Sachsen wählt erst in mehr als einem Jahr einen neuen Landtag. Warum Sachsens Handwerker jetzt schon ihre Forderungen stellen – die fünf wichtigsten.
Von Georg Moeritz
Dresden. Jörg Dittrich rechnet damit, dass nach der Wahl zum Sächsischen Landtag im nächsten Jahr erneut keine Partei alleine regieren kann und ein neuer Koalitionsvertrag verhandelt wird. Der Präsident des Sächsischen Handwerkstags stellte daher am Montag in Dresden die fünf wichtigsten Forderungen vor, über die er mit sächsischen Parteien in den kommenden Monaten diskutieren will. Dittrich sagte, er sei „von der parlamentarischen Demokratie überzeugt“. Viele Menschen hätten etwas zu meckern – besser sei es, sich früh mit Wahlprogrammen zu beschäftigen.
Dittrich ist auch Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und hat vor einem Monat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Dresdner Handwerkskammer empfangen. Beim Pressegespräch am Montag nannte Dittrich keine einzelnen Parteien beim Namen. Er wolle mit allen Parteien ins Gespräch kommen, die sich nächstes Jahr um ein Regierungsmandat bewerben. Der Dresdner Dachdecker betonte aber, sich „für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen“ starkzumachen. Er wolle zu Transparenz in der politischen Willensbildung beitragen. Ein starker Staat mit angemessener Ausstattung für Polizei und Justiz kommt in den Forderungen ebenso vor wie ein „Maximum an Mobilität im ländlichen Raum“.
Einige Parteien in Sachsen haben laut Dittrich schon mit der Arbeit an ihren Wahlprogrammen begonnen, obwohl die Landtagswahl erst nach der Sommerpause 2024 zu erwarten ist. Dittrich sagte, für ihn zählten nicht Versprechungen. Parteien mit wenig Wahlchancen neigten zu Zusagen, die sie später ohnehin nicht einhalten müssten. Stattdessen wolle er mit Parteien mit Wahlchancen über Ziele sprechen, aber auch über die Wege dorthin. Wer beispielsweise mit Handwerkern über eine Energiewende mit Wärmepumpen reden wolle, müsse auch über Ausbildung und Bürokratie-Abbau diskutieren. Das Ziel stelle er nicht infrage.
Vizepräsident Tobias Neubert sprach mit Blick auf die Konjunktur von einer „betrüblichen Lage“. Signale für einen Aufschwung seien nicht zu erkennen, sagte Neubert, der Landesinnungsmeister des sächsischen Steinmetz- und Bildhauerhandwerks ist und einen Betrieb in Halsbrücke bei Freiberg führt. Der Sächsische Handwerkstag bündelte seine Forderungen an die Parteien in fünf Kernpunkten.
Forderung 1: Standortbedingungen für Sachsen verbessern
Dittrich stellte die innere Sicherheit an den Anfang seines Forderungskataloges. Er sagte, wer in Sachsen investieren wolle, müsse sich sicher fühlen – ebenso wie Touristen als Besucher. Das Gewaltmonopol des Staates müsse durchgesetzt werden, dazu gehörten eine angemessene Ausstattung für Polizei und Justiz. Ein Maximum an Mobilität im ländlichen Raum müsse ebenso ermöglicht werden wie schnelles Internet und Mobilfunk. Regionale Wirtschaftskreisläufe müssten verstärkt gefördert werden. Beim Strukturwandel in den sächsischen Kohleregionen müsse es einen Ausgleich für die wegfallende Wertschöpfung geben.
Forderung 2: Stärkere Anreize zur Selbstständigkeit
Der Sächsische Handwerkstag wünscht sich, dass kleine und Kleinstbetriebe in Politik und Gesellschaft mehr gewürdigt werden. Dittrich und Neubert vertreten die rund 56.000 Handwerksbetriebe, in denen mehr als 300.000 Menschen beschäftigt sind. Ein gutes Zeichen vom Land Sachsen könnte es laut Dittrich sein, neuen Handwerksmeistern mehr Geld zu geben: Mit 2.000 Euro Meisterbonus liege Sachsen schon beim Bundesvergleich im guten Mittelfeld, doch der Handwerkstag setzte sich für eine Aufstockung ein.
Forderung 3: Mehr Attraktivität der Ausbildung
Die Handwerker betonen seit einigen Jahren, dass sie in Konkurrenz zu Universitäten stehen: An Gymnasien müsse für Ausbildung als gleichwertige Möglichkeit geworben werden. Der Handwerkstag legt Wert darauf, Kinder schon in der Kita früh zu fördern und an allen Schulformen die Berufsorientierung „unter Einbeziehung der Wirtschaft“ zur Pflicht zu machen. Dittrich klagte über Unterrichtsausfall an Oberschulen und Lernrückstände durch Corona – das würden die Handwerksbetriebe zu spüren bekommen.
Forderung 4: Fachkräfte systematischer gewinnen
Laut Dittrich muss sich das Land bemühen, Fachkräfte aus dem In- und Ausland „systematischer zu gewinnen“ und dabei mittel- und langfristig zu planen. Im Inland müsse die große Gruppe der Ungelernten und Langzeitarbeitslosen für die Ausbildung erschlossen werden. Dazu seien „wirksame staatliche Anreize“ nötig. Sachsen sei aber auch auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Kleine Betriebe könnten das nicht organisieren, Fördergeld vom Staat werde nötig.
Forderung 5: Bürokratie eindämmen
Papierkram ist für Dittrich ein „großer Zeitfresser“, der manche Handwerker auch von der Gründung eines Unternehmens abhält. „Wir brauchen eine Trendumkehr, sie ist noch nicht sichtbar“, sagte Dittrich. Er nannte außer dem Steuerrecht auch Umwelt- und Datenschutzvorschriften. Gesetze müssen verständlicher formuliert werden. Zu jedem neuen Gesetz müsse eine realistische Abschätzung der Folgen für kleine Betriebe gehören.
Geschäftserwartungen zurückhaltend
Vizepräsident Neubert sagte, bei den Geschäftserwartungen für Sommerhalbjahr seien Sachsens Handwerker eher skeptisch. Die Teuerung führe zur Verunsicherung. Die erhöhten Zinsen bremsten Bau-Investitionen. Dadurch sei „der Konjunkturmotor für den gesamten Wirtschaftsbereich Handwerk“ in Stottern geraten. Dittrich sagte, der Wohnungsbau komme quasi zum Erliegen: „Unser Hauptsorgenkind wird der Bau.“
Laut der Frühjahrskonjunkturumfrage mit 1.400 teilnehmenden Handwerkern aus Sachsen reichen die Aufträge im Schnitt für 10,9 Wochen. Ein Jahr vorher waren es zwei Wochen mehr. Steinmetz Neubert nannte es „überraschend“, dass dennoch 48 Prozent der teilnehmenden Handwerker ihre Geschäftslage als gut bezeichneten, 39 Prozent als befriedigend und 13 Prozent als schlecht.
Zunehmend Rentner beschäftigt
Positive Signale zur Geschäftslage kommen laut Neubert zumeist von Handwerkern, die für den gewerblichen Bedarf arbeiten – etwa Feinmechaniker und Metallbauer. Das Nahrungsmittelhandwerk laufe recht gut. Der Grund: „Weil die Menschen das Geld nur einmal ausgeben können, überlegen sie, wofür sie es ausgeben.“ Neubert betonte beim Thema Arbeitsmarkt, die Betriebe bemühten sich, ihre Mitarbeiter zu halten. „Wenn die Leute einmal weg sind, bekommt man sie schwer wieder.“
Mancher Handwerker beschäftige Rentner als Teilzeitkräfte, das sehe er in seinem Umfeld. Neubert sagte, er habe selbst zwei Rentner eingestellt – darunter seinen ehemaligen Polier. Der brauche keine Steine mehr aufs Gerüst zu schleppen, könne aber weiterhin als Bauleiter und Lkw-Fahrer arbeiten. Auch Dittrich sagte, sein Dachdeckerbetrieb habe Mitarbeiter „über der Regel-Altersgrenze“. Für die sei es angenehm, im Winter acht Wochen Pause zu machen, dann wieder etwas hinzuzuverdienen. Die mitarbeitenden Rentner seien aber nur ein Beitrag von vielen, wenn es um den Mangel an Fachkräften gehe.