Leipzig. Das Insolvenzgeschehen hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Im letzten Quartal 2024 gab es sachsenweit 49 Prozent mehr Firmenpleiten als im Vergleichzeitraum 2020. Damit liegt Sachsen nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) voll im deutschlandweiten Trend. Bundesweit ist ein Anstieg von 51 Prozent zu verzeichnen.
In den anderen mitteldeutschen Ländern ist die Entwicklung sehr uneinheitlich. Während das Plus in Sachsen-Anhalt lediglich sieben Prozent betrug, sprangen die Zahlen in Thüringen um 148 Prozent nach oben, was jedoch auch am extrem niedrigen Insolvenzgeschehen im ersten Quartal 2020 in Thüringen liegt, erklärt Steffen Müller vom IWH.
Werte während der Finanzkrise 2009/2010 waren höher
Im Jahresvergleich fällt der Anstieg moderater aus. Gegenüber 2023 stiegen die bundesweiten Insolvenzfälle im gesamten Vorjahr nach Angaben von Creditreform um 24,3 Prozent auf 22.400. Das sei der höchste Stand seit 2015. Vom Höchststand von über 32.000 Fällen während der Finanzkrise 2009/2010 sei man aber noch weit entfernt. Sachsenweit nahmen die Unternehmensinsolvenzen um 15 Prozent auf 851 zu.
Trotz der Zunahme will IWH-Experte Müller nicht von einer „Pleitewelle“ sprechen. „Das Wort Pleitewelle nehme ich nicht in den Mund, weil es mir zu plakativ und unwissenschaftlich ist. Ich spreche im Moment einfach von außergewöhnlich hohen Insolvenzzahlen“, sagt der Wissenschaftler. Die Zahlen spiegelten die Entwicklung von Personen- und Kapitalgesellschaften wider. Würden man die Kleinstinsolvenzen von Unternehmen einbeziehen, „sehen die aktuellen Zahlen weniger dramatisch aus“.
Die Auswirkungen seien dennoch erheblich, heißt es bei Creditreform: Durch Insolvenzen gingen im Vorjahr rund 320.000 Arbeitsplätze verloren – ein erheblicher Anstieg im Vergleich zu 2023 (205.000). Gläubigern entstanden Schäden von geschätzten 56 Milliarden Euro (2023: 31,2 Milliarden). Großinsolvenzen (Galeria Karstadt Kaufhof, FTI Touristik und Regiomed-Kliniken) schlagen hier besonders zu Buche.
„Längerfristige Aussagen sind nicht möglich, da die hohen Werte im Moment nur eingeschränkt die wirtschaftliche Lage widerspiegeln.“ – Steffen Müller, IWH-Wissenschaftler
Gründe für den Anstieg sind die wirtschaftliche Krise, in der sich Deutschland befindet, und der schwächelnde Welthandel. Vornehmlich belasten die Unternehmen hohen Energie- und Arbeitskosten. Die Wissenschaft spricht zudem von einem Nachholeffekt: In den Corona-Jahren gab es deutlich weniger Pleiten, weil die Regierung die Insolvenzanmeldepflicht teilweise ausgesetzt hatte. „Seit 2022 setzt eine deutliche Normalisierung und darüber hinaus ein überdurchschnittlicher Anstieg ein, der die Vor-Corona-Werte übertrifft“, teilt die Wirtschaftsauskunftei mit.

IWH-Experte Müller geht für die kommenden Monate von weiter steigenden Insolvenzzahlen aus. „Längerfristige Aussagen sind nicht möglich, da die hohen Werte im Moment nur eingeschränkt die wirtschaftliche Lage widerspiegeln.“ Auch er nennt als weitere Gründe für den Anstieg Nachholeffekte aus der langen Niedrigzinsphase der EZB und aus der Pandemiezeit.
Zugleich gibt der Wissenschaftler zu bedenken, dass ein Ausscheiden unproduktiver Unternehmen zur Marktwirtschaft gehört und entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist.
Politische Maßnahmen wie die Senkung der Stromkosten und Investitionsförderungen könnten der Wirtschaft auf die Beine helfen, heißt es bei Creditreform. Ein „großer Wurf“ sei aber unwahrscheinlich.