Michael Rothe und Paula Wallendorf
Dresden. Martin Tömel gehört zu einer Minderheit: zur Spezies jener Arbeitgeber, die Schwerbehinderte eingestellt haben. Sein „Gustavs Autohof“ im Kreischaer Ortsteil Wittgensdorf zählt 22 Angestellte, darunter eine schwer Hörgeschädigte. Damit kommt der Kfz-Meister exakt auf die gesetzliche Vorgabe, wonach alle Unternehmen ab 20 Beschäftigten fünf Prozent ihrer Jobs mit Schwerbehinderten besetzen müssen. Als solche gelten Menschen ab Behinderungsgrad 50.
Wie von Sachsens Integrationsamt zu erfahren war, erfüllten 2023 (jüngste Angaben) nur 3396 von 8720 betroffenen Unternehmen ihre Beschäftigungspflicht, das sind 38 Prozent. Gut ein Viertel beschäftigt gar keine Behinderten, der Rest schafft es nur anteilig.
Firmen müssen der Arbeitsagentur jährlich bis Ende März melden, ob sie die Quote erfüllen. Wenn nicht, ist für jeden nicht besetzten Job eine monatliche Abgabe von 155 bis 815 Euro fällig – gestaffelt nach der Beschäftigtenzahl im Jahresmittel.
5000 Euro Prämie für Einstellung oder Ausbildung
Wer Aufträge an separat gezählte Behindertenwerkstätten auslöst, kann sie sich vom Integrationsamt hälftig anrechnen lassen. „Solche Unternehmen sorgen immerhin indirekt für sinnstiftende Arbeit von Menschen mit Handicap“, sagt Amtsleiterin Heike Horn-Pittroff. Für sie gibt es keine Schwarzen Schafe, sind die Gründe der Nichterfüllung vielschichtig: „Mal fehlt Personal, mal behindertengerechte Ausstattung.“
Laut Kommunalem Sozialverband haben sich hiesige Arbeitgeber 2023 mit insgesamt 31,8 Millionen Euro freigekauft – Einnahmen, mit denen wieder und nur die Beschäftigung von Behinderten gefördert wird.
Das Land kann nur unterstützen. Gefragt sind die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt. – Petra Köpping, SPD, Sachsens Staatsministerin für Soziales, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Die kleinteilige Wirtschaftsstruktur im Freistaat sei ein wesentlicher Grund, warum die Zahlen unterm Bundesschnitt liegen, heißt es vom Sozialministerium. Die vielen kleinen Betriebe hätten weniger Ressourcen für passgenaue Angebote als große.
Ressortchefin Petra Köpping (SPD) räumt das Defizit ein. Aber „im Vergleich mit anderen ostdeutschen Ländern stehen wir noch gut da“, sagt sie. Um die Chancen für Behinderte auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, gebe es seit 2013 eine Allianz von 21 Partnern aus Wirtschaft, Kammern, Behindertenverbänden und Staatsregierung. Wer Gehandicapte ausbilde oder einstelle, erhalte bis zu 5000 Euro Prämie.
Schwerbehinderte sind besser qualifiziert
Das Land könne nur unterstützen, schränkt die Ministerin ein. „Gefragt sind die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt“, so Köpping, die auch positive Beispiele kennt – wie den Gebäudedienstleister DieLei in Reichenbach im Vogtland. Die gemeinnützige GmbH ist eins von 61 Inklusionsunternehmen in Sachsen. 22 ihrer 43 Beschäftigten sind schwerbehindert.
Nach Auskunft der Landesarbeitsagentur leben in Sachsen gut 150.000 Schwerbehinderte im erwerbsfähigen Alter. Die meisten arbeiten in der Metallerzeugung, im Bau- und Ausbaugewerbe, in Sozialwesen, Einzelhandel und im öffentlichen Dienst.

Quelle: Karl-Ludwig Oberthür
Vizechef Steffen Leonhardi sieht nicht nur eine soziale Verantwortung, sondern und entgegen Vorurteilen „ein signifikantes Fachkräftepotenzial, auf welches wir angesichts der demografischen Entwicklung dringend angewiesen sind“. Gut zwei Drittel der Ende April gemeldeten 9426 schwerbehinderten Arbeitslosen haben einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung – deutlich mehr als der Durchschnitt aller Jobsuchenden.
Kfz-Meister Tömel hat die Zeichen der Zeit erkannt – und die Belegschaft von „Gustavs Autohof“ in Kreischa auf einem Seminar gelernt, wie man mit Hörgeschädigten kommuniziert. Kristin Neubert ist mittlerweile eine feste Größe im Team. Dafür gab es das Inklusionszertifikat der Bundesagentur für Arbeit. Chef Tömel will nun noch einen geistig Beeinträchtigten einstellen – nicht nur wegen der gesetzlichen Vorgabe.
SZ