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Mehr als nur Haare schneiden

Friseure sind auch Zuhörer und Gesprächspartner. Der Branche fehlen die Leute, merkt auch eine Radebeulerin.

Lesedauer: 2 Minuten

Die wichtigste Frage zuerst: Darf man nun noch Friseuse sagen, oder ist das eine abwertende Bezeichnung für die Frau, die meine Haare schneidet? Anja Gründel-Reiter sieht das ganz locker. Sie ist nicht beleidigt, wenn jemand Friseuse zu ihr sagt. „Aber der richtige Fachbegriff ist Friseurin“, erklärt die Radebeuler Salonbesitzerin. „Damit ist man auf der sicheren Seite.“

Die 36-Jährige hat kurz vor 8 Uhr ihr Geschäft auf der Moritzburger Straße aufgeschlossen. Seitdem kommen die Kunden am laufenden Band. Um elf sitzt eine Frau unter der Haube, der Nächsten werden die Locken eingedreht, ein Mann bekommt die Haare mit der Maschine getrimmt und noch einen Platz weiter möchte die Kundin den Ansatz nachgefärbt haben. Auf dem Sofa neben der Tür warten schon die Nächsten darauf, auf den Stuhl und unter den Umhang zu kommen. Viel zu tun für Anja Gründel-Reiter und ihre zwei Mitarbeiterinnen. Die Frauen rotieren, zwischendurch klingelt immer wieder das Telefon. „Deshalb ist es wichtig, die Termine gut zu planen. Um auch mal fünf Minuten Zeit zum Durchatmen zu haben und um etwas zu essen“, sagt die Friseurin.

Die Stimmung im Salon ist trotzdem gut. Es wird viel gelacht, die Kunden sind redselig. Die meisten kommen eben nicht nur zum Haareschneiden. Der Friseursalon ist auch ein Ort zum Quatschen. Dass Friseurinnen die am besten informiertesten Leute in der Stadt sind, stimme aber nicht, sagt Anja Gründel-Reiter. „Wir wissen nicht mehr, als in der Zeitung steht.“ Manche Kunden kommen vom Plaudern auch zu sehr persönlichen Geschichten. Von den Friseurinnen ist dann auch Einfühlvermögen gefragt. Männer tratschen übrigens auch, weiß die 36-Jährige. Aber es gibt auch Leute, die einfach nur schweigen wollen. „Das sollte man dann auch registrieren“, sagt die Radebeulerin.

Zu ihrem Beruf ist Anja Gründel-Reiter über Umwege gekommen. Eigentlich hatte sie Germanistik studiert, doch nach der Zwischenprüfung gab sie das Studium auf. Während eines Praktikums in einem Friseurgeschäft am Bodensee entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Beruf. Es folgte die Ausbildung und vor drei Jahren übernahm sie den Salon ihrer Mutter. „Manchmal braucht es ein bisschen länger, bis man merkt, was man will“, sagt sie.

An ihrem Job liebt die Radebeulerin vor allem, dass sie mit jeder gemachten Frisur quasi direkt ein fertiges Produkt in den Händen hält. „Man sieht sofort, wenn es passt“, sagt sie. Außerdem gefällt ihr die Variabilität, weil jeder Kunde anders ist. Und zum Glück: Beim Friseur sind die allermeisten ziemlich entspannt und deshalb auch freundlich, hat sie festgestellt. Körperlich anstrengend ist die Arbeit aber ohne Frage, geht auf Beine, Rücken und Arme. Ihre Mitarbeiterinnen bekommen deshalb jährlich einen Sozialbetrag ausgezahlt, den sie für Physiotherapie nutzen können. Wie so viele in der Handwerksbranche spürt die Geschäftsinhaberin den Arbeitskräftemangel. Sie sucht derzeit dringend nach einer weiteren Mitarbeiterin. „Aber man muss optimistisch bleiben“, sagt sie. Die Radebeulerin glaubt, dass sich in Zukunft auch wieder mehr junge Leute fürs Handwerk interessieren werden. Wie motiviert und begabt viele Jugendliche sind, hat sie bei ihren Praktikanten gemerkt. „Man muss versuchen, sie wieder fürs Handwerk zu begeistern.“

Das Image des Friseur-Gewerbes hat allerdings auch unter Dumping-Anbietern gelitten, die Schnitte für zehn Euro angeboten und ihre Mitarbeiter ausgebeutet haben. „Das war aber eher in den 90er-Jahren und Anfang der 2000er und ist inzwischen wieder weniger geworden“, sagt die Friseurin. „Dafür würde man gar keine Leute mehr finden.“

Noch eine Frage zum Schluss: Warum blättern ausgerechnet beim Friseur fast alle Leute in Klatschzeitungen? „Na ja, wir legitimieren das hier“, lacht Anja Gründel-Reiter. Die meisten wollen es eben doch mal lesen und im Salon liegen die Zeitungen aus. „Das gehört auch irgendwie dazu“, sagt die Friseurin.

 

Von Nina Schirmer

Foto: © Norbert Millauer

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