energy und Tüv Süd.© SZ/Georg Moeritz

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang sagte bei der Dresdner Tagung, die Energiewende werde nur „mit mehr Wattstunden“ Strom gelingen. „Wir haben vieles in der Hand und müssen es schneller machen“, sagte Lang. Beim Aufbau der Elektromobilität werde Europa schon von China überholt. Der Abbau der Braunkohle in Deutschland werde sich weit vor dem Ausstiegsjahr 2038 aus dem Kohlekompromiss „nicht mehr lohnen“. Lang bedauerte, dass Entscheidungen in der Europäischen Union „unfassbar kompliziert und langsam“ seien. Kretschmer sagte, viele europäische Regierungen seien verärgert über die deutsche Energiepolitik: „Wir sind die Falschfahrer, nicht die anderen.“

Wirtschaftsweise Grimm: Neue Atomdiskussion unnütz

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Volkswirtschaftsprofessorin in Nürnberg, betonte wie Kretschmer die „soziale Ausgewogenheit“ der Energiewende als Voraussetzung dafür, dass sie akzeptiert werde. Sachsen habe gute Chancen: Die wirtschaftliche Dynamik sei derzeit in Ostdeutschland größer als im Westen, und in Sachsen würden drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investiert – das sei doppelt so viel wie in manchen West-Ländern. Die angekündigten neuen Fabriken ließen hoffen.

Zum Logo des 55. Kraftwerkstechnischen Kolloquiums der TU Dresden gehört auch ein Atomsymbol.© Screenshot: SZ/Georg Moeritz

Eine neue Diskussion über Atomkraft in Deutschland werde aber nichts nützen, hielt Grimm Kretschmer entgegen. Vielmehr müsse Deutschland mit anderen Staaten beim Energieaustausch kooperieren. Selbst wenn alle französischen Atomkraftwerke funktionierten, werde der künftige Strompreis in Deutschland aber nicht auf sechs Cent pro Kilowattstunde im Großhandel sinken. „Energie wird teurer bleiben“, sagte Grimm voraus. Das liege auch an den geplanten Klimaschutz-Abgaben. Die Einnahmen daraus müssten umverteilt werden und ärmeren Menschen zugutekommen. „Die haben auch den kleineren CO2-Fußabdruck“.

Dresdner Professor Beckmann: Kann Risiko nicht schätzen

Für den Nachmittag war ein Vortrag „Zum Stand der Energiewende in Deutschland“ von Michael Beckmann angesagt. Der Dresdner Professor für Energieverfahrenstechnik ist seit Jahren einer der Gastgeber der Tagung. In seinem Vortrag verzichtete Beckmann aber weitgehend auf Zahlen und ließ auch keine Präsentation an die Wand werfen. Er sagte: „Wir hinken den Zielen hinterher.“ Mitte April seien die letzten deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet worden. Deutschland sei nun vom Stromexporteur zum Importeur geworden. Zwar werde zeitweilig Strom exportiert, aber dafür müsse noch Geld mitgegeben werden.

Beckmann sagte, er wolle nicht den Klimawandel herunterspielen. „Aber gehen wir rational damit um?“, fragte er. Die Befürchtungen des Club of Rome von 1972 unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ seien nicht eingetreten. Wichtige Rohstoffe seien entgegen den Prognosen noch nicht aufgebraucht, auch weil die Preise gestiegen seien und Ingenieure Ersatz-Innovationen gefunden hätten. Vollständige Risiko-Analysen halte er nicht für möglich, es gebe zu viele Unsicherheiten.

Die Energiewende werde wahrscheinlich länger dauern als von der Politik gewünscht, sagte Beckmann. „Wir brauchen einen neuen Ansatz“, sagte der Dresdner Experte für Verbrennung, Stoff- und Wärmeübertragung. Es sei aus seiner Sicht auch falsch, zu sagen, das Thema Kernenergie sei jetzt durch. Beckmann sagte, er setze auf die Freiheit des Marktes und der Wissenschaft. Dazu gehöre auch, dass Förderprogramme diese Freiheit nicht auf bestimmte Themen einengten.

Das Kraftwerkstechnische Kolloquium in Dresden wird am Mittwoch fortgesetzt. 95 Vorträge stehen auf dem Programm, dazu gehört auch ein Kernenergetisches Symposium unter Leitung des Dresdner Professors Antonio Hurtado. Unter den Themen sind auch Druckluftspeicher, die Sicherheit von wasserstoffbasierten Energiesystemen und der Quecksilber-Ausstoß von Braunkohlenkraftwerken.

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