Von Matthias Schildbach
Auf dem Hof der Spedition Hanitzsch geht es immer unruhig zu. In Bewegung zu bleiben, ist die zentrale Aufgabe des Unternehmens – und das nun schon seit mehr als 100 Jahren. Andreas Hanitzsch, Geschäftsführer in vierter Generation, lädt ein zu einem Blick in die Dispositionszentrale.
Hier sitzen an 16 Arbeitsplätzen die Disponenten und sorgen für den reibungslosen Ablauf aller Vorgänge. Auf dem Bildschirm zeigt eine Europakarte genau an, wo sich die jeweiligen Sattelzüge gerade befinden. Die zurzeit am weitesten entfernten Trucks stehen gerade bei Wien und liefern Werkzeug für Röntgengeräte aus. Ein anderer befindet sich in Straßburg, wo er gekühlte Lebensmittel zu einem Kunden bringt. Auf jedem Laster steht der Name Hanitzsch, ein Spediteur mit einer vorzeigbaren Geschichte aus unserem Landkreis.

1903 begann die Geschäftstätigkeit
Der erste in der Ahnenlinie, der den Schritt in die Selbständigkeit wagte, war Carl Emil Mühl, der Ururgroßvater von Andreas Hanitzsch. Seit 1903 führte er in Dresden einen Laden für Kolonialwaren, erst auf der Ringstraße 3. 1905 wurde das gegenüberliegende geräumigere Eckhaus Plauenscher Ring 4 bezogen. Die Dresdner Adressbücher der kommenden Jahre nannten ihn fortan „Viktualienhändler“, zuletzt 1917 „Delicatessenhändler“. In dieser Zeit starb Carl Emil Mühl, es ist nicht überliefert, ob er als Soldat im Krieg fiel oder zu Hause verstarb. Seine Tochter Elisabeth heiratete 1920 Alfred Hanitzsch.
Die Jahre 1919 bis 1923 waren geprägt durch Not und Inflation. Nur mühsam kam die Nachkriegswirtschaft wieder in Gang. Alfred Hanitzsch, gründete ein eigenes Gewerbe, das an die Lebensmittelhandlung gekoppelt war. Ab Mai 1920 übernahm er mit einem eigens angeschafften Lastkraftwagen die Besorgungsfahrten aus der Markthalle. Der Laster hatte Holzfelgen mit Vollgummibereifung, war noch ein Rechtslenker. Die Kotflügel waren „Marke Eigenbau“, genauso wie der Karosserieaufbau, der darauf schließen lässt, dass ein ehemaliger Pkw zu einem Lkw umgebaut wurde.
War das erledigt, übernahm er Transportaufträge Anderer. Das war die Geburtsstunde der Spedition Alfred Hanitzsch. Spedition und Kolonialwarenhandlung liefen parallel. Erst 1935 wurde der Lebensmittelladen abgegeben. Familie Hanitzsch konzentrierte sich ab diesem Zeitpunkt ganz auf das Speditionsgeschäft.
Der Krieg ruinierte die Spedition
Im Laufe der folgenden Jahre wurde der Betrieb technisch aufgerüstet. Bei Hanitzsch fuhr man Mercedes, die großen L6500 mit über 12.000 Kubikzentimeter Hubraum mit bis zu 150 PS und einer Nutzlast von bis zu sieben Tonnen. Der Chef fuhr längst nicht mehr allein. Er beschäftigte angestellte Fahrer, die eine eigene Fahreruniform trugen. Als der Krieg ausbrach, wurden alle zwölf Fahrer samt LKWs in die Wehrmacht eingezogen. Die bulligen Mercedes überstanden den Krieg nicht. Alfred Hanitzsch erlebte das Kriegsende im Bertechsgadener Land in einem Lazarett.
Geblieben waren der Mut, der Unternehmergeist und das Vertrauen auf das eigene Können. Der Spediteur trieb nach dem Krieg alte fahruntüchtige Kriegs-LKWs auf, sie wurden wieder instandgesetzt, oft mit abenteuerlichen Materialbeschaffungswegen. Die Firma Hanitzsch war wieder im Geschäft! Fuhrunternehmer und Spediteure existierten in der DDR unter der Hierarchie des Staates, der alleiniger Auftraggeber für Transportleistungen war.
Nach 1945 betrieben Alfred und sein Sohn Christian Hanitzsch (Jahrgang 1923) die Spedition gemeinsam. Nachdem Alfred Hanitzsch 1961 verstorben war, führte Christian Hanitzsch den Betrieb allein weiter. Ab 1976 arbeitete Sohn Wolfgang gemeinsam mit seinem Vater Christian im Unternehmen. Fahrten ins Ausland – Ost wie West – blieben für die Spedition tabu, denn sie unterhielten familiäre Kontakte in den Westen.
Durch vier Jahrzehnte DDR-Regime gelang es der Firma, selbständig zu bleiben. Diese Jahre waren geprägt durch den Kampf gegen die Mühlen des DDR-Apparates. Man hatte gelernt, mit Tauschhandel und handwerklichen Geschick wirtschaftlich zu überleben. Diese Jahrzehnte haben enorm viel Kraft gekostet. Mit sechs LKWs waren Hanitzschs unterwegs, als die Wende kam: drei W50, zwei Skodas, ein Kamaz.

1989 kam die Wende. Man hatte Angst, von den Ereignissen überrollt zu werden – doch Vater und Sohn stellten sich den neuen Herausforderungen, nutzten die neuen Chancen und wurden zu findigen Unternehmern. Die alteingesessene Spedition Hanitzsch wurde 1990 schnell von Logistikriesen wie Schenker, Kühne & Nagel und anderen Unternehmen zwecks Zusammenarbeit angesprochen. Alle Zeichen standen auf Expansion. Wolfgang Hanitzsch übernahm die Firma 1992.
Ein Jahr später zog der gesamte Fuhrpark in die ehemaligen Gebäude der Felsenkellerbrauerei im Plauenschen Grund. Weil die Stellflächen dort zu klein wurden, siedelte das Unternehmen 1996 nach Kesselsdorf über, wo es einen neuen eigenen Firmenkomplex aufbaute. Das Unternehmen wuchs weiter. Seit dem Umzug ins Kesselsdorfer Industriegebiet gehörte die Spedition Hanitzsch zum damaligen Weißeritzkreis – heute zum Landkreis Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge.
Gegenwart und Zukunft
Heute führt Andreas Hanitzsch das Unternehmen. Sein duales Studium an der BA Glauchau hatte er 1998 als Diplom-Betriebswirt (BA), Fachrichtung Spedition Logistik und Verkehr, abgeschlossen. Sechzehn Jahre war er bei der Spedition DACHSER in Radeburg als Speditionsleiter tätig. Heute führt er im sechsten Jahr das eigene Familienunternehmen.
Gegenwärtig beschäftigt Andreas Hanitzsch 240 Mitarbeiter. Der Fuhrpark besteht aus 120 Sattelzugmaschinen, 20 PKWs und Transporter sowie 130 Aufliegern und Anhängern. Die Spedition hat damit den größten Fuhrpark aller Speditionen im Landkreis. Pro Jahr realisiert das Fuhrunternehmen mehr als 25.000 Transporte mit annähernd 17 Millionen Kilometern und 400.000 Tonnen transportierter Güter.
Das Unternehmen wachse kontrolliert, sagt Hanitzsch. Die Wettbewerber werden beobachtet und ab und an wird auch ein befreundetes Unternehmen im Firmenverbund mit aufgenommen. Nur Wachstum schaffe Möglichkeiten, erklärt der Unternehmer überzeugt, und die werden geschaffen von motivierten Mitarbeitern, die eine gerechte Vergütung bekommen, die mitgestalten dürfen und deren Ideen und Gedanken mit in das Firmenkonzept einfließen. Es ist ein hochmodernes, digital ausgerichtetes Unternehmen mit einer starken Mannschaft, das durch die Region geprägt ist.
Die Gegenwart hält ihre Herausforderungen parat, wie wohl jede Zeitepoche die Hanitzschs auch mit massiven Rückschlägen durchlaufen haben. Aktuell ist das größte Problem die durch den Staat verursachte Ungewissheit im Bereich Besteuerung und Gebührenordnungen zum Füllen des Staatshaushaltes. Das Geschäft ist schwer kalkulierbar. Den Kunden gegenüber entsteht daher immer wieder Erklärungsnot.
Nächster Schritt: E-Mobilität
Im Übrigen lohnt sich ein Blick auf die Webseite des Unternehmens, denn um seine Mannschaft zu verstärken, sucht die Spedition Berufskraftfahrer, Mitarbeiter in der Disposition und im Lager, Schichtleiter in der Logistik, Schlosser, Kfz-Mechatroniker und Speditionskaufleute. In all diesen Berufen bildet das Unternehmen aus. Die Berufsausbildung gehörte schon immer zum Unternehmen und ist letztlich essenziell, um die eigene Branche am Leben zu halten und mit Fachkräften die Zukunft zu sichern, so Hanitzsch. Die Zukunft, sie bleibt spannend. Der Chef sieht ihr, im Gegensatz zum Zeitgeist, optimistisch entgegen.
2024 geht die Spedition einen großen Schritt nach vorn: in die Elektromobilität. Förderanträge laufen seit 2021. Erst jetzt finden sie ihre Umsetzung. Hanitzsch setzt die Mobilitätswende mit der Anschaffung sechs neuer E-Trucks, zwei Sattelzugmaschinen in Hybridversion und vier vollelektrischen LKWs um.
Dass all dies aus einem Lebensmittelladen entstanden ist, darüber kann Andreas Hanitzsch bis heute immer wieder nur staunen. Das Haus Plauenscher Ring 4 in Dresden, wo alles begann, ist heute ein Wohnhaus und steht noch immer.