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Sieben Vorschläge für den ostdeutschen Arbeitsmarkt

Im Osten mehr Chancen für Frauen, Langzeitarbeitslosigkeit wie im Westen – die neuen Länder haben aufgeholt. Eine Bertelsmann-Studie zeigt, was noch fehlt und was zu tun ist.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Kräne.
Im Osten mehr Chancen für Frauen, Langzeitarbeitslosigkeit wie im Westen – die neuen Länder haben aufgeholt. Eine Bertelsmann-Studie zeigt, was noch fehlt und was zu tun ist.

Von Georg Moeritz

Dresden. Die Wirtschaft in den neuen Ländern ist stabil und wettbewerbsfähig, der Fachkräftemangel ist in Ost und West ähnlich. Doch Menschen in Ostdeutschland halten laut einer Bertelsmann-Studie das Risiko, arbeitslos zu werden, für größer, als es objektive Arbeitsmarktdaten zeigen. Die Massenarbeitslosigkeit nach der Wende und der Exodus vieler junger Leute führen noch heute zur „Wahrnehmung, weiter benachteiligt zu sein“, schreibt der Arbeitsmarktexperte der Stiftung, Eric Thode.

Laut Studie gibt es kaum noch Unterschiede zwischen Ost und West, wenn es um den Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung oder die Langzeitarbeitslosigkeit geht. Die Arbeitslosigkeit ist nicht im Osten am höchsten, sondern im Ruhrgebiet. Doch der Osten hat seit der Wiedervereinigung mehr als 731.000 Menschen unter 25 Jahren verloren. In den Jahren 2017 bis 2022 zogen zwar mehr Menschen in den Osten als von dort weg, aber im vorigen Jahr verlor der Osten per Saldo wieder 3.000 Menschen.

Baustellen: niedrige Produktivität und geringes Lohnniveau

Die großen Baustellen im Osten bleiben laut Studie die zu niedrige Produktivität und das geringere Lohnniveau. Das verarbeitende Gewerbe im Osten komme nur auf 76 Prozent der Produktivität des Westniveaus – weil es im Westen mehr Großbetriebe und Konzernzentralen gibt, nach Vermutung der Studienautoren auch mehr Marktmacht und damit die Möglichkeit, höhere Preise durchzusetzen.

Deutliche Vorteile bieten die neuen Länder dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen. Wegen der besseren Kinderbetreuung arbeiten 67 Prozent der Frauen im Osten in Vollzeit, im Westen dagegen nur 52 Prozent. Lohn-Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind im Osten geringer – allerdings sind die Löhne für alle weiter niedriger als im Westen.

Osten profitiert vom Mindestlohn

Das mittlere Entgelt beträgt im Osten laut Studie 3.157 Euro, im Westen 3.752 Euro. Die Anhebung des Mindestlohns führte zu einer Annäherung der unteren Einkommen, vor allem im Osten gibt es seitdem auch viel weniger Aufstocker. Wo Tariflöhne gezahlt werden, sind sie in Ost und West in der Regel gleich, aber Weihnachts- und Urlaubsgeld sind im Westen weiter verbreitet. Die Arbeitszeit im Osten ist länger.

Laut Studie gelingt es Ostdeutschen seltener, in die mittlere Einkommensklasse aufzusteigen. Das Risiko, wieder abzusteigen, sei im Osten höher. Die Armutsgefahr sei aber in Ost und West fast gleich.

Die Autoren machen konkrete Vorschläge, wie der Osten sich weiter an die alten Länder annähern kann:

1. Vorsprung der Frauen im Osten erhalten

In den neuen Ländern können Mütter ihre Arbeitszeitwünsche besser in die Tat umsetzen, heißt es in der Bertelsmann-Studie. Der Arbeitsmarktexperte Eric Thode sagt, die bessere Kinderbetreuung bringe „Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Osten in eine bessere Position“. Im Osten gibt es für mehr als 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Betreuung, im Westen nur gut 30 Prozent. Die Folge: Im Osten arbeiten 67 Prozent der Frauen in Vollzeit, im Westen nur 52 Prozent.

Außerdem sind die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern im Osten wesentlich geringer – freilich bei insgesamt geringeren Löhnen als im Westen. Im Osten arbeiten mehr Frauen in Informationstechnologie (IT) und naturwissenschaftlichen Berufen. Dass es so bleibt, ist auch Aufgabe der Schulen, Hochschulen – und der Arbeitgeber.

2. Vernetzung kleinerer Betriebe fördern

Ostdeutsche Industriebetriebe sind laut Statistik noch immer weniger produktiv als westdeutsche: Die Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde im verarbeitenden Gewerbe lag 2022 im Osten bei 76 Prozent des Westniveaus. Fünf Jahre vorher waren es noch 65 Prozent, der Osten hat also Tempo gemacht. Aber im Osten gibt es weniger Großbetriebe und Konzernsitze. Die Bertelsmann-Autoren vermuten, dass ostdeutsche Betriebe auch „weniger Marktmacht“ haben und teils niedrigere Preise erzielen als westdeutsche.

Um weiter aufzuholen, empfehlen die Experten mehr Digitalisierung und mehr Zusammenarbeit nach dem Vorbild von Verbänden wie Silicon Saxony und Biosaxony. Vielversprechend seien solche „Cluster“ auch im Maschinenbau und in den erneuerbaren Energien.

3. Regionen für große Unternehmen attraktiver machen

Großbetriebe bieten oft besser bezahlte Arbeitsplätze, richten sich häufiger nach Tarifverträgen. Dass sich Weltkonzerne wie TSMC, Intel und Tesla für die neuen Länder entschieden haben, stärkt auch die Forschungseinrichtungen, regionale Lieferanten und Dienstleister. Die Studien-Autoren halten Subventionen für die Ansiedlung für gerechtfertigt, wenn gut bezahlte Arbeit daraus folgt. Der Staat muss für gute Verkehrsverbindungen sorgen und die Betriebe auch gut an Bus und Bahn anbinden.

4. Mehr Bundeseinrichtungen im Osten ansiedeln

Der Bund hat zwar die Regierung von Bonn nach Berlin verlagert – und damit zwischen die neuen Länder. Aber er kann auch weiter gezielte Beiträge zur Entwicklung in „strukturschwachen Regionen“ leisten, heißt es in der Studie. Die Autoren weisen auf das geplante Logistikbataillon in der Oberlausitz mit rund 800 Dienstposten hin und erinnern an Einrichtungen, die schon Teile gezielt im Osten angesiedelt haben: Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind).

5. Arbeitskräfte qualifizieren und weiterbilden

Als zentralen Faktor für bessere Beschäftigungsstrukturen nennen die Autoren die Weiterbildung, auch Teilqualifikationen. Vor allem Männer im mittleren Alter müssen geschult werden, um nicht den Anschluss zu verpassen. Besonders in den „Zukunftsbranchen IT, Technik und Pflege“ bestehe Qualifizierungsbedarf.

6. Ausländische Fachkräfte finden und halten

Es sind vor allem Ausländer und 18- bis 25-Jährige, die vom Osten in den Westen umziehen, heißt es in der Studie. Der Osten werde ein „immenses Defizit“ an Arbeitskräften bekommen, das nur durch Zuzug verkleinert werden könne. Mehr Offenheit für Einwanderer sei nötig und ein Klima, in dem sie sich wohlfühlen. Sprachbarrieren und Bürokratie müssen abgebaut werden.

7. Die nächste Transformation selbstbewusst angehen

In Ostdeutschland wird das Risiko, arbeitslos zu werden, laut Thode subjektiv größer eingeschätzt, als es objektive Arbeitsmarktdaten ausweisen. Das liege daran, dass sich die Massenarbeitslosigkeit und der Exodus nach der Wende ins „kollektive Bewusstsein eingebrannt“ hätten. Doch der Osten könne von seinem Erfahrungsschatz profitieren und Vorreiter werden. Die ganze Studie ist auf der Internetseite der Bertelsmann-Stiftung zu finden.

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