Von Michael Rothe
Der Schock sitzt tief: Sachsens Flughäfen sind ein Sanierungsfall. Vor zwei Wochen sind die rund 1.300 Beschäftigten der Mitteldeutschen Flughafen AG (MFAG), Betreiber der Airports Dresden und Leipzig/Halle, über „Transformationsmaßnahmen“ und ein Sanierungsgutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG informiert worden. Ein solches IDW-S6-Gutachten wird z. B. zur Liquiditätsbeschaffung benötigt und war von der Commerzbank, Hausbank des Konzerns, zur Bedingung für weitere Kredite gemacht worden. Das Papier beziffert das Finanzloch mit 145 Millionen Euro. Das fast 300 Seiten starke Gutachten spricht zudem von einer „Strategiekrise“.
Seit 2000 fährt die MFAG jährlich zweistellige Millionenverluste ein. 2022 erwirtschaftete das Unternehmen bei 171 Millionen Euro Umsatz ein negatives Ergebnis von 36,5 Millionen Euro. Zahlen für das abgelaufene Jahr gibt es erst im Frühjahr.
Selbst am 2008 eröffneten DHL-Frachtkreuz, das Leipzig/Halle zum deutschen Frachtvize katapultiert hatte, ist die Euphorie verflogen. Dort stagniert die Luftfracht, während sie beim Primus Frankfurt/Main und anderswo weiter zulegt. Dabei ist in den Novemberzahlen des Flughafenverbands ADV nicht mal enthalten, dass der weltgrößte Versandhändler Amazon sein erst 2020 eröffnetes Frachtzentrum mit 400 Beschäftigten wieder geschlossen hat.
Jobmaschine DHL in Leipzig teuer erkauft
Die von der Politik hofierte Jobmaschine von Posttochter DHL mit nunmehr gut 7.000 Mitarbeitenden wurde teuer erkauft: mit millionenschweren Subventionen, niedrigen Löhnen, Billigverträgen zulasten von Flughafen und Steuerzahler sowie erheblicher Lärmbelastung für die Anwohner. Die MFAG fliegt seit Jahren in Turbulenzen, welche durch Pandemie, die Kriege in der Ukraine und in Nahost sowie Energiekrise und Inflation noch verstärkt wurden. Zwar gibt das KPMG-Gutachten eine positive Sanierungsprognose, allerdings unter erheblichen Auflagen.
Als Gründe für das Desaster nennt das Papier neben Erlösausfällen und Kostensteigerungen die überdimensionierte Infrastruktur zweier naher Flughäfen sowie den 2013-2017 aufgelaufenen Investitionsstau. Die Kombination aus Umsatzeinbußen, Kostensteigerungen und Tarifanpassungen belaste Ergebnis und Liquidität, heißt es. Daher brauche der Konzern frisches Geld.

Insider wundern sich jedoch, dass die Gutachter allenfalls der vorherigen Unternehmensführung und dem alten Aufsichtsrat Versäumnisse zuschreiben. Ein Restrukturierungskonzept der Nachfolger sieht den Abbau von 124 Stellen in den nächsten drei Jahren vor: durch natürliche Fluktuation, Ruhestandsregelungen, Einstellungsstopp. Betriebsbedingte Kündigungen sollen möglichst vermieden werden.
Laut ihrem jüngsten Lagebericht beschäftigte die Holding 2022 im Jahresmittel 235 Arbeitnehmer und Azubis, 100 mehr als ein Jahr zuvor. Dadurch hatten die Personalausgaben in Jahresfrist um elf Prozent zugelegt. Für Pensionen der früheren und der derzeitigen Konzernspitze wurden 10,8 Millionen Euro zurückgestellt, für laufende Ruhestands- und Vorruhestandsbezüge von Ex-Chefs rund 7,7 Millionen Euro.
Keine Reaktion der Politik auf Rufe aus der Belegschaft
Mehrfach hatten Führungskräfte und Mitarbeitende der MFAG in – aus Angst um ihre Jobs anonymen – Schreiben an Sachsens Premier Michael Kretschmer (CDU) auf einen aufgeblähten „Wasserkopf“ und andere Missstände hingewiesen: „teure und oft unnötige Einstellungen“, „Beraterinnen und deren Entourage ohne vernünftige Auswahl“, „nutzlose Kampagnen und Beratungen“, „zu hohe Kredite zu fragwürdigen Konditionen“. Vergeblich. Wegen der Anonymität habe man nicht reagieren können, argumentiert das Finanzministerium.
Noch 2019 hatte der Konzern Stärke gezeigt und sein Aufsichtsrat ein gewaltiges Investitionspaket für Leipzig/Halle bewilligt: für neue Vorfelder, Logistik- und Bürogebäude, eine zweite Cargo City. Mit der von DHL angekündigten Erweiterung ihres Fracht-Drehkreuzes wird eine halbe Milliarde Euro in den Nordteil des Standort gesteckt.
Ab 2026 soll dort mit einer weiterentwickelten Dornier 328 sogar ein Kurzstreckenflugzeug produziert werden. Derzeit prüft die Landesdirektion den Planfeststellungsbescheid, es gibt gut 8.000 Einwendungen.
Am Flughafen Leipzig/Halle wurden 2023 rund 2,1 Millionen Fluggäste registriert, in Dresden 930.000 – ein Plus von knapp 35 bzw. elf Prozent. Damit ist das nach der Pandemie zwangläufig einsetzende Wachstum in Sachsens Landeshauptstadt nur halb so stark wie im deutschen Mittel. Schon im Jahr vor Corona zählte Dresdens Airport mit kaum 1,6 Millionen weniger Passagiere als 1995.
Nach dem Verlust der Linien nach Amsterdam und London verfügt „Dresden International“ mit Zürich über nur noch eine Städteverbindung ins Ausland. Dresdens Industrie- und Handelskammer sieht die Entwicklung mit Sorge. Präsident Andreas Sperl nennt die Anbindung von Silicon Saxony an große Drehkreuze „katastrophal“. Der Freistaat als Haupteigentümer und die Landeshauptstadt seien gefordert, sagt er.
Heikle Beraterverträge im Aufsichtsrat nie diskutiert
Tatsächlich sitzen Gesandte beider Gesellschafter im 15-köpfigen Aufsichtsrat des Staatsbetriebs, der zu 77 Prozent dem Freistaat und zu 19 Prozent Sachsen-Anhalt gehört. Mit Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) und Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) agieren zwei Regierungsvertreter im Kontrollgremium, das von Hiltrud Werner, Ex-Vorstand für Integrität und Recht der Volkswagen AG, geführt wird.
Bei ihrem Amtsantritt im November 2021 lag eine vom Aufsichtsrat eingeforderte Liste über Beraterverträge von 2019 bis 2021 vor. Das Gesamtvolumen: knapp 7,9 Millionen Euro. Nach SZ-Informationen wurde die Aufstellung im Aufsichtsrat nie diskutiert, obwohl von den 51 Posten weit über die Hälfte auf kurzem Dienstweg vergeben wurde: als „freie Vergabe“, wegen „langjähriger Zusammenarbeit“, „nach einer Marktrecherche“ oder „aufgrund einer Empfehlung“, wie es zu einem Einzelbetrag über 450.000 Euro heißt. Sachsens Finanzministerium will sich mit Verweis auf Vertraulichkeit nicht zu den Deals äußern.
In der Beraterliste taucht auch die Wolffberg Management Communication GmbH mit Sitz in Leipzig auf. Brisant: Deren Chef Peter Zimmermann war von 2007 bis 2009 Regierungssprecher in Sachsen. An seiner Seite: Mitgeschäftsführerin Sandra Schneider, fünf Jahre lang stellvertretende Regierungssprecherin. Als Sprecherin des Finanzministers hatte sie danach bis Ende 2021 auch schon sparsam auf Presseanfragen zu den Flughäfen geantwortet.
In der MFAG rumort es. Nach der 2. Verhandlungsrunde für einen Zukunftstarifvertrag stehen Streiks an den Flughäfen Leipzig/Halle und Dresden unmittelbar bevor, wie die SZ am Freitag erfuhr. Statt ein Angebot zur Forderung nach 650 Euro mehr Lohn im Monat vorzulegen, habe die MFAG den Beschäftigten eine Kürzungsrunde präsentiert, sagt Verdi-Verhandlungsführer Paul Schmidt.
Demnach will der Vorstand die Wochenarbeitszeit erhöhen, das Urlaubsgeld streichen, das Weihnachtsgeld halbieren sowie die fünf Tage Sonderurlaub für Nachtarbeit kassieren und die Nachtzuschläge senken. Dazu gebe es „ein verhöhnendes“ Lohnplus von 6,5 Prozent, verteilt über fünf Jahre. Schon in der Pandemie mussten sich die Mitarbeitenden ihren Kündigungsschutz bis Ende 2021 mit einer Nullrunde erkaufen.
Hoch bezahlte Führungsjobs auf dem kurzen Dienstweg
Andererseits besetzte der Konzern hoch bezahlte Führungsjobs neu: nicht nur mit einem zusätzlichen Finanzvorstand, sondern auf Empfehlungsbasis u. a. für Geschäftsentwicklung & Strategie sowie Kommunikation & Politikbeziehungen. Dort agieren nach zwei Jahren bereits die Nachfolger der Nachfolger. Mit Hermann Winkler (CDU), einst Chef der Staatskanzlei, wurde ein Regionalbeauftragter für Flughafenentwicklung installiert. Jener Politiker hatte 2011 die Schließung des Dresdner Flughafens angeregt, weil sich Sachsen keine zwei Airports leisten könne.
Befragt nach seinen Erfolgen, für die er laut Beraterliste 85.000 Euro kassiert hat, antwortet die MFAG: Winkler habe 2021/22 den Flughafen Leipzig/Halle „beim Auf- und Ausbau eines konstruktiven Dialogs mit der Lokalpolitik sowie den Bürgerinnen und Bürgern der Umlandgemeinden und den verschiedenen Interessenvertretungen“ unterstützt. „Dabei konnte er aufklärend und vermittelnd wirken.“ Das deckt sich mit dem Arbeitsgebiet von Sachsens Lärmschutzbeauftragten.
Götz Ahmelmann, 2018 als Vorstandschef bestellt, sollte Sachsens Flughäfen auf Kurs bringen. Der 52-jährige Manager war nach 20 Jahren bei Lufthansa, Etihad und Air Berlin nach der Pleite der Berliner auf die andere Seite gewechselt. 2022 hatte der Aufsichtsrat seinen Vertrag vorzeitig um fünf Jahre verlängert.

„Götz Ahmelmann hat die mitteldeutschen Flughäfen Leipzig/Halle und Dresden International in den letzten Jahren in vorbildlicher Weise durch multiple Krisensituationen geführt“, lobt Aufsichtsratschefin Hiltrud Werner. Das Kontrollgremium bewilligte ihm für 2022, als die MFAG einen Fehlbetrag von 36,47 Millionen Euro bilanzierte, Tantiemen von 134.782,20 Euro und Finanzvorstand Ingo Ludwig 113.370,00 Euro. Welche Ziele dafür erfüllt werden mussten, will das Finanzministerium nicht verraten.
Sachsens Landesrechnungshof hatte bei einer Untersuchung kommunaler Unternehmen darauf verwiesen, dass fehlende Kontrolle unangemessene Vergütung fördern kann. Im Jahresbericht 2023 empfehlen die Kontrolleure, dass leistungsbezogene Vergütungsbestandteile „auf konkret vereinbarten Zielen beruhen“. Diese sollten aber „über das hinausgehen, was zum allgemeinen Aufgabenspektrum einer Geschäftsleitung gehört“. „Dies gilt grundsätzlich auch für staatliche Beteiligungen“, heißt es auf Anfrage der SZ.
Vorstände können Ziele für Boni selbst festlegen
Ein Insider berichtet, dass sich MFAG- Vorstände ihre Vorgaben selbst erstellen und mit dem oder der Aufsichtsratschef/in abstimmen würden. Die Erfüllung sei dann „ein Selbstläufer“. Im Kontrollgremium würden die Boni in der Regel ohne Diskussion durchgewunken. Auch für das Corona-Jahr 2020 hatte Ahmelmann 44.000 Euro erhalten – zusätzlich zum Jahresgrundsalär von über 275.000 Euro als „fest vereinbarte Mindesttantieme“. Laut Bundesverkehrsministeriums hatte die MFAG aber eine „Billigkeitsrichtlinie“ unterzeichnet, dass es für die Vorstände über ihr Festgehalt hinaus keinerlei Sonderzahlungen gegeben habe. Das war Bedingung für millionenschwere Beihilfen als Ersatz für das Offenhalten der Airports in der Pandemie.
Die SZ wollte von Sachsens Verkehrsminister und Aufsichtsratsmitglied Dulig wissen, was für die Vertragsverlängerung mit Ahmelmann spricht. Keine Antwort.
Stattdessen verweist sein Haus auf die Zuständigkeit des Finanzministeriums. Auch dort gibt man sich verschlossen. „Finanzminister Hartmut Vorjohann und Wirtschaftsminister Martin Dulig sind einfache Aufsichtsratsmitglieder“, heißt es. Die Sprecherfunktion habe die Ratsvorsitzende inne.
Dasselbe Ministerium hatte einen Public Corporate Governance Kodex erarbeitet, den die Staatsregierung 2022 verabschiedete. Auf der Website heißt es: „Durch Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Kontrolle soll das Vertrauen der Öffentlichkeit in Beteiligungsunternehmen des Freistaats Sachsen sowie in den Freistaat Sachsen als Anteilseigner gestärkt werden.“