Normalerweise ist es im Bautzener Edding-Werk nachts um einiges leiser als momentan. Rund um die Uhr laufen die Maschinen jetzt, sonst standen diese in der Nacht still. Nur einen Tag in der Woche erlauben sich die Mitarbeiter noch eine Produktionspause, für mehr ist keine Zeit. Der Grund für den außergewöhnlichen Einsatz ist die Sorge vor einem harten Brexit. "Wir wollen fast eine Jahresmenge Stifte in das Vereinigte Königreich bringen", sagt der Bautzener Edding-Chef Jörg Thomas Schimkus.
Denn wenn Großbritannien ohne Deal aus der EU aussteigt, hätte das weitreichende Folgen. Quasi über Nacht unterläge die wirtschaftliche Zusammenarbeit den Regeln der Welthandelsorganisation. Es gäbe keinen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr mehr, stattdessen Zölle und Einfuhrkontrollen .
"Vor allem die erste Phase nach einem harten Brexit wird schwierig", vermutet deshalb Jörg Thomas Schimkus. Um diese Zeit zu überbrücken, produziert Edding nun vor. In Zahlen bedeutet das: Derzeit werden täglich bis zu etwa einer Million Stifte hergestellt. 60 Lastwagen werden Ende März das Zentrallager in Isernhagen verlassen, die Ladung sollte den Kunden in Großbritannien für ein Dreivierteljahr reichen.
"Hier in Bautzen kann man sich im Lager momentan kaum bewegen, bevor der Lkw kommt und die Ware abtransportiert", sagt Schimkus. Er malt sich aus, wie es demnächst auf den Wegen in Richtung Inselstaat aussieht: "Es wird lange Warteschlangen geben", sagt er.
Die Entscheidung fiel Ende November. "Erst" muss es heißen, denn schon länger waren Schimkus und seine Kollegen verunsichert. Zu dem Zeitpunkt war es bereits zu knapp, um neue Mitarbeiter einzulernen. Die etwa 80 Bautzener Angestellten arbeiten nun in einer Notbesetzung, e s gab interne Versetzungen, um alles stemmen zu können. "Die Maschinen müssen laufen, das ist derzeit die oberste Priorität", sagt Schimkus.
In Großbritannien selber hat Edding Lagerhallen angemietet. Das verursacht Kosten – ebenso wie die Vorproduktion, für die das Unternehmen in Vorleistung gehen musste. Es ist ein Ärgernis für das Unternehmen, ebenso wie die Sorge, dass einige der Zulieferer so spontan und zeitnah vielleicht gar nicht in den benötigten Mengen liefern können. Dennoch: "Die Zusatzkosten sind im Vergleich zu möglichen Umsatzausfällen das kleinere Übel", sagt Schimkus. Denn eine Lieferpause hätte auch Spätfolgen, weiß der Edding-Chef: "Die Kunden würden sich dann umorientieren."
Auch andere Unternehmen aus dem Landkreis sorgen sich angesichts der Lage in Großbritannien vor einem harten Brexit. Die Ausmaße sind kleiner als bei Edding, aber auch bei Jägermeister in Kamenz wird gerade vorproduziert. "Normalerweise lagern in Großbritannien etwa Waren für vier Wochen, nun halten wir genug für zwölf vor", sagt Michael Eichel, Sprecher des Unternehmens. Auch Jägermeister hat dafür zusätzliche Lagerflächen angemietet. Nach den zwölf Wochen, so hofft das Unternehmen, das schon oft mit unsicheren Lieferungen in ferne Länder zu tun hatte, hat sich die Lage entspannt.
Vor allem Unternehmen, die Konsumgüter herstellen, sind betroffen. Aber auch der Wilthener Kunststoffverarbeiter Lakowa spürt die angespannte Lage . In einige Auftragsbestätigungen schreibt die Firma einen Terminvorbehalt Ende März. "Das machen wir schon seit einem halben Jahr so", sagt der Geschäftsführer Ralf Liebscher. Nur einen Kunden hat die Firma in Großbritannien, aber Liebscher sorgt sich auch vor indirekten Auswirkungen. Wenn zum Beispiel die Zulieferer Schwierigkeiten haben, dann verzögern sich auch für Lakowa die A uslieferungen. "Wir rechnen deshalb mit Umsatzverzögerungen."
Trotz der unsicheren Lage geben sich die Unternehmen aus dem Kreis Bautzen noch recht locker. "Schlimmer wäre es, wenn sich die Beziehung zu Polen verschlechtert", sagt Liebscher. Die Laune lässt sich auch Jörg Thomas Schimkus von Edding nicht vermiesen. "Am Ende gibt es eine große Party", sagt er und lacht, "eine Brexit-Party".
Von Theresa Hellwig
Foto: Steffen Unger