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Letzter Waggon-Rohbau: Trauer und Wut um Ende einer Görlitzer Tradition

Fotos vom letzten Görlitzer Waggon-Rohbau lassen im Netz die Wellen um die Übernahme des Werkes durch den Rüstungskonzern KNDS wieder hochschlagen. Dafür sorgt auch die AfD. Dabei ist die Lage hoffnungsvoller als gedacht, sagt der Betriebsratschef von Alstom.

Lesedauer: 4 Minuten

Susanne Sodan

Görlitz. Ein grüner Kranz mit Trauerflor ist an der metallenen Hülle eines Zugwaggons befestigt worden. „Ein letzter Gruß, deine Waggonbauer“, steht auf dem schwarzen Band des Trauerflors. Dazu die „Lebensdaten“ des Görlitzer Waggonbaus: 1849 bis 2025. Es ist der letzte Rohbau für einen Doppelstockwagen, der in Görlitz produziert wurde, bestätigt der Görlitzer Alstom-Betriebsratsvorsitzende René Straube.

Fotos von jenem Waggongerüst mit Trauerflor machen die Runde in den sozialen Netzwerken, werden hundertfach geteilt und hundertfach kommentiert. Eines der Bilder hat die AfD ins Netz gestellt, mit einer „Trauerrede“ von Sebastian Wippel, Landtagsabgeordneter und Stadtrat der AfD.

René Straube ist seit einem Jahr auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Alstom Deutschland.
René Straube ist seit einem Jahr auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Alstom Deutschland.
Quelle: Paul Glaser/glaserfotografie.de

Vorwürfe von AfD

Sein Vorwurf: Der Niedergang des Görlitzer Waggonbaus habe System gehabt, Stück für Stück sei das Werk nach dem Verkauf von Bombardier an das kanadisch-französische Unternehmen Alstom vor einigen Jahren abgewickelt worden. In der Übernahme durch den Rüstungskonzern KNDS sieht Wippel keine Zukunft für den Görlitzer Standort.

Der Schock war bei vielen groß, als Anfang 2025 bekannt wurde, dass KNDS den Görlitzer Waggonbau übernimmt. Das Ende eines Traditionsbetriebes, der in Görlitz so lange für einen gewissen Wohlstand sorgte. Stattdessen Görlitz als Rüstungsstandort – viele in der Stadt fragten sich, ob das der richtige Weg ist.

Der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (M.) kam Anfang Februar, als der KNDS-Deal festgemacht wurde, nach Görlitz.
Der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (M.) kam Anfang Februar, als der KNDS-Deal festgemacht wurde, nach Görlitz.
Quelle: Sebastian Kahnert

Wut flammt im Netz wieder auf

„Es war auch nicht unser Traum“, sagt Straube als Betriebsratsvorsitzender. „Aber es war die zweitbeste der möglichen Lösungen.“ Inzwischen haben sich die Wogen wieder geglättet, „ich habe den Eindruck, dass die Stadtbevölkerung sachlich, pragmatisch mit dem Thema umgeht“. Immerhin, mit KNDS bleibt ein Teil der Arbeitsplätze erhalten.

Ich habe kein Verständnis dafür, was manche jetzt daraus machen. Es ist schade, wie Gefühle der Mitarbeiter instrumentalisiert werden. Das haben die Kollegen nicht verdient. – René Straube, Alstom-Betriebsratsvorsitzender in Görlitz und von Alstom Deutschland

Doch mit den Bildern vom letzten Rohbau in Trauerflor schlagen die Wellen, zumindest in den sozialen Netzwerken, doch wieder hoch. Allein auf der Facebook-Seite der Görlitzer AfD-Stadtratsfraktion gingen mehr als 300 Kommentare zu dem Foto ein. Nicht aus allen, aber aus vielen liest man Wut. „Alles geplant, wir bleiben immer zweite Klasse“, heißt es zum Beispiel. Oder: „Der scheiß Westen macht alles kaputt und platt“, von „Verbrecherpolitik“ und „Idiotenregierung“ ist die Rede.

Vor sieben Jahren gingen in Görlitz Tausende auf die Straße für den Erhalt von Arbeitsplätzen bei Bombardier und Siemens.
Vor sieben Jahren gingen in Görlitz Tausende auf die Straße für den Erhalt von Arbeitsplätzen bei Bombardier und Siemens.
Quelle: Archivfoto: Nikolai Schmidt

Kein Verständnis für Instrumentalisierung

Dass Mitarbeiter um ihr Werk trauern, in dem sie mitunter Jahrzehnte beschäftigt waren, kann Straube gut verstehen. Er selbst ist seit 44 Jahren dabei. „Die Trauer der Kollegen ist völlig legitim.“ Auch die symbolische Verabschiedung des letzten Rohbaus mit Trauerkranz am Montag ist für ihn in Ordnung. Es handelt sich um den letzten Doppelstockwagen für Israel, der das Werk verlassen wird. „Wirklich, das macht wehmütig und tut weh.“ Kein Verständnis hat er dafür, was „manche jetzt daraus machen. Es ist schade, wie Gefühle der Mitarbeiter instrumentalisiert werden. Das haben die Kollegen nicht verdient.“ Wie die Bilder aus dem Werksgelände zu Außenstehenden gelangten, weiß er nicht.

Ein Satz in Sebastian Wippels Zeilen ist Straube besonders aufgestoßen: Als Bombardier sich vor einigen Jahren von der Waggonbau-Sparte trennte, habe es für Sachsen die Gelegenheit gegeben, „im Sinne eines strategischen Investments das Werk zu verselbstständigen und zu alter Blüte zu führen“. Das stimme nicht, sagt Straube, „und das weiß auch jeder, dass der Freistaat in dieser Form nicht hätte eingreifen können“.

Hätte man nur dieses oder jenes getan, dann hätte der Görlitzer Waggonbau erhalten werden können – auf solche Vorwürfe reagiert Straube inzwischen mit einem Satz seines Stellvertreters. „Er sagt in diesen Fällen gern: Wo wart ihr denn vor knapp zehn Jahren, als wir euch gebraucht hätten?“ Damals musste der Görlitzer Standort, der damals noch zu Bombardier gehörte, wegen einer hochumstrittenen Umstrukturierung Produktionszweige nach Bautzen abgeben.

Verliert vielleicht niemand seinen Job?

Die Übernahme durch KNDS nun, „hat mir am Anfang richtig Bauchschmerzen gemacht“, erzählt Straube. „Als die Kaufabsichten bekannt wurden, waren wir ungefähr noch 750 Leute am Görlitzer Standort.“ KNDS hatte in Aussicht gestellt, etwa 350 bis 400 zu übernehmen, „also lediglich die Hälfte“. Inzwischen, erzählt er, sehen die Dinge aber etwas anders aus.

Genaue Zahlen will er nicht nennen, aber derzeit sehe es danach aus, dass KNDS mehr Personal übernehmen will. Rund 60 Mitarbeiter arbeiten inzwischen bei KNDS, weitere sind in einer Transfergesellschaft. In dieser wird entschieden, ob die Ex-Waggonbauer zu KNDS übergehen, „das hängt von den Qualifikationen ab, es gibt keine Garantie“. Straube vermutet aber, dass die Quote derer, die nicht genommen werden, niedrig ausfallen dürfte. Allein schon wegen der Gegebenheiten vor Ort.

„Wir haben hier 330.000 Quadratmeter, die Hälfte davon ist überdacht.“ Nutzt man einen Gutteil der Hallen nicht, kostet das. Daher würde es Straube zumindest nicht wundern, wenn KNDS den Görlitzer Standort bald ausbauen, mehr der Flächen nutzen würde. „Das ist einfach eine Frage der Profitabilität.“

Alstom Bautzen gerade vollgepfropft mit Arbeit

Alstom selbst wollte 100 Görlitzer Waggonbauern ein Angebot machen, nach Bautzen oder zu anderen Standorten des Konzerns zu wechseln. „Glück im Unglück ist, dass Bautzen gerade vollgepfropft ist mit Arbeit und hohen Personalbedarf hat“, erzählt Straube. Nach jetzigem Stand geht er davon aus, dass in Summe deutlich weniger Menschen ihren Job verlieren werden als befürchtet.

KNDS will in Görlitz Baugruppen für verschiedene Panzer, Leopard 2, Puma und Boxer, herstellen. Wie Radio Lausitz berichtet, soll es aber mit dem Innenausbau von Fahrzeugkomponenten losgehen, „der so ursprünglich nicht geplant war“, sagt Straube. Einblick in die Schritte von KNDS hat er nicht, er bestätigt aber, dass die erste Arbeitsabteilung für Görlitz steht.

Parallel läuft die letzte Produktion für die Doppelstock-Waggons für Israel sowie für Straßenbahnwagen für Magdeburg. Außerdem ist noch die Service-Abteilung für Reparaturen, die strukturell bereits zu Bautzen gehört, in Görlitz.

Die letzte Israel-Rohbauhülle ist übrigens auch noch in Görlitz. Sie wird jetzt sandgestrahlt. Fehler, falls vorhanden, werden behoben, das Metall wird grundiert, „dann folgen die Farbgebung und erste Innenausbau-Elemente. Und dann wird der Waggon nach Bautzen gebracht“, voraussichtlich Ende 2025. Bis Ende kommenden Jahres wird es den Waggonbau noch in Görlitz geben.

SZ

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