Etwas an Kunden ausliefern zu dürfen, das ist ein großes Zugeständnis. Etwas kaufen zu dürfen? Eine große Hürde, die Angst einflößen kann. Das gilt zumindest für Personen, die sich ansonsten nicht frei in der Welt bewegen dürfen. Deren Alltag sich eben nicht dadurch auszeichnet, dass Einkäufe erledigt werden müssen und der Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigt werden kann. Denn auch Menschen, die gemordet, Autos gestohlen, mit Drogen gehandelt oder betrogen haben, können Ängste entwickeln.
So geht es zum Beispiel einigen Verurteilten aus der Justizvollzugsanstalt in Bautzen. Erst vor Kurzem durften sich einige von ihnen wieder eine Bockwurst kaufen; in einem Kiosk in Dresden. Denn dort hatten sie eine besondere Auslieferung zu erledigen: Eine große Bestellung hatte das Dresdner Studentenwerk aufgegeben.
"So ein Einkauf ist für viele nicht einfach", erklärt Stefan Schanz. Er ist der Leiter der Tischlerei in der Bautzener Justizvollzugsanstalt. Als die Häftlinge die Tische, Stühle und Schränke für die Dresdner Studenten produzierten, passierte das unter seiner Aufsicht. Während er davon erzählt, läuft er durch die Gänge der JVA. Der Schlüsselbund mit einem großen Schlüssel, der aussieht wie aus einem Märchen, klimpert bei jedem der Schritte des hageren Mannes. Es sind einige Türen, die er damit auf- und zuschließt.
Auch vor der Halle, in der sich die Tischlerei befindet, ist so eine Tür. Der Geruch von Sägespänen, von heißem Holz und Maschinen liegt in der Luft. Einige der Geräte surren, andere kreischen. Aus einem Radio dudelt ein Weihnachtslied. Ein Gefangener beschickt eine Maschine mit einer großen Platte, die Saugarme ziehen es in die Luft, der Mann bewegt das Konstrukt in Richtung Schneidemaschine. Dann ertönt eine Sirene: Mittagspause.
Überall stapeln Bretter, halbfertige Möbel, ganz fertige Möbel. "Jeden Tag geht hier ein Container raus", sagt Schanz. Er deutet auf die fertigen Möbel. 382 Gefangene und Untergebrachte befinden sich derzeit in der Anstalt, 260 davon arbeiten. "Eine gute Quote", sagt Frank Hiekel, der Leiter der Justizvollzugsanstalt. Die Tischlerei ist dabei einer der beliebteren Arbeitgeber unter den Gefangenen. Etwa 35 Plätze gibt es dort. Nicht jeder, der will, kann tatsächlich dort anfangen. Wer mitmachen will, muss sich bewerben.
Einige der Gefangenen können in der Anstalt auch ihre Ausbildung absolvieren. Es gibt ein Klassenzimmer, Berufsschullehrer kommen extra für die derzeit sieben Tischler- Lehrlinge auf das Gelände. Vier der neun Justizvollzugsanstalten in Sachsen haben Tischlereien, die in Bautzen ist die größte. Für die dort arbeitenden Tischler gilt: Um 6.30 Uhr in der Frühe ist Anpfiff. Dann wird in der Tischlerei das Licht angeschaltet, die Maschinen beginnen zu summen und das Radio wird eingeschaltet. Auf Laufzetteln sehen die Arbeiter dann, welche Möbel aktuell hergestellt werden müssen und für wen sie bestimmt sind. "Viele unserer Möbel gehen an Gerichte", sagt Frank Hiekel. Der 61-Jährige grinst. "Ungünstig ist es dann natürlich, wenn die Möbel der Staatsanwalt bekommt, der Anklage erhoben hat." Die Auftragslage ist gut, oft kommen die Tischler kaum hinterher, alles zu erledigen, erzählt Tischlereileiter Schanz.
Nicht nur das Herstellen der Möbel steht in der JVA auf der Tagesordnung. Auch das Ausliefern und Montieren gehört zum Angebot der Gefängnis-Tischlerei. 40 Plätze gibt es für Aufgaben wie diese in der sogenannten "Offenen Abteilung". Nur die Vertrauenswürdigsten unter den Gefangenen dürfen mit. "Oft haben wir Probleme, genügend Personen zu finden", sagt Hiekel.
Im Falle der Auslieferung nach Dresden gab es da aber keine Probleme. Die Möbel zieren nun die Zimmer der Studenten im Wohnheim in der Hoyerswerdaer Straße. Ob sie wussten, wer die Möbel ausgeliefert hat? Schanz zuckt mit den Schultern: "Unsere Gefangenen tragen normale Blaumänner. Ansehen tut man ihnen jedenfalls nichts."
Von Theresa Hellwig
Foto: Archiv/Uwe Soeder