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Meisterfeier mit Schiri

Deniz Aytekin weiß, wie man in hitziger Situation Konflikte löst: mit Respekt.

Lesedauer: 3 Minuten

Ein Mann steht auf der Bühne, hinter ihm ist ein Bildschirm zu sehen.
Deniz Aytekin flößt nicht nur wegen seiner 1,97 Meter Körpergröße Respekt ein. Und in Sachen Bekanntheit steht er hierzulande dem Italiener Pierluigi Collina (Videoleinwand im Hintergrund) kaum nach. Foto: André Wirsig/ Handwerkskammer Dresden

Von Michael Rothe

Dresden. Deniz Aytekin war noch nie auf einer Meisterfeier. Bisher. Das hätte auch ein Geschmäckle für Deutschlands bekanntesten Fußball-Schiedsrichter, denn Referees sind unparteiisch. Jetzt hat er eine Ausnahme gemacht: bei der Meisterfeier der Dresdner Handwerkskammer. Mit seiner Sympathie für das Handwerk war er nicht nur über jeden Zweifel erhaben – er hatte als Festredner sogar noch Tipps für die 294 neuen Meisterinnen und Meister parat.
Wenn der Franke bislang von Berufs wegen mit Dresden zu tun hatte, bedeutete das für die Sachsen meist nichts Gutes. Von zwölf Spielen mit Dynamo-Beteiligung, die Deutschlands dreimaliger „Schiedsrichter des Jahres“ seit 2008 gepfiffen hat, konnten die Schwarz-Gelben nur eins gewinnen. So steht’s im Online-Portal Weltfussball.de. Immerhin war der 2:1-Sieg gegen Schalke 04 im DFB-Pokal 2014 das wichtigste all dieser Ergebnisse.
Der 46-Jährige laboriert seit dem Sommer an einer Verletzung der Achillessehne. Die Zeit bis zum geplanten Comeback nach der Winterpause nutzt er als gefragter Redner für Vorträge zu Entscheidungen unter Druck, Führung mit Wertschätzung und anderen Themen – wissenschaftlich fundiert und mit spannenden Analogien aus dem Profifußball. Fußballfans schätzen Aytekins authentisches Auftreten, die Spieler seine Fähigkeit, schwierige Entscheidungen auf empathische Weise zu vermitteln.

In kurzer Zeit wichtige Entscheidungen treffen
Dresdens Handwerkskammer hatte ihn Ende November als Festredner zu ihrem handwerkspolitischen Höhepunkt bestellt. Immerhin haben Schiedsrichter und Führungskräfte – egal, ob mit oder ohne Meisterbrief – einiges gemeinsam. Sie müssen auf ihrem jeweiligen Spielfeld unter Druck und in kürzester Zeit wichtige Entscheidungen fällen – und zwar so, dass sie von den Betroffenen auch akzeptiert und angenommen werden. Aytekins Thema: „Sachliche Kommunikation in hitzigen Zeiten“. Seine Zuhörer waren gespannt, denn viele Handwerker sorgen sich wegen Personalnot, zu viel Bürokratie, explodierender Preise um ihre Existenz und fühlen sich verunsichert. Mancher hat der Politik bereits die Gelbe oder gar die Rote Karte gezeigt.
Auch Dresdens Kammer, Interessenvertretung von 21.000 Betrieben, kritisiert die Rahmenbedingungen. „Die Politik schafft es nicht, den Betrieben das Gefühl zu vermitteln, dass sie eine klare Strategie hat, wie der Standort wieder wettbewerbsfähig werden soll. Darunter leidet das Vertrauen der Handwerkerinnen und Handwerker und ihrer Beschäftigten. Dieses Vertrauen gilt es zurückzuerobern, um Zuversicht eine Chance zu geben“, sagt Präsident Jörg Dittrich, der im gleichen Ehrenamt beim Zentralverband ZDH auch Deutschlands Oberhandwerker ist.

18.400 neue Meister
Gut, wenn dann ein Unparteiischer wie Aytekin, selbst Betriebswirt, Buchautor und Online-Unternehmer, zeigt, wie man auch mit unpopulären Entscheidungen Akzeptanz findet – mit kühlem Kopf, Wertschätzung und Respekt gegenüber allen Beteiligten. „Empathie, Fingerspitzengefühl und Ehrlichkeit sind wichtiger als sture Konsequenz“, sagt der Schiri und erntet nicht nur dafür viel Beifall von den 2.000 Gästen. Wie die gesamte Veranstaltung – nach Ansicht von Beobachtern „das Beste, was Deutschlands Handwerk auf diesem Gebiet zu bieten hat“.
Die Meisterfeier ist für jene, die Brief und Siegel bekommen, Abschluss eines monate- oder jahrelangen Karrierewegs. Ihre Eltern haben Tränen in den Augen: aus Freude und Stolz – manche auch im Wissen, dass ihr Lebenswerk fortgeführt wird. Dresdens Kammer zählt seit der Wende rund 18.400 neue Meister. 1995 waren es noch fast viermal so viele wie im jüngsten Jahrgang. Bei den Schwesterkammern in Sachsen war der personelle Aderlass ähnlich groß. Immerhin gelang es, die Absolventenzahl mittlerweile zu stabilisieren. Die Kammern in Leipzig und Chemnitz feierten in diesem Jahr 246 beziehungsweise 207 neue Meister.
Für Sachsens Handwerkstag ist das ein gutes Zeichen. Auch wenn sich nicht jeder Absolvent selbstständig mache, gewinne das Handwerk Führungskräfte und Ausbilder, heißt es von der regionalen Dachorganisation der Kammern und Verbände. Bis 2030 suchten im Freistaat etwa 5.000 Betriebe Nachfolger.
Aytekin ist ein Meister seines Fachs. 2011 noch zum schlechtesten Schiedsrichter der Bundesliga gewählt, ist er längst einer der beliebtesten seiner Zunft. Diese Entwicklung hat viel mit Selbstreflexion und wertschätzendem Führungsstil zu tun. Offen und glaubhaft teilt der Schiedsrichter seine Erfahrungen. Die Transformation zum empathischen und ethischen Leader ist nach seiner Auffassung Grundlage für Anerkennung und Wertschätzung als Führungskraft – in einer Zeit, in der alles im Wandel ist. Aytekins Auswärtsspiel in Dresden war diesmal auch für die Sachsen ein Gewinn.

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