Leipzig/Dresden. Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte Waggons – die Krise des Staatskonzerns Deutsche Bahn spüren Fahrgäste in Sachsen täglich. Bis Ende September will Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) einen neuen Bahnchef benennen und eine „Agenda für zufriedene Kunden“ vorlegen. Klar ist: Aus sächsischer Sicht gibt es genug zu tun. Ein Blick auf drängende Probleme in Sachsen und mögliche Auswege.
Marode Infrastruktur bremst den Verkehr aus
Das Problem: Auf dem RE6 Leipzig–Chemnitz zeigt sich seit Monaten ein System am Limit. Ausfälle, Verspätungen und zeitweise gesperrte Wagen wegen Dieselabgasen stellen Fahrgäste auf eine harte Probe. Ein Problem: Die weitgehende Eingleisigkeit auf der Strecke. Zwar betreibt die Mitteldeutsche Regiobahn die Verbindung, doch für die Infrastruktur ist die DB InfraGO verantwortlich. Schon kleine Zwischenfälle auf der Strecke führen schnell zu erheblichen Verzögerungen. Doch das ist kein Einzelfall.
Wichtige Verbindungen seien auch heute nur eingleisig befahrbar, sagt Regina Kraushaar (CDU), Sächsische Staatsministerin für Infrastruktur und Landesentwicklung. „Die Ansprüche eines qualitativ hochwertigen Schienenpersonennahverkehrs werden damit nicht erfüllt.“ Die Mängel beim RE6 hätten das schonungslos offengelegt.
Ein weiteres Beispiel ist die Strecke Dresden-Leipzig: Auf dieser wichtigen Pendlerachse reicht die Kapazität nicht aus, um mit dem Fahrgastzuwachs der letzten Jahre Schritt zu halten, berichten Fahrgastverbände. Allein im ersten Halbjahr kam es laut MDR zu 130 Zugausfällen beim RE50.

Dringenden Ausbaubedarf gibt es vielerorts – so auch auf der Sachsen-Franken-Magistrale von Dresden über Chemnitz nach Nürnberg. Das Problem: Zwischen Hof und Nürnberg fehlen auf 140 Kilometern Oberleitungen – eine „Diesellücke“, die durchgehende elektrische Fernverbindungen verhindert.
Grünes Licht für neue Planungen gab der damalige Verkehrsminister Volker Wissing erst im April 2025. Laut der sächsischen Staatskanzlei ist die Magistrale von herausragender Bedeutung für eine durchgehende leistungsfähige Bahnverbindung von Görlitz über Dresden und Hof nach Nürnberg und München.
Der mögliche Ausweg: „Wir erwarten endlich mehr Zuverlässigkeit auf unseren Schienen und insgesamt mehr Investitionen in Sachsen und Sachsen-Anhalt“, betont Markus Haubold, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn Mitteldeutschland. Zudem müsse die Neubaustrecke Dresden-Prag schnell realisiert werden, die die Fahrzeit von zweieinhalb auf eine Stunde verkürzen soll. Der Baubeginn ist frühestens für 2032 geplant, die Fertigstellung für etwa 2044.
In Sachsen beobachtet man außerdem die Generalsanierungen aufmerksam – derzeit ist die Strecke Berlin-Hamburg für mehrere Monate voll gesperrt, um sie grundlegend zu erneuern.
Sachsens Infrastrukturministerium warnt davor, dass regionale Projekte dabei vernachlässigt werden. Das Mammutprojekt dürfe „nicht zulasten von Infrastrukturvorhaben fortgeführt werden, die keinen Bezug zur Generalsanierung aufweisen”. Das sei besonders relevant, da im Freistaat selbst keine Generalsanierungsstrecken liegen.
Probleme im Fernverkehr: Engpässe und eine schlechte Anbindung
Das Problem: Noch immer sind Teile Sachsens vom Fernverkehr abgeschnitten oder schlecht angebunden. Chemnitz etwa war viele Jahre lang vom Fernverkehr ausgeschlossen – und verfügt bis heute nur über wenige attraktive Verbindungen. ICE halten in der Kulturhauptstadt Europas 2025 keine.
Leipzig ist derweil von Kürzungen betroffen: Die IC-Linie 61 über Jena nach Nürnberg und Karlsruhe soll ab Dezember von fünf auf zwei tägliche Verbindungen reduziert werden. Zudem stehen zwischen Dresden, Leipzig und Frankfurt vorübergehend weniger Sitzplätze zur Verfügung, da die Bahn viele fünfteilige ICE der Baureihe 415 ausrangiert hat.
Der mögliche Ausweg: Für Sachsens Infrastrukturministerin Regina Kraushaar ist klar: Das Fernverkehrsangebot müsse kontinuierlich erweitert werden, und auch dafür brauche es die Elektrifizierung von Strecken.
Für Pro Bahn bleibt die Anbindung von Chemnitz und Südwestsachsen, Dresden und Ostsachsen an den Fernverkehr ein Schlüsselthema. Ein neuer Bahnchef müsse zudem dafür sorgen, dass das Unternehmen über ausreichend finanzielle Mittel verfügt. „Aktuell führen fehlende Finanzen dazu, dass Fernverkehrsverbindungen in Mitteldeutschland bereits gestrichen wurden und weitere Kürzungen zu erwarten sind“, sagt Fahrgastverbands-Chef Haubold: „Von einem Ausbau des Fernverkehrsnetzes spricht schon niemand mehr.“
Personalengpässe lähmen das System
Das Problem: Der Personalmangel lähmt das System Bahn – wozu das im Extremfall führen kann, zeigte sich in diesem Jahr bei der Leipziger S-Bahn-Linie 10: Von Januar bis März 2025 fielen 49,7 Prozent aller Fahrten aus – nahezu jede zweite Verbindung. In Planungsunterlagen heißt es lakonisch: „Bisher keinen Tag störungsfrei gefahren!“
Ab Winter wird die Linie komplett eingestellt. Auch im Großraum Dresden gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Berichte über Ausfälle wegen personeller Engpässe. Die Deutsche Bahn hat reagiert und eine „Einstellungs- und Qualifizierungsoffensive“ gestartet.
Doch Markus Haubold von Pro Bahn bestätigt: Der Mangel an Fahrdienstleitern und Triebfahrzeugführern führe immer wieder zum Ausfall von Zügen.
Mario Reiß, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und gebürtiger Torgauer, beschreibt die Lage so: „Für die Mitarbeiter ist es der tägliche Wahnsinn.“ Ein unfähiges Management verursache seit Jahren Qualitätsmangel. „Der Frust wird beim Zugpersonal abgeladen. Eine belastende Situation, die sich seit Jahren nicht entspannt.“
Der mögliche Ausweg: „Es muss künftig Personal an den Stellen eingesetzt sein, wo es wirklich nötig ist“, betont der mitteldeutsche Pro-Bahn-Chef Haubold.
GDL-Chef Mario Reiß mahnt, die Bahn müsse das Personalproblem in den Griff bekommen und Engpässe beseitigen. Die Probleme könnten eben nur mit ausreichend Personal gelöst werden, sagt er.
Fahrgast in den Fokus rücken
Das Problem: Aus Fahrgastsicht klingt das vielversprechend, was der Bundesverkehrsminister für seine Bahnstrategie angekündigt hat: Der Fahrgast soll wieder im Mittelpunkt stehen. Dennoch ist das ein weiter Weg.
Die bundesweite Pünktlichkeit im Fernverkehr lag im Juli bei nur 56,1 Prozent. Die wiederkehrenden Probleme beschreibt GDL-Chef Reiß so: „Züge zu spät, verschmutzt, kaputte Klimaanlagen, Stellwerke nicht besetzt, kurzfristiger Ausfall von Zügen.“ Für ihn steht fest: „Die Deutsche Bahn ist zurzeit nur eines – ein Garant für Unzuverlässigkeit.“
Der mögliche Ausweg: Viele der Störungen, die Fahrgäste täglich direkt zu spüren bekommen, hängen mit der grundsätzlichen Instabilität des gesamten Bahnsystems zusammen, erklären Experten. Deshalb sei es zwingend erforderlich, es stabiler aufzustellen und Reserven aufzubauen.
Verkehrsforscher Gernot Liedtke erklärte in einem Expertengespräch des „Science Media Center“: „Es fehlt allgemein an Reserven zum Abpuffern von kleineren Störungen, damit die sich dann nicht zu größeren Störungen ausweiten.“ Genau diese Systeminstabilität erleben Reisende täglich als Verspätungsketten und Zugausfälle direkt vor Augen.
Der Fahrgastverband Pro Bahn Mitteldeutschland fordert außerdem, die Bahn müsse die Fahrgastperspektive stets im Blick haben. Dies betreffe auch „die kulante und einfache Bearbeitung von Fahrgastrechten“


