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Ukrainer auf Jobsuche: Hochgebildet und dennoch schwer vermittelbar

Der Vater stellvertretender Bankdirektor. Die Mutter Juristin. Doch beide sind aus der Ukraine geflohen. Jetzt haben sie in Dresden Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Woran das liegt.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht eine Familie.
Auf der Suche nach einer Anstellung. Die ukrainische Familie Hamov mit Vater Andrii Hamov, Mutter Viktoriia Hamova sowie den Kindern Mykhailo, Dmytro, Artur lebt seit anderthalb Jahren in Dresden. © Jürgen Lösel

Von Luisa Zenker

Ein Bombenknall und ein Cello. Zwei Klänge, die der ukrainischen Familie Hamov nicht mehr aus dem Kopf gehen. Stehen sie doch für die Flucht vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Der Knall geschah im März 2022 nahe ihrem Wohnort Tscherkassy in der Mitte des Landes, die Explosion einer Bombe ließ Viktoriia Hamova aufschrecken. Als Mutter dreier Söhne wollte sie nur noch weg aus dem Land, das sich im Krieg befand. Und immer noch befindet. Die Ukrainerin beschloss, ihre Eltern zu verlassen und ihren Job als Juristin aufzugeben, ohne zu wissen, wie die Perspektive im Ausland sein wird. Da war ihr noch nicht klar, wie schwer die Jobsuche später sein wird.

Es ist das Cello, das ihnen den Weg zur Flucht ebnet. Über den Cellolehrer der Kinder konnten sie nach Deutschland fliehen. Ehemann Andrii durfte mit, weil die Söhne im Alter von 14, 11, 9 Jahren so jung waren.

Nach acht Wochen als fünfköpfige Familie in einem Dresdner Zimmer haben sie das Glück gehabt, eine Dreiraumwohnung im Norden der Landeshauptstadt zu erhalten. Ein dritter Klang hat sich hinzugesellt, der unbekannte Klang der deutschen Sprache: „Mir wurde klar, ich muss Deutsch lernen“, erinnert sich die Mutter an die ersten Einkäufe. Doch dabei ist ihr schnell bewusst geworden, was für ein weiter Weg das ist: „Die Sprache war uns sehr fremd.“

Im Mai 2022 beginnen sie sich durch die deutsche Sprache zu arbeiten. Lernen die Buchstaben für die Sprachniveaus kennen: A1, A2, B1, B2. Mehr als ein Jahr gehen Vater Andrii und Mutter Viktoriia abwechselnd vormittags und nachmittags zum Sprachkurs. Während der eine beim Unterricht paukt, sorgt sich die andere Person um die Kinder, die das Cello wieder in die Hand nahmen.

Im September dieses Jahres bekommen sie endlich ihr B2-Zertifikat. „Es bestätigt ein fortgeschrittenes Sprachniveau“, lacht Andrii darüber, der sich selbst nicht so gut fühlt. Hören, Sprechen, Schreiben in Deutsch – das sei ein gewaltiger Unterschied. Der Klang der deutschen Sprache hat sich mit bekannten Wörtern gefüllt, bleibt aber manchmal holprig. In ihrem Sprachkurs haben vier von 24 Teilnehmern die Prüfung bestanden. „Wir sind in der ersten Linie, wir sind so dankbar“, lächelt Vater Andrii, der endlich arbeiten will. In seiner Heimatstadt war er als stellvertretender Bankdirektor tätig.

Mit dem Sprachzertifikat hat er sich nun bei drei Banken beworben. Und erhielt drei Ablehnungen. „Ich brauche C1, weil ich mit den Kunden sprechen muss.“ Die Familie aber fragt sich, wie Andrii besser in Deutsch werden soll, wenn er keine Arbeit findet.

Anerkennung der Abschlüsse dauert

Ein Dilemma für viele. Nur ein Viertel der 28.358 erwerbsfähigen ukrainischen Geflüchteten hat bisher eine Anstellung in Sachsen gefunden, heißt es von der Landesarbeitsagentur. Natalya Bock fragt sich, warum das nicht schneller geht. Die Koordinatorin des ukrainischen Koordinationszentrums besorgt und plant in Dresden Spendentransporte, Wohnungen, Sprachkurse, Kindergartenplätze für die Ukrainerinnen. Jetzt, nach anderthalb Jahren, kommen besonders viele zu ihr, weil sie einen Job suchen und daran verzweifeln. Viele Abschlüsse werden nicht anerkannt, sagt die Dolmetscherin, die seit 25 Jahren in Dresden lebt. Momentan hilft sie einer Podologin, die mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in dem Job hat, nun aber nochmals eine dreijährige Ausbildung absolvieren soll. Dass die Anerkennung der Abschlüsse dauert, kann der Chef des Dresdner Jobcenters Thomas Berndt nur bestätigen. Ein Arzt müsse sich beispielsweise nachqualifizieren, das könne drei bis fünf Jahre dauern.

Vom Bankvize zum Logistikhelfer

Im EU-weiten Vergleich steht Deutschland mit einer Beschäftigungsquote von 18 Prozent hinter vielen anderen Ländern, zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Während in den Niederlanden, Dänemark, Polen, der Tschechischen Republik und Großbritannien die Hälfte oder mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen ukrainischen Flüchtlinge einen Job gefunden hat, sind es in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Belgien und Bulgarien weit weniger, so die Studie. Grund dafür ist unter anderem, dass die finanzielle Unterstützung in Polen und Tschechien deutlich geringer und die slawische Sprache leichter zu erlernen ist. Hinzu kommen hohe bürokratische Hürden in Deutschland, welche die Arbeitsaufnahme verzögern, heißt es von den Wissenschaftlern.

Aber noch etwas ist der Grund: Deutschland setzt insbesondere auf Sprachkurse, damit die Ukrainer nicht gezwungen sein sollen, Hilfsjobs anzunehmen. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, in ihren entsprechenden Qualifikationen zu arbeiten. So erklärt es die Chemnitzer Migrations-Expertin Birgit Glorius, die davon ausgeht, dass in anderen Ländern besonders viele Ukrainer in Hilfsjobs arbeiten, bei denen wenig Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden. Als Gründe, warum noch nicht so viele Ukrainer einen Job gefunden haben, nennt die Professorin für Humangeografie an der TU Chemnitz auch die Skepsis der Arbeitgeber, die nicht genau beurteilen könnten, wie der Bildungsgang der Geflüchteten einzuschätzen sei.

Dabei verfügen laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 68 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter über Hochschul- oder Universitätsabschlüsse, weitere 16 Prozent haben berufsqualifizierende Abschlüsse. „Wenn die Menschen studiert haben, gehen sie nicht in die Pflege“, erklärt Natalya Bock, die auch Ukrainer kennt, die lange auf einen Sprachkurs warten mussten. Für Natalya Bock kommt hinzu, dass ein Großteil der Geflüchteten Frauen mit Kindern im Schulalter sind. „Jetzt sind sie alleinerziehend, müssen den Haushalt schmeißen in einem fremden Land, und sie müssen die Bürokratie verstehen, um ihren Abschluss anerkannt zu bekommen.“

Ein Problem, dass Familie Hamov gemeinsam bewältigte. Zu zweit konnten sie den Sprachkurs schneller meistern als viele andere. Das zahlt sich nun aus. Für Andrii Hamov hat es nach etlichen Bewerbungen geklappt, der stellvertretende Bankdirektor beginnt diesen Herbst im Uniklinikum als Logistikhelfer. Mutter Viktoriia überlegt noch, ob sie sich für ein fünfjähriges Jurastudium einschreibt. „Ich kenne das deutsche Recht nicht. Wir machen kleine Schritte, aber ich möchte nicht meine Qualifikation verlieren“, sagt sie, die Angst hat, wenn sie jetzt einen Hilfsjob annimmt, keinen hohen Posten zu bekommen. Jetzt erst einmal macht sie eine Weiterbildung als Lehrerin, hilft an der Schule ihrer Kinder ehrenamtlich aus, um Deutsch zu üben. Zurück in die Ukraine wollen sie nicht. „Das ist jetzt unser Zuhause.“

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