Geprägt durch den Bergbau gehörte Südwestsachsen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu den wirtschaftsstärksten und am dichtesten besiedelten Regionen in Mitteleuropa. Heute punktet sie mit Innovationen, Hightech und einer starken Handwerkstradition.
Von Annett Kschieschan
Wer bei der Bezeichnung „Südwestsachsen“ erst einmal seine Geografiekenntnisse hervorkramen muss, weiß sofort Bescheid, wenn der Begriff „Erzgebirge“ fällt. Bekannt geworden ist die Region vor allem durch ihre lange Bergbaugeschichte, traditionelles Handwerk und eine ganz besondere Landschaft. Dafür steht das Erzgebirge bis heute – und noch für einiges mehr. Denn die Region ist vielfältig und profitiert von den Synergieeffekten der Nachbarn aus dem Vogtland, dem Zwickauer und dem Chemnitzer Land. Nirgendwo in Sachsen gibt es so viele kleine und mittelständische Firmen. Sie behaupten sich nicht nur am Markt, sondern setzen immer öfter selbst Maßstäbe. Nicht umsonst etwa wurde der Automobilzulieferer Testa Motari aus Johanngeorgenstadt im Erzgebirge 2020 zu „Sachsens bestem Arbeitgeber“ gekürt. Fachliche Expertise und moderne Arbeitskultur nach dem Prinzip „New Work“ treffen hier zusammen. Die aktuellen Krisenlagen stellen Unternehmen vor Herausforderungen. Das ist auch in Südwestsachsen nicht anders. Den Kopf in den Sand stecken will man hier nicht. Im Erzgebirge etwa hilft schon seit Jahren ein eigenes Fachkräfteportal dabei, die Zukunft der hiesigen Wirtschaft zu sichern. Zum Beispiel, indem man Rückkehrern zeigt, dass es sich in der Region gut leben lässt – mit sicheren Jobs und vergleichsweise günstigen Mieten und Baulandpreisen, mit einem guten Betreuungsnetz für Kinder und vielen Freizeitangeboten für fast jeden Geschmack.
Auch hier gilt wieder: Gemeinsam ist man stärker. So machen sich gleich mehrere Initiativen für das Erzgebirge stark. Neben der informativen Wirtschaftsplattform „hERZwerk“ gehört dazu auch SmartERZ. Dahinter steht ein Netzwerk von über 180 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, das nach eigenen Angaben „den Kooperationsgedanken unterstützt und gezielt gemeinschaftliche Projekte fördert“. Ein Fokus liegt dabei auf der Funktionalisierung von innovativen Werkstoffverbunden, sogenannten Composites, sowie einmal mehr der Fachkräftesicherung für die Region.
Die Autostadt im Fokus
Wie sehen die Menschen heute die technische Zukunft? Eine Frage, die zu dem Ort passt, an dem sie anlässlich der jüngsten Sächsischen Landesausstellung gestellt wurde. Im August-Horch-Museum in Zwickau ging es 2020 nicht nur darum, Besuchern die Meilensteine in der Geschichte des sächsischen Automobilbaus zu zeigen, sondern sie auch mitzunehmen auf eine Reise zu den Visionen einer hochmodernen Arbeitswelt und einer zukunftsfähigen Mobilität. Ein Thema, das aktueller nicht sein könnte und das untrennbar mit dem Wirtschaftsstandort Südwestsachsen verbunden ist. Als „die Automobilstadt Ostdeutschlands“ wirbt Zwickau bis heute für sein Alleinstellungsmerkmal – die besondere Expertise im Autobau. VW ist der größte Arbeitgeber in Stadt und Region.
Zwickau selbst wirbt damit, mit rund 52.800 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei rund 91.000 Einwohnern und einer Exportquote von über 48 Prozent ein attraktiver Unternehmensstandort in einem prosperierenden Umfeld und mit einer starken Netzwerkstruktur zu sein. Das liegt nicht nur am Leuchtturm Volkswagen, sondern an einer zunehmend breit aufgestellten Unternehmenslandschaft. Die Bandbreite des „Made in Zwickau“ reicht von Arzneimitteln, Lackgrundstoffen und Energiespeichersystemen bis hin zur Isolations- und Kältetechnik, zum Anlagen-, Brücken- und Motorenbau, zur Logistik und zu einem vielfältigen Dienstleistungs- und Handwerkssektor. Mit ihrem „Wirtschaftsbrief Z-News“ informiert die Zwickauer Wirtschaftsförderung regelmäßig über Neuigkeiten zu Standort, Umland und Unternehmen.
Mit der Initiative „Gründerzeit Zwickau“ will man die Start-up-Kultur in der Region fördern und gemeinsam mit Partnern neuen Ideen zum wirtschaftlichen Start verhelfen.
Dazu gehört auch eine enge Zusammenarbeit mit der Westsächsischen Hochschule (WHZ), die ihren Sitz ebenfalls in Zwickau hat. Die Fachhochschule bietet mehr als 50 Studiengänge an und wirbt mit besonders hohem Praxisbezug, etwa durch Praktika, Laborarbeit und die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Als „Hochschule für Mobilität“ liegt der Schwerpunkt auf ingenieur-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Angeboten, die in Zwickau selbst, aber auch in Schneeberg und Markneukirchen angesiedelt sind. Die WHZ ist die einzige Hochschule im Freistaat, die im Studiengang Gebärdensprachdolmetschen als Diplomstudiengang lehrt, und deutschlandweit die einzige Hochschule, an der man Holzdesign und Musikinstrumentenbau studieren kann. Mehr als 4.200 Studentinnen und Studenten sorgen gleichsam für neue Impulse in der Region Südwestsachsen und tragen ihrerseits die hiesigen Möglichkeiten in die Welt.
Modern und innovativ
Chemnitz muss sich nicht verstecken. Das weiß jeder, der die Stadt im Südwesten des Freistaates schon einmal besucht hat. Und das dürften in den kommenden Jahren deutlich mehr Menschen tun als bisher. Chemnitz hat die Jury im Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas überzeugt. Gemeinsam mit dem slowenischen Nova Gorica erhielt die Stadt den begehrten Titel für 2025. Die Kampagne, mit der die Chemnitzer in den Wettbewerb gestartet waren, hatte eben jenes oft eher unbekannte Potenzial der Stadt in den Fokus gerückt. Vor allem wirtschaftlich hat sie eine Menge zu bieten. An die reiche Industriekultur erinnern nicht nur Museen und Denkmale, sondern auch der Landesverband Industriekultur, der in Chemnitz seinen Sitz hat und der sich für die Verbindung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft stark- macht. Für die Zukunft der gesamten Region steht die Technische Universität, die in ein enges Netzwerk mit vielen weiteren Forschungseinrichtungen eingebunden ist. Vor allem im Maschinen- und Fahrzeugbau, in der Mikroelektronik sowie der Textil- und Werkstoffindustrie gibt es hier gebündelte Expertise.
Chemnitz gehört außerdem zu den wichtigsten deutschen Standorten, wenn es um die Erforschung wasserstoffbasierter Technologien geht. Das HIC, das Hydrogen Innovation Center, hat seinen Sitz nicht von ungefähr in der Stadt. Bis 2025 soll es als industrielle Forschungs-, Test- und Zertifizierungseinrichtung ausgebaut werden. Das HIC ist einer von bundesweit vier Standorten des Innovations- und Technologiezentrums für Wasserstoff und soll „eine Brücke zwischen der wissenschaftlichen Forschung, dem Transfer hin zu disruptiven Wasserstoff-Technologien und einer breiten industriellen Wertschöpfung durch die Zulieferindustrie schlagen“. Die Bedingungen für zukunftsträchtige Technologien sind gut. Rund 18.500 Industrie- und Handwerksbetriebe gibt es in Chemnitz. Dazu kommen Synergieeffekte mit dem Umland. Dabei setzt man auf die Verbindung von Bodenständigkeit und Weltoffenheit und führt damit eine lange Tradition fort. Chemnitz galt im 19. Jahrhundert als „sächsisches Manchester“, die Region Südwestsachsen als eine der dicht besiedeltsten in ganz Mitteleuropa. Heute verbindet sich damit der Anspruch eines modernen Lebens- und Arbeitsortes für alle Generationen und für Menschen aus aller Welt. Die insgesamt rund 10.000 Studierenden der TU Chemnitz und der verschiedenen Institute kommen aus etwa 100 Ländern. Chemnitz liegt damit bezogen auf den Anteil der ausländischen Studierenden bundesweit auf einem Spitzenplatz und muss sich hinter den Metropolen Berlin, Hamburg oder Frankfurt/Main keinesfalls verstecken.
Das gilt auch für die Region als Gründerschmiede und Ort für frische Ideen. Dafür macht sich unter anderem die Initiative Kreatives Sachsen mit vielen Partnern stark. Das Projekt „Maker, Business & Arts MBA25“ gehört zu den vier sogenannten Flagship-Vorhaben, die mit Blick auf die Kulturhauptstadt-Kampagne umgesetzt werden. Das Team vernetzt dabei Akteure aus Wirtschaft, Kunst und Kultur und bietet Raum für Austausch und Ideen. Für die Zukunftsfähigkeit Südwestsachsens engagiert sich auch der Verein Südwestsachsen Digital. Er unterstützt Unternehmen bei der Digitalisierung, hilft Netzwerke zu knüpfen und macht sich auch für Start-ups, die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland und die Nachwuchsförderung in der Region stark.