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Mehr als nur Fassade

Lesedauer: 3 Minuten

Der Unternehmer Marcus Medicke im Porträt.
„Wir leben von Empfehlungen und Mundpropaganda“, sagt Unternehmer Marcus Medicke. Foto: kairospress

Marcus Medicke musste als Student die Firma des Vaters übernehmen. Seither leitet er das Unternehmen für innovative Häusergestaltung mit Bodenständigkeit und Umsicht.

Von Sven Heitkamp

Leipzig. Einen Interviewtermin bei Marcus Medicke zu bekommen, kann eine Weile dauern. Der Mann ist viel unterwegs. Drei bis vier Tage die Woche besucht er Kunden und Baustellen seiner Firma in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern oder irgendwo in Ostdeutschland. Als Inhaber und Geschäftsführer der Medicke-Gruppe, die vor allem in Ballungszentren hochwertige Fassaden für Immobilien entwickelt, plant und baut, legt er großen Wert auf den persönlichen Kontakt zu seinen Kunden – aber nicht so sehr auf Pressearbeit. „Ich stehe lieber im Grundbuch als in der Zeitung“, sagt der 50-Jährige scherzhaft. Dabei haben seine Projekte große Namen: Das Heinz-Steyer-Stadion in Dresden gehört dazu, in Leipzig die Konsum-Zentrale, der Karstadt-Umbau und der Unite-Konzernsitz, große, prominente Büroimmobilien in Berlin, die neue Sparkassen-Zentrale in Rostock, ein Forschungszentrum von SAP in München, ein Luxus-Wohnquartier in Frankfurt am Main.
Doch statt einen Medienhype um sich zu veranstalten, findet Medicke, sollten sich Unternehmer lieber zurückhalten, täglich gute Arbeit leisten und pünktlich ihre Rechnungen bezahlen. „Übertriebenes Geltungsbedürfnis in der Presse hat manchem eher geschadet“, sagt er mit Blick auf längst verblasste Helden aus den Wirtschaftsblasen der Vergangenheit.

Fachkräfte gesucht

Dabei erzählt der bodenständige Chef in dritter Generation sehr gern persönliche Anekdoten aus seiner Firmengeschichte: wie er nach dem Mauerfall einen Unternehmersohn aus Westberlin im Stau auf der Autobahn kennenlernte, dessen Vater dann zeitweise bei den Medickes einstieg. Wie er sich schon als Elfjähriger ein Schweißgerät zum Geburtstag wünschte und es auch bekam. Oder wie er als Student alte Autos aufbaute und weiterverkaufte.
Dass sich die Verschwiegenheit in der Öffentlichkeit derzeit etwas ändert, hat zwei Gründe: Der 330-Mann-Betrieb sucht neue Fachkräfte, derzeit mehr als 30 in den Regionen Leipzig, Berlin und in Glauchau, wo das Unternehmen Zu Hause ist. „Man muss sich zur Mitarbeitergewinnung öffnen, und das tun wir“, sagt Medicke. „Wir suchen Leute in allen Bereichen.“ Zudem bekam der Firmenchef Anfang des Jahres den Leipziger Karl-Heine-Preis für Industriekultur verliehen, mit dem seit 2018 Mittelständler für Innovationsgeist, unternehmerisches Handeln und gesellschaftliches Engagement geehrt werden. Dass all das bei Medicke zu finden ist, hat auch mit seiner Familiengeschichte zu tun.
1938 gründet Bernhard Medicke eine Baufirma in Glauchau. Sohn Manfred übernimmt, doch 1972 wird der Familienbetrieb mit 140 Leuten zwangsenteignet und verstaatlicht. Kurz vor der Deutschen Einheit, am 1. September 1990, begründet die Familie das Unternehmen mit Unterstützung von Investoren neu. Ein Jahr später stirbt der Vater völlig überraschend an seinem 62. Geburtstag, die Mutter versucht, die Firma weiterzuführen. 1993 bricht Marcus Medicke sein Betriebswirtschaftsstudium nach dem Vordiplom ab und steuert fortan zusammen mit der Mutter das kleine Unternehmen. „Lernen durch Schmerzen“, sagt der Chef rückblickend mit einem Lachen.

Sieben Standorte in Deutschland

Nachdem 2005 ein Teilhaber aus Bayern in die Insolvenz geht, wird er mit 33 Jahren alleiniger Geschäftsführer und Hauptgesellschafter und muss das eigene Unternehmen sanieren. Seither legt seine Firma ein beispielloses Wachstum hin: Der Umsatz steigt von gut fünf Millionen auf 95 Millionen Euro, die Zahl der Beschäftigten klettert von 28 auf rund 330. Sie arbeiten inzwischen an sieben Standorten in Borna, Leipzig, Penig, Berlin und Brandenburg – die Beteiligung an zwei Firmen unter anderem in Polen noch nicht mitgerechnet. Mittlerweile ist auch die vierte Generation in den Unternehmensverbund hineingewachsen: Tochter Maximiliane gehört seit 2018 mit sechs Prozent Anteilen zu den Gesellschaftern. Im Herbst 2020 habe sich für sie mit nur 23 Jahren in Chemnitz die Chance ergeben, ein eigenes Unternehmen zu gründen, das sie unter dem Namen „Medicke steelconcept“ führt und erfolgreich am Markt etabliert hat.
Zugleich wandelt sich seit 2005 das Unternehmen vom reinen Produktionsbetrieb für Alufenster und Türen zu einem Dienstleister, der Entwicklung, Planung, Konstruktion, Fertigung und Bau kompletter Fassaden und Gebäudehüllen samt Glas und Stahlkonstruktionen anbietet. Ein Rundum-sorglos-Paket, das sich in der Branche herumspricht. „Wir leben von Empfehlungen und Mundpropaganda“, sagt Medicke. Die Ausweitung zu diesem ziemlich einmaligen Geschäftsmodell habe er dabei nie gezielt vorangetrieben, sondern eigentlich nur Kundenwünsche erfüllt. „Ich wurde immer gefragt: Wenn Sie schon Zeichnungen für Fenster, Türen und Anschlüsse zu Fremdgewerken machen, können Sie auch noch mehr Gewerke planen und bauen?“ Heute unterstütze sein Team Auftraggeber und Architekten von der Entwurfsphase und Detailentwicklung bis zur kompletten Ausführungsplanung.
Zwar mache die Konstruktionsleistung nur etwa fünf bis sieben Prozent des Umsatzes der Firma aus. Sie bilde aber für die Bauherren eine wichtige Hilfestellung – und für die Medicke-Gruppe Planungssicherheit. „Das hat natürlich viel mit gegenseitigem Vertrauen zu tun“, sagt der Firmenchef. „Wir halten unsere garantierten Preise ein – dafür wissen wir zwei bis drei Jahre im Voraus, welche Projekte wir für unsere Kunden bauen dürfen.“ Denn wer mit Medicke plant, baue in aller Regel auch mit Medicke.
Sein Haus baue allerdings fast nur für private und institutionelle Bauherren der gewerblichen Immobilienbranche – nicht für öffentliche Auftraggeber. Deren formelle Anforderungen und Leistungsbeschreibungen seien mit seiner Firmenphilosophie selten vereinbar. „Wir wollen für unsere Kunden ein Garant für Qualität, Wirtschaftlichkeit und Ästhetik sein“, sagt Medicke. Dabei sollten ein ressourcenschonender Umgang, die Auswahl der besten Materialien und eine große Produktionstiefe an erster Stelle stehen. Das Konzept scheint aufzugehen.

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