Kubschütz. Bäcker Stefan Richter streicht den Mehlstaub vom Laptop. „Wie kann ich dir helfen?“, steht dort auf dem Bildschirm. „Du bist ein Bäckermeister, der eine Präferenz für zusatzstofffreies Backen hat“, antwortet Richter. Es folgt ein Chat zwischen dem intelligenten Textgenerator ChatGPT und Handwerksbäcker Richter.
Was wie zwei Antagonisten wirkt – Künstliche Intelligenz (KI) und Handwerk –, kooperiert in Kubschütz bei Bautzen miteinander. Denn Dorfbäcker Richter holt sich Inspirationen für neue Rezepte von ChatGPT. Ein Kürbis-Dinkel-Sauerteig-Brot hat er damit bereits gebacken. Eine Woche später schiebt er wieder eine neue Rezeptur in den Holzbackofen: Kümmel-Sauerteig-Brot. Dafür hat ihm ChatGPT vorgeschlagen, 170 Gramm Kümmel zu rösten. „So viel hätte ich da nicht reingetan“, meint Richter, der aber für das neue Rezept offen war.
ChatGPT im Backwerk: Zeitersparnis und Inspirationsquelle
Eine halbe Stunde Arbeit hat er durch die Rezeptentwicklung mit ChatGPT gespart. Denn die KI kreiert Rezept und kalkuliert Wasser-, Salz-, Roggenanteile. Eine zeitintensive Rechnung. „Ich finde die fachlichen Hinweise sehr korrekt und zeitgemäß. Man merkt die starken Einflüsse aus Asien und den USA.“ Laut Richter nutzt ChatGPT eben nicht nur deutsches Lehrbuchwissen, sondern die im Internet weltweit ausgetauschten Erfahrungen von allen Backliebhabern, ob Influencer, Hobbybäckerin oder Brot-Sommelier.
Bäcker Richter beobachtet genau, wie sich das Backgewerbe verändert. Er bildet als sächsischer Landesobermeister Azubis aus. Während sich vor Jahrhunderten die Lehrlinge das geheime Wissen vom Meister erarbeiten mussten, können sie es jetzt mit ChatGPT leicht abrufen. „Was ist unsere Rolle als Bäckermeister?“, fragt er, der weiß, dass heutzutage nicht jeder erfolgreiche Bäcker den Weg über die Ausbildung geht. „Die Ausbildung kommt an ihre Grenzen.“ Er gibt zu, dass manche Erklärung ChatGPT besser könne als so mancher Bäckermeister.
Innovationscluster „Robotics Saxony“: Künstliche Intelligenz im Handwerk
Das Backhandwerk könnte sich also mit KI zusammentun. Deshalb hat das Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) Bäcker Richter zur Eröffnung des neuen Innovationsclusters „Robotics Saxony“ eingeladen. Der Freistaat Sachsen fördert das Netzwerk bis Ende 2028 mit rund 2,8 Millionen Euro. 66 Unternehmen, Ausbildungsstätten und Forschungseinrichtungen erarbeiten gemeinsam neue Robotik- und KI-Technologien. Langfristig, so der Wunsch des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums, solle somit die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen steigen.
Der Blick des Clusters richtet sich dabei nicht auf automatisierte Taktstraßen im Automobilbau, sondern vielmehr auf Mensch-Roboter-Kollaborationen, insbesondere für kleine Stückzahlen. So erklärt es Wissenschaftler Marko Pfeifer vom IWU. In dem Cluster wolle man sich Branchen anschauen, die kaum Berührungspunkte mit Robotik hatten, etwa personalintensive Bäckereien. Das Projekt erforscht, welche Handgriffe sich ähneln und automatisiert werden können. „Wir suchen für die Analyse noch Bäcker mit open mind.“
Jeder vierte Azubi hat im Backgewerbe einen Migrationshintergrund. – Thomas Lißner, Gewerkschafter
Laut dem aktuell veröffentlichten Bäcker-Monitor beklagt die Hälfte der Beschäftigten Überstunden. 80 Prozent erleben oft Zeitdruck. Ein Grund dafür: Personalnot. Die Bäckereien setzen deshalb in Sachsen auf internationale Fachkräfte.
„Jeder vierte Azubi hat im Backgewerbe einen Migrationshintergrund“, sagt Thomas Lißner, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Dresden-Chemnitz. Er sieht gerade in Techniklösungen die Chance, Arbeit in Bäckereien zu erleichtern.
KI-Bäcker aus dem Erzgebirge, Brotfluencer aus Leipzig
Auch die Geschäftsführerin des Landesinnungsverbandes Saxonia, Manuela Lohse, beobachtet, dass sich KI zunehmend im Bäckerhandwerk etabliert. Bäcker Tobias Nönnig aus Ehrenfriedersdorf etwa hat eine KI für seine Backplanung entwickelt. Früher fußten seine Bestellzettel mit den Mengen an Eierschecke und Brötchen auf Bauchgefühl. Jetzt macht das eine KI: Sie wertet Nönnigs frühere Bestellungen aus, gestaffelt nach Wochentagen, analysiert Wetterberichte und Ferientage. Als weiteren Vertreter der „Bäcker Generation KI“ nennt Lohse den Leipziger Back-Fluencer Ricardo Fischer. Er ist über TikTok als Brotprofi bekannt. KI nutzt er für Social Media und im Bäckereibetrieb.
Backen macht glücklich? Bäcker lässt Hirnströme messen
Zurück zu Bäcker Richter. Er hackt das Holz für den Ofen, in den die KI-Brote später geschoben werden. Pure Handarbeit, die ihn glücklich macht. Tatsächlich ist nachgewiesen, dass es bestimmte Bäckertätigkeiten gibt, die sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Richter arbeitet deshalb mit dem Designer Maciej Chmara und der „University of Oxford“ zusammen. Sie messen die Hirnströme des Bäckermeisters, während er Sauerteig knetet, formt, verkostet. Denn es gebe Handgriffe, die beruhigend wirken und die man in der Therapie nutzen möchte.
Der Bäcker gibt zu, dass ihn nicht alle Handgriffe mit Glück erfüllen. „Den Kuchen mit Pflaumen belegen.“ Die Asymmetrie frustriere ihn. Als Handwerker sei er dankbar über helfende Hände, auch durch Roboter oder ChatGPT. Das Werkzeug gänzlich aus der Hand geben, will der Bäcker nicht. So fand er in dem Rezept von ChatGPT vor dem Backen noch einen Rechenfehler. „Man sollte sich nicht abhängig machen.“