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„Viele werden keine Dürrehilfen bekommen“

Dietmar Liebscher vom Regionalbauernverband Bautzen-Kamenz kritisiert das Antragsverfahren und ahnt Schlimmes.

Lesedauer: 3 Minuten

So deprimierende Zahlen hat Dr. Dietmar Liebscher noch nie lesen müssen. Der Geschäftsführer des Regionalbauernverbandes Bautzen-Kamenz blättert in den Berichten, die ihm Agrarbetriebe aus der Region geschickt haben. 50 Prozent weniger Winterweizen als im Vorjahr, 30 Prozent Einbußen beim Raps, kein dritter Schnitt beim Grünfutter – immer wieder liest er solche Meldungen. „Ich habe schon viel erlebt“, sagt der 66-Jährige, „aber so etwas noch nicht.“ Damit meint er nicht nur die Ernte in diesem extrem trockenen Jahr, sondern auch noch etwas anderes. Was, erklärt er im Laufe des Interviews mit der WiS.

Herr Liebscher, an den vergangenen Tagen gab es ja ein paar Regenfälle. Helfen die unseren Bauern?

Der Regen der jüngsten Zeit war nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir bräuchten mindestens vier Wochen anhaltenden Landregen, um das Defizit dieses Jahres einigermaßen aufzuholen. Sicher, viele Mitmenschen freuen sich über warme, trockene Tage. Aber für unsere Landwirte sind sie so gehäuft eine Katastrophe. Wir haben in diesem Jahr die größte Dürre seit 120 Jahren, seit Beginn der Aufzeichnungen, erlebt. 2003 war auch ein Dürre-Jahr, aber nicht so schlimm wie 2018. Ich war damals auch schon Geschäftsführer des Regionalbauernverbandes, ich kann die Vergleiche ziehen.

War der Landkreis Bautzen in diesem Jahr besonders schlimm dran?

Ja. Noch schlimmer traf es Nordsachsen, aber danach kam gleich der Kreis Bautzen.

Wie groß sind denn die Einbußen?

Hier, sehen Sie, das sind mehr als 50 Erntemeldungen von Landwirtschaftsbetrieben aus dem Landkreis. Es tut weh, das zu lesen. Hier steht zum Beispiel bei Futter: kein Aufwuchs. Im Schnitt liegen die Erträge bei Wintergerste, Roggen, Raps und Triticale bei rund 30 Prozent unter denen des Vorjahres. Bei Weizen, Sommergerste und einigen anderen Sorten wurde sogar noch viel weniger geerntet. Beim Futter gab es statt drei Schnitte nur einen oder höchstens zwei von minderer Qualität. Uns wurde auch kaum Körnermais gemeldet. Und warum? Weil ihn die Bauern als Silomais eingelagert haben, um für den Winter vorzusorgen. Es gibt Bauern, die haben Mais vom Feld herab gekauft, um sich Futter für ihre Kühe zu sichern. Für sie ist jetzt die Hauptsache, ihre Tiere über den Winter zu bringen. Gott sei Dank haben viele Betriebe auch Silo-Reserven, die sie jetzt aufbrauchen können. Aber 2019 sind diese Reserven dann alle. Ich kann nur an die Bauern appellieren, sich gegenseitig zu helfen.

Werden Tiere notgeschlachtet?

Das ist schon jetzt der Fall. Kühe mit geringer Milchleistung zum Beispiel werden bei der Schlachtung vorgezogen. Aber die Abnahme von Schlachtvieh ist erschwert, weil die Anmeldungen bis zum Jahresende schon ausgereizt sind. Kühe, die vorzeitig geschlachtet werden, können 2019 natürlich keine Milch mehr geben. Da greift eins ins andere. Wissen Sie, es ist nicht das Wesen der Bauern, zu klagen. Bauern versuchen, jede Situation zu meistern. Aber das wird ihnen sehr schwer gemacht.

Sie meinen damit auch das aufwendige Antragsverfahren, um Dürrehilfe zu bekommen?

Das Verfahren ist nicht nur aufwendig, sondern in einigen Punkten auch unverständlich. Es gab für die Landwirte dazu Anleitungen, an denen ich auch teilgenommen habe. Diese Informationsveranstaltungen waren sehr sachlich, aber ernüchternd. Denn der Bund hat hohe bürokratische Hürden gesetzt. Ich fürchte, bei vielen bedürftigen Landwirten wird kein Geld ankommen. Viele werden wohl auch davor zurückschrecken, den Antrag auszufüllen.

Warum?Die Bauern müssen sich beispielsweise zum Cashflow III erklären. Gibt es denn dafür kein deutsches Wort? Die Leute sind Landwirte, keine studierten Betriebswirtschaftler. Im Kern geht es darum, dass Finanzflüsse der vergangenen Jahre darüber mitentscheiden, ob jemand Finanzhilfe bekommen kann oder nicht. Wenn also ein Agrarbetrieb vor einem oder zwei Jahren eine größere Summe investiert hat, kann ihm das jetzt auf die Füße fallen. Denn durch die Investition ist ja bewiesen, dass Geld da war. Dann müssen die Landwirte im Antrag außer den diesjährigen Mindererlösen auch die Ernten der vergangenen drei Jahre angeben. Das ist nachvollziehbar – aber falsch ist, dass hier auch die Tierhaltung einbezogen wird. Denn die Mindererlöse beispielsweise bei der Milch werden erst zeitversetzt sichtbar. Die nach der Dürre in diesem Jahr veränderten Futterrationen werden sich erst 2019 in der Milchleistung niederschlagen. Ich meine: Die Tierproduktion 2018 sollte in die Entscheidung um Dürrehilfe nicht einbezogen werden.

Sagen Sie das so auch dem Bundeslandwirtschaftsministerium?

ch versuche seit Tagen, dort einen kompetenten Ansprechpartner zu diesen Fragen ans Telefon zu bekommen. 2003 hatten wir den, und da konnten wir viele Fragen ganz unbürokratisch regeln. Und einige standen damals überhaupt nicht zur Debatte.

Zum Beispiel?

In diesem Jahr müssen sich die Landwirtschaftsbetriebe, die einen Antrag stellen, sozial durchleuchten lassen. Das gab es so noch nie, weder bei der Flut- noch bei der Dürrehilfe. Diesmal müssen die Gesellschafter der Betriebe ihre Vermögensverhältnisse offen legen, ob da vielleicht noch irgendwo ein Konto mit etwas Erspartem ist. Es gibt Betriebe, die haben mehr als einhundert Anteilseigner, davon sind einige schon Rentner. Die haben vielleicht ein bisschen was angespart für ihre Familien, und deshalb bekommt der Agrarbetrieb dann keine Finanzhilfe. Diese Dürre ist doch aber nicht auf Fehler im Management der Betriebe zurückzuführen! Das war eine Naturkatastrophe, gegen die sich kein Bauer schützen kann. Für die Dürrehilfe stehen in Sachsen etwa 44 Millionen Euro bereit, das ist viel Geld. Es darf nicht passieren, dass dieses Geld nicht bei den bedürftigen Landwirten ankommt! Im Bundeslandwirtschaftsministerium muss dringend darüber nachgedacht werden, die Hürden im Antragsverfahren zu senken.

Rechnen Sie damit, dass Betriebe ganz aufgeben müssen?

Das ist leider zu befürchten.

 

Von Tilo Berger

Foto: © dpa/Sven Hoppe

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