Dresden. Wer etwa in der Sächsischen Schweiz über die Dörfer fährt, sieht vereinzelt immer wieder Protestplakate gegen neue Windkraftanlagen. Sachsen war auch wegen des starken Bürgerprotests lange Zeit Schlusslicht beim Ausbau erneuerbarer Energien. Doch das ändert sich, der Freistaat holt auf. Der Jahreswechsel und der Start der neuen Landesregierung sind ein guter Anlass, um Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu geben, wie die Energiewende in Sachsen vorankommt.
Photovoltaik und Windkraft stärker ausgebaut
Die Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien, kurz VEE Sachsen e.V., verweist auf die Daten desProjekts „Klimadashboard Sachsen“. Danach wurden seit 2019 bei der Photovoltaik insgesamt 2.386,5 Megawatt (MW) Leistung neu installiert, die einen zusätzlichen Ertrag von etwa 2.625,15 Gigawattstunden (GWh) Strom pro Jahr ergeben.
Bei der Windkraft wurden insgesamt 154,5 MW Leistung neu installiert in den letzten fünf Jahren, das entspricht einem zusätzlichen Ertrag von etwa 324,45 GWh an Strom. Aktuell sind in Sachsen insgesamt 1.375,025 MW Windenergie installiert und 3.969,272 MW an Photovoltaik.
Ziele im Energie- und Klimaprogramm teilweise erreicht
Doch es reichte nicht, um die Ziele des sächsischen Energie- und Klimaprogramms (EKP) zu erfüllen. Dort sind Zwischenausbauziele definiert. Diese sehen eine Steigerung der Stromerzeugung zwischen 2019 und 2024 von rund 2.000 GWh vor – und zwar jeweils für Solar- und Windenergie. Die Zwischenausbauziele bei der Solarenergie wurden deutlich erfüllt, bei der Windenergie nur zu 17 Prozent. Der VEE weist allerdings darauf hin, dass die Anzahl der Windkraftanlagen, die im Genehmigungsprozess sind, deutlich zugenommen hat. „Es rollt also wahrscheinlich eine Ausbauwelle insbesondere bei der Windenergie auf uns zu“, betont VEE-Geschäftsstellenleiter Andreas Poldrack.
Im sächsischen Wirtschaftsministerium, das wieder für die Energiepolitik zuständig ist, wird dies bestätigt. Bis Ende 2024 seien im Freistaat 44 Windenergieanlagen genehmigt worden, so viele „wie in den Jahren 2022 und 2023 zusammen“, heißt es. Und es kommen weitere hinzu. In der Ausschreibungsrunde im November für EEG-Förderzusagen erhielt Sachsen Zuschläge für 14 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 87,4 MW. Wenn alle 2024 genehmigten Windräder am Netz sein werden, können damit rund 300.000 durchschnittliche Privathaushalte in Sachsen mit Strom versorgt werden, rechnen die Beamten im Wirtschaftsministerium vor.
Ein Überblick über die laufenden Genehmigungsverfahren ist hier zu finden:https://www.energie.sachsen.de/ausbau-windenergie-5148.html
Rekordsummen für den Ausbau der Stromnetze
Damit aus den Steckdosen in Sachsen zunehmend grüner Strom kommt, müssen die Anlagen nicht nur aufgestellt, sondern auch an die Stromnetze angeschlossen werden. Allein die Sachsenenergie AG hat im Jahr 2024 rund 21.000 Solaranlagen, Balkonkraftwerke, Windräder und Speicher an ihre Sachsennetze angeschlossen. Die Solaranlagen machen den größten Teil aus. Derzeit befinden sich nach eigenen Angaben noch 450 Anmeldungen für Solaranlagen von Privat- und Gewerbekunden in der Bearbeitung. „Nach vollständigem Eingang der Unterlagen bis zum Versand der netztechnischen Stellungnahmen vergehen durchschnittlich drei Wochen“, betont die Unternehmenssprecherin.
Der größte kommunale Energieversorger Ostdeutschlands hat 2024 rund 210 Millionen Euro in die Stromnetze in Dresden und Ostsachsen investiert, mehr als in den Vorjahren. Im kommenden Jahr sollen sogar 280,6 Millionen Euro in den Ausbau des Stromnetzes fließen.
Mitnetz-Strom, der Verteilnetzbetreiber der Envia-M-Gruppe, hat zum Stichtag 3. Dezember 2024 rund 30.000 Solaranlagen mit einer Bruttoleistung bis 30 Kilowatt registriert, die dieses Jahr in Betrieb gingen. Das Netzgebiet von Mitnetz Strom erstreckt sich über Süd- und Westsachsen sowie Teile von Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg. Derzeit liegen nach eigenen Angaben noch rund 2.500 Aufträge in der Bearbeitung, die in der Regel vier Wochen dauert.
Den Kunden gehen die Einspeisevergütungen nicht verloren. – Sprecher von Mitnetz Strom
Deutlich länger sind die Wartezeiten für Kunden, die Strom in die Netze einspeisen wollen. Sie können sich bis zu einem halben Jahr und länger hinziehen. Als Gründe dafür nennt der Sprecher von Mitnetz Strom die Umstellung auf ein neues digitales Abrechnungssystem und unvollständige Unterlagen bei einem „erheblichen Anteil der Kunden“. Er versichert: „Den Kunden gehen die Einspeisevergütungen auch bei Verzögerungen nicht verloren, sondern werden rückwirkend ausgezahlt“. Der größte Verteilnetzbetreiber Ostdeutschlands hat allein im Jahr 2024 rund 426 Millionen Euro in den Ausbau, Verstärkung und Smartifizierung seiner Verteilnetze investiert.
Neue Gesetze bringen Schwung in Energiewende
Während Sachsen über viele Jahre beim Ausbaustand oft den oder einen der letzten Plätze belegte, lobt die Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien nun eine „erhebliche Dynamik“. Sie wurde ausgelöst durch eine Vielzahl von Regelungen auf Landesebene wie etwa die Flexibilisierungsklausel, die die Errichtung von Windrädern im Wald erlaubt, Beteiligungsregelungen und die Handlungsleitfäden zum Artenschutz. Aber auch das von der Bundesregierung vorgegebene 2-Prozent-Flächenziel sorgt für Bewegung. Seit 2023 ist gesetzlich verankert, dass zwei Prozent der Fläche Deutschlands für die Windenergie bis 2032 auszuweisen ist.
„Licht und Schatten“ im Koalitionsvertrag
Doch wie geht es weiter, da die Grüne Partei nicht mehr in der neuen Landesregierung vertreten ist? Grundsätzlich kündigt der Koalitionsvertrag an, die Politik zum Ausbau der Erneuerbaren konsequent fortzusetzen. Die neue Landesregierung von CDU und SPD bekennt sich klar zu den Zielen des EKP 2021 und will auch ein Klimageld auf Bundesebene unterstützen. „Es ist positiv zu bewerten, dass hier am in den vergangenen Jahren Erreichten angeknüpft werden soll. Die Vorhaben im Koalitionsvertrag der letzten Regierungsperiode schienen allerdings konkreter“, sagt VEE-Geschäftsstellenleiter Poldrack. Es sei teilweise unklar, welche konkreten Vorhaben umgesetzt werden sollen. Er fordert, das Energieprogramm nachzuschärfen, da es nicht den Pariser Klimazielen genüge. Pläne dazu fehlten jedoch im Koalitionsvertrag.
Kritisch betrachtet der VEE den angekündigten Ausbau einer Ladeinfrastruktur für Wasserstofffahrzeuge. „Wir sehen dafür keine effizienten Anwendungsfälle – das ist in unseren Augen eine falsche Stoßrichtung“, heißt es. Grüner Wasserstoff werde ein begehrter Ausgangsstoff für die Chemie- und Stahlindustrie sein und als Energiespeicher eine Rolle spielen, aber nicht im normalen Pkw-Verkehr.
Auch wenn der VEE im Koalitionsvertrag „keine Anstrengungen“ erkennt, die Energiewende in Sachsen deutlich zu beschleunigen, erwartet er für 2025 eine weitere dynamische Zunahme an Genehmigungen und Anlagen-Errichtungen. Die politischen Rahmenbedingungen auf Bund- und Landesebene seien gesetzt, die Weichen gestellt – und immer mehr Kommunen würden erkennen, dass es Vorteile bringt, die Planungen für Windkraftanlagen selbst zu steuern.
SZ