Von Michael Rothe
Dresden. Wer hätte gedacht, dass angehende Pflegekräfte in Deutschland einmal mehr in der Tasche haben als Bank-Azubis? Die Personalnot machts möglich, wie eine Studie des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres belegt.
Die Spannbreite der tariflichen Vergütungen reicht von 620 Euro im Monat – der gesetzlichen Untergrenze im 1. Jahr, die bei Friseuren und in der Floristik Ost gezahlt werden – bis zu 1.580 Euro, die es im Bauhauptgewerbe West für Lehrlinge im 4. Jahr gibt. „In einigen Branchen sind die Vergütungen zuletzt überdurchschnittlich gestiegen“, sagt Thorsten Schulten, Chef des WSI-Tarifarchivs. Die Tarifparteien reagierten so auf sinkende Ausbildungszahlen und zunehmenden Fachkräftemangel.
Das größte Plus verzeichnet das Backhandwerk, wo die Gelder für das 1. Lehrjahr zum 1. August auch in Sachsen um gut 26 Prozent angehoben werden. Um über zehn Prozent stiegen dort die Vergütungen im Gast- sowie im privaten Bankgewerbe.
Selten passiert gar nichts
Die meiste „Lehrlingsknete“ im 1. Lehrjahr wird derzeit in Pflegeberufen gezahlt: 1.231 Euro – aber nur in Einrichtungen, die unter den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst von Bund, Ländern und Gemeinden fallen. In der privaten Pflege kann die Ausbildungsvergütung deutlich niedriger sein.

Den Angaben zufolge wurden die Entgelte meist zwischen 2,0 und 7,5 Prozent erhöht. Selten passierte nichts – wie bei der Deutschen Bahn (DB), wo derzeit ein Tarifstreit mit der Gewerkschaft EVG tobt und in der ostdeutschen Floristik, wo die Gespräche ergebnislos abgebrochen wurden.
Die Höhe der Gelder hängt maßgeblich von der Stärke der Gewerkschaften ab – und die ist in Sachsen nicht groß. Die acht DGB-Gewerkschaften haben dort 248.000 Mitglieder, gut ein Viertel des Bestands von vor 30 Jahren. Ähnlich niedrig ist der Organisationsgrad der Arbeitgeber: 15 Prozent der Betriebe sind tarifgebunden. So arbeiten nur 42 Prozent der Beschäftigten im Freistaat in Unternehmen mit Tarifvertrag.
Aufwärtstrend im Handwerk
2022 hatten 19.285 Personen in Sachsen einen neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen, 770 mehr als im Vorjahr, teilte das Statistische Landesamt in Kamenz vor wenigen Tagen mit. Zuwächse habe es vor allem in den zahlenmäßig am stärksten besetzten Bereichen gegeben: Industrie und Handel, Freie Berufe und Handwerk.
Der Aufwärtstrend hält gerade im sächsischen Handwerk an. Zu Beginn der Sommerferien in Sachsen haben die Betriebe für das kommende Lehrjahr bereits 2.963 Ausbildungsverträge unter Dach und Fach gebracht — 178 oder 6,4 Prozent mehr als zum Vorjahreszeitpunkt.
Laut Sächsischem Handwerkstag, der Dachorganisation der Kammern und Verbände, wurden in erster Linie in den Berufen Maurer, Maler/Lackierer und Konditor mehr Verträge besiegelt. In absoluten Zahlen rangierten Kfz-Mechatroniker, Elektroniker sowie Sanitär-Heizung-Klima-Techniker auf den Rängen eins bis drei.
In der Hauswirtschaft, der Landwirtschaft sowie im Öffentlichen Dienst sei die Zahl der neuen Verträge hingegen zurückgegangen, hieß es. Zum Jahresende hätten sich sachsenweit insgesamt 49.410 Menschen in einer dualen Ausbildung befunden, davon knapp ein Drittel Frauen.